25. Oktober 2014

Gymi-Rektoren gegen IQ-Tests

Die Forderung von Elsbeth Stern, wonach in Einzelfällen IQ-Tests beim Übertritt ans Gymnasium durchgeführt werden sollen, hat viel Staub aufgewirbelt. Die Rektoren der Zürcher Gymnasien sind überzeugt, dass die richtigen Schüler die Aufnahmeprüfung und die Probezeit bestehen. 





Sind die richtigen Schüler am richtigen Ort? Bild: Doris Fanconi

Keine IQ-Tests für Gymischüler, Tages Anzeiger, 25.10. von Ev Manz, Mirjam Fuchs und Marisa Eggli


Gymnasium ist ein Reizthema. Ganz besonders dann, wenn es heisst, es besuchten Schüler die Kantonsschulen, obwohl sie eigentlich nicht da hingehörten. Sie seien nur durchschnittlich intelligent und hätten einen IQ, der unter dem Mindestwert für intelligente Schüler und Schülerinnen liegt. Das behauptet die Intelligenzforscherin und ETH-Professorin Elsbeth Stern. Sie plädiert deshalb dafür, in Einzelfällen zusätzlich zur Aufnahmeprüfung ans Gymnasium IQ-Tests einzuführen.
An der Front selbst, sprich an den Gymnasien des Kantons, kommt diese Forderung nicht gut an. Walter Summermatter, Prorektor der Kantonsschule Wiedikon und zuständig für die Unterstufenklassen, sagt: «Die Erfahrungsnoten aus der Primarschule und die Aufnahmeprüfung genügen uns für die Beurteilung, ob ein Kind den inhaltlichen Anforderungen ans Gymnasium gewachsen ist.» Und das sei auch der Fall, wenn es bei der Prüfung einen schlechten Tag erwische. In einem Aufsatz beispielsweise merkten die korrigierenden Lehrer schnell, ob ein Kind über die sprachliche Ausdrucksfähigkeit einer Gymnasiastin oder eines Gymnasiasten verfüge. Die Prüfungen werden zuerst von Lehrern des Gymnasiums und dann noch von Primarlehrern korrigiert. Ihre Erfahrung erlaubt ein fundiertes Urteil. Zudem sei die einsemestrige Probezeit ideal, um die tatsächliche Eignung der Schüler zu prüfen.
Konrad Zollinger, Rektor der Kantonsschule Hohe Promenade, hält von IQ-Tests wenig. Nicht nur, weil die Standards und Messmethoden sich unterscheiden. «Intelligenz entwickelt sich, und man kann sie auch wecken.» Philipp Wettstein, Prorektor des Realgymnasiums Rämibühl, stützt diese Meinung und sagt: «Die Forderung nach IQ-Tests ist überholt und wurde schon erprobt.»
Gleiche Ergebnisse
Tatsächlich hat der Kanton das Aufnahmeverfahren an die Gymnasien vor einigen Jahren überprüft und dafür den IQ-Test «Allgemeine kognitive Fähigkeiten» entwickelt. Diesen haben die Gymnasien während zweier Jahre zusätzlich zum bewährten Verfahren eingesetzt. Es sollte geklärt werden, ob mit einem fächerübergreifenden Test die Chancengleichheit begabter Schülerinnen und Schüler beim Übertritt ins Gymnasium und die Prognose für das Verbleiben im Gymnasium verbessert werden können.
Die Ergebnisse des Tests stimmten stark mit den Ergebnissen des bewährten Aufnahmeverfahrens überein, insbesondere der schriftlichen Prüfung. Deshalb beschloss der Bildungsrat 2011, künftig auf solche Tests zu verzichten. Marc Kummer, Amtschef des Mittelschul- und Berufsbildungsamts des Kantons Zürich, sagt: «Mit anderen Worten: Wir gehen davon aus, dass mit dem bewährten Aufnahmeverfahren jene Jugendlichen ins Gymnasium kommen, die aufgrund ihres Potenzials dort auch hingehören.»
Franziska Widmer, Rektorin der Winterthurer Kantonsschule Rychenberg, teilt Kummers Meinung und ist überzeugt: «Es trifft für unsere Schule nicht zu, dass zu viele Kinder hier sind, die eigentlich nicht hierhergehören.» Die Aufnahmequote sei seit Jahren in etwa gleich, ebenso die Erfolgsquote bei der Probezeit. Die Gymnasialquote liegt im Kanton seit Jahren konstant etwas über 18 Prozent. Im Vergleich mit anderen Kantonen bewegt sich Zürich damit im Mittelfeld.
Verzichten als Voraussetzung
Für Bildungsforscher Urs Moser, der den IQ-Test für den Kanton konzipiert hat, ist die Intelligenz zudem bei weitem nicht die einzige Begabung, die es für einen Gymieintritt braucht. «Ein Kind muss ebenso selbstständig arbeiten und sich organisieren können, bereit sein, die Anstrengung auf sich zu nehmen und zu verzichten.» Zusätzlich braucht es die Unterstützung der Familie.
Ob eine Schülerin diese Fähigkeiten hat, zeigt sich während der Probezeit exemplarisch. An vielen Kantonsschulen müssen die Schülerinnen nach jeder Lektion das Zimmer wechseln, in jedem Fach unterrichten andere Lehrpersonen, gelten andere Regeln. Spätestens dann kommen jene ins Straucheln, die nur dank teuren Vorbereitungskursen die Aufnahmeprüfung bestanden haben. Ein guter Austausch unter den Lehrern, nicht nur am Notenkonvent, sondern auch im Schulalltag sorge dafür, dass nur die geeigneten Schülerinnen und Schüler weiterkommen, so Rektor Zollinger. Marc Kummer fügt an: «Eine auf Förderkurse gestützte gymnasiale Schulzeit ist für die Jugendlichen weder erfolgreich noch hilfreich.»
Potenzial Chagall-Projekt

Noch in den Kinderschuhen steckt die Idee, Jugendliche mit Migrationshintergrund an die gymnasiale Laufbahn heranzuführen. Am privaten Institut Unterstrass läuft das Förderprogramm «Chagall», das leistungsstarke Jugendliche aus eingewanderten und weniger wohlhabenden Familien auf das Kurzgymnasium oder die Berufsmaturitätsschule vorbereitet. Sie besuchen dazu am Mittwochnachmittag und am Samstag zusätzliche Schulstunden. Die Kantonsschule Wiedikon hat sich als Langzeitgymnasium ebenfalls für das Projekt beworben und erhielt von der Bildungsdirektion einen Korb. Erweitert wird das Projekt erst, wenn sich diese Förderung bewährt hat, sprich die geförderten Jugendlichen die Matur gemacht haben.

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