30. Oktober 2014

Burnoutzahlen im Aargau steigen

Jeder dritte Volksschule-Lehrer soll Burnout-gefährdet sein. Auch im Aargau nimmt die Zahl stark zu. 2013 holten rund 400 Lehrerinnen und Lehrer Hilfe. Warum sind so viele Unterrichtende am Ende ihrer Kräfte?




Frauen sind anfälliger für Burnout, Bild: Keystone

Wegen Burnout: 400 Lehrer gehen im Aargau in die Beratung


Jeder dritte Volksschullehrer ist stark Burnout-gefährdet. Zu diesem Schluss kommt eine Nationalfondsstudie, welche die «SonntagsZeitung» publik machte. Im Aargau können sich gestresste und überlastete Lehrer bei der Beratungsstelle ask! Hilfe holen. Abteilungsleiterin Barbara Leu spricht über die steigende Anzahl Ratsuchender und Lehrpersonen, die während des Gesprächs in Tränen ausbrechen. 
Überraschen Sie die Ergebnisse der Studie?
Barbara Leu: Nein, in unserer Beratungsstelle machen wir ähnliche Erfahrungen. Fälle von mangelnder Work-Life-Balance, Erschöpfung, Schlafstörung bis hinzu Depressionen nehmen auch im Aargau spürbar zu.
Können Sie Zahlen nennen?
2013 sind knapp 400 Lehrerinnen und Lehrer zu uns gekommen. Das war bislang der absolute Höhepunkt. 2011 waren es noch rund 300 Fälle. Bei über der Hälfte von ihnen war die Überlastung ein Thema. Massiv zugenommen haben auch Schlafstörungen.
Es werden kaum sämtliche gefährdeten Lehrer zu Ihnen in die Beratung kommen.
Die Dunkelziffer darf nicht unterschätzt werden. Wir wissen nicht, wie viele gar nicht erst Unterstützung suchen oder dies privat tun. Einige werden auch direkt von der Schulleitung auf Verhaltensänderungen hingewiesen. Es ist davon auszugehen, dass es im Aargau noch deutlich mehr Betroffene gibt.
Wie erklären Sie sich die Zunahme?
Der Beruf ist vielfältiger geworden. Lehrpersonen müssen hohen Erwartungen von Schülern und Eltern gerecht werden. Entsprechend häufig sind sie mit Kritik konfrontiert. Dazu kommen immer mehr administrative Aufgaben, immer mehr Sitzungen. Und: Burnout hat es zwar schon immer gegeben, heute wird die Krankheit aber gesellschaftlich akzeptiert statt stigmatisiert. Das hat dazu beigetragen, dass sich Betroffene früher an uns wenden.
Müdigkeit, Schlafstörung, Reizbarkeit, Hoffnungslosigkeit – die Liste möglicher Anzeichen ist lang. Wie soll sich jemand verhalten, der auf ein Burnout zusteuert?
Möglichst rasch Hilfe in Anspruch nehmen. Wer einmal darunter leidet, kommt nicht so leicht wieder raus. Je länger man wartet, desto länger dauert es. Bis jemand wieder Fuss fasst, können Jahre vergehen. Das ist alles andere als lustig, man ist krank.
Welche Lehrpersonen holen sich am häufigsten Hilfe?
Den grössten Teil machen Primarlehrpersonen aus. Doch Burnout lässt sich nicht an eine einzelne Schulstufe festmachen.
Suchen mehr junge oder mehr ältere Personen um Rat?
Sowohl als auch. Die eine Hauptgruppe sind die 26- bis 30-Jährigen, die neu im Beruf sind und deshalb besonders unter Druck stehen. Die andere grosse Gruppe bilden die 46- bis 60-Jährigen, deren Kräfte teilweise nachlassen oder die sich fragen, ob sie mit ihren Methoden gegenüber den jüngeren Kollegen noch bestehen können.
Zu welchem Zeitpunkt kommen die Lehrer in die Beratung?
Das ist unterschiedlich. Einige kommen früh, andere dann, wenn es schon zu spät ist. Es gibt Lehrpersonen, die bei uns nur noch weinen, nicht mehr weiterwissen.
Was machen Sie in solchen Fällen?
Wir empfehlen den Betroffenen, die Arbeit zu unterbrechen oder sich krank schreiben zu lassen. Zudem gilt es zu schauen, wie sie unmittelbar unterstützt werden können. In manchen Fällen reicht aber auch schon, Verhaltensmuster zu ändern und beispielsweise auch mal Nein zu sagen, sich stärker abzugrenzen.
Die Meldung überlasteter Lehrer passt nicht mit dem verbreiteten Klischee zusammen: lange Ferien, hoher Lohn.
Die Ferien sind lang, das stimmt. Oft ist man sich in der Öffentlichkeit aber nicht bewusst, dass Lehrer auch in der unterrichtsfreien Zeit arbeiten. Sie haben einen anforderungsreichen Job.
Beobachten Sie bei Betroffenen Verhaltensmuster, die unnötigerweise zu mehr Stress führen?

Auch Lehrer wollen vor allem einen guten Job machen und vergessen dabei oft, dass gut auch gut genug ist. Manchmal würde es auch einfacher gehen, es muss nicht immer alles perfekt sein. Die Gefahr besteht, dass sie sich sehr stark unter Druck setzen – und plötzlich wird alles zu viel.

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