Sind die richtigen Schüler am richtigen Ort? Bild: Doris Fanconi
Keine IQ-Tests für Gymischüler, Tages Anzeiger, 25.10. von Ev Manz, Mirjam Fuchs und Marisa Eggli
Gymnasium
ist ein Reizthema. Ganz besonders dann, wenn es heisst, es besuchten Schüler
die Kantonsschulen, obwohl sie eigentlich nicht da hingehörten. Sie seien nur
durchschnittlich intelligent und hätten einen IQ, der unter dem Mindestwert für
intelligente Schüler und Schülerinnen liegt. Das behauptet die Intelligenzforscherin
und ETH-Professorin Elsbeth Stern. Sie plädiert deshalb dafür, in Einzelfällen
zusätzlich zur Aufnahmeprüfung ans Gymnasium IQ-Tests einzuführen.
An der Front selbst,
sprich an den Gymnasien des Kantons, kommt diese Forderung nicht gut an. Walter
Summermatter, Prorektor der Kantonsschule Wiedikon und zuständig für die
Unterstufenklassen, sagt: «Die Erfahrungsnoten aus der Primarschule und die
Aufnahmeprüfung genügen uns für die Beurteilung, ob ein Kind den inhaltlichen
Anforderungen ans Gymnasium gewachsen ist.» Und das sei auch der Fall, wenn es
bei der Prüfung einen schlechten Tag erwische. In einem Aufsatz beispielsweise
merkten die korrigierenden Lehrer schnell, ob ein Kind über die sprachliche
Ausdrucksfähigkeit einer Gymnasiastin oder eines Gymnasiasten verfüge. Die
Prüfungen werden zuerst von Lehrern des Gymnasiums und dann noch von
Primarlehrern korrigiert. Ihre Erfahrung erlaubt ein fundiertes Urteil. Zudem
sei die einsemestrige Probezeit ideal, um die tatsächliche Eignung der Schüler
zu prüfen.
Konrad Zollinger, Rektor
der Kantonsschule Hohe Promenade, hält von IQ-Tests wenig. Nicht nur, weil die
Standards und Messmethoden sich unterscheiden. «Intelligenz entwickelt sich,
und man kann sie auch wecken.» Philipp Wettstein, Prorektor des Realgymnasiums
Rämibühl, stützt diese Meinung und sagt: «Die Forderung nach IQ-Tests ist
überholt und wurde schon erprobt.»
Gleiche
Ergebnisse
Tatsächlich hat der
Kanton das Aufnahmeverfahren an die Gymnasien vor einigen Jahren überprüft und
dafür den IQ-Test «Allgemeine kognitive Fähigkeiten» entwickelt. Diesen haben
die Gymnasien während zweier Jahre zusätzlich zum bewährten Verfahren
eingesetzt. Es sollte geklärt werden, ob mit einem fächerübergreifenden Test
die Chancengleichheit begabter Schülerinnen und Schüler beim Übertritt ins
Gymnasium und die Prognose für das Verbleiben im Gymnasium verbessert werden
können.
Die Ergebnisse des Tests
stimmten stark mit den Ergebnissen des bewährten Aufnahmeverfahrens überein,
insbesondere der schriftlichen Prüfung. Deshalb beschloss der Bildungsrat 2011,
künftig auf solche Tests zu verzichten. Marc Kummer, Amtschef des Mittelschul-
und Berufsbildungsamts des Kantons Zürich, sagt: «Mit anderen Worten: Wir gehen
davon aus, dass mit dem bewährten Aufnahmeverfahren jene Jugendlichen ins
Gymnasium kommen, die aufgrund ihres Potenzials dort auch hingehören.»
Franziska
Widmer, Rektorin der Winterthurer Kantonsschule Rychenberg, teilt Kummers
Meinung und ist überzeugt: «Es trifft für unsere Schule nicht zu, dass zu viele Kinder
hier sind, die eigentlich nicht hierhergehören.» Die Aufnahmequote sei seit
Jahren in etwa gleich, ebenso die Erfolgsquote bei der Probezeit. Die
Gymnasialquote liegt im Kanton seit Jahren konstant etwas über 18 Prozent. Im
Vergleich mit anderen Kantonen bewegt sich Zürich damit im Mittelfeld.
Verzichten
als Voraussetzung
Für Bildungsforscher Urs
Moser, der den IQ-Test für den Kanton konzipiert hat, ist die Intelligenz zudem
bei weitem nicht die einzige Begabung, die es für einen Gymieintritt braucht.
«Ein Kind muss ebenso selbstständig arbeiten und sich organisieren können,
bereit sein, die Anstrengung auf sich zu nehmen und zu verzichten.» Zusätzlich
braucht es die Unterstützung der Familie.
Ob eine Schülerin diese
Fähigkeiten hat, zeigt sich während der Probezeit exemplarisch. An vielen
Kantonsschulen müssen die Schülerinnen nach jeder Lektion das Zimmer wechseln,
in jedem Fach unterrichten andere Lehrpersonen, gelten andere Regeln.
Spätestens dann kommen jene ins Straucheln, die nur dank teuren
Vorbereitungskursen die Aufnahmeprüfung bestanden haben. Ein guter Austausch
unter den Lehrern, nicht nur am Notenkonvent, sondern auch im Schulalltag sorge
dafür, dass nur die geeigneten Schülerinnen und Schüler weiterkommen, so Rektor
Zollinger. Marc Kummer fügt an: «Eine auf Förderkurse gestützte gymnasiale
Schulzeit ist für die Jugendlichen weder erfolgreich noch hilfreich.»
Potenzial
Chagall-Projekt
Noch in den
Kinderschuhen steckt die Idee, Jugendliche mit Migrationshintergrund an die
gymnasiale Laufbahn heranzuführen. Am privaten Institut Unterstrass läuft das
Förderprogramm «Chagall», das leistungsstarke Jugendliche aus eingewanderten
und weniger wohlhabenden Familien auf das Kurzgymnasium oder die
Berufsmaturitätsschule vorbereitet. Sie besuchen dazu am Mittwochnachmittag und
am Samstag zusätzliche Schulstunden. Die Kantonsschule Wiedikon hat sich als
Langzeitgymnasium ebenfalls für das Projekt beworben und erhielt von der
Bildungsdirektion einen Korb. Erweitert wird das Projekt erst, wenn sich diese
Förderung bewährt hat, sprich die geförderten Jugendlichen die Matur gemacht
haben.
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