29. September 2014

"Was für Biel gut ist, muss für Schaffhausen nicht unbedingt richtig sein"

Der Sprachwissenschafter und Germanist Anton Näf über Fremdsprachen in der Schule.



Näf: Englisch für alle - Französisch für die Elite", Bild: NZZ


"Was für Biel gut ist, muss für Schaffhausen nicht unbedingt richtig sein", NZZ, 29.9. von Christophe Büchi



Herr Näf, als Germanistikprofessor an der Universität Neuenburg haben Sie jahrelang französischsprachige Studenten Deutsch gelehrt. Wie gut - oder wie schlecht - können eigentlich die jungen Romands Deutsch?

Die Studenten, die das Fach Germanistik studieren, sind natürlich nicht repräsentativ für die Gesamtpopulation. Von der Matura her bringen diese - nach insgesamt zehn Jahren Deutschunterricht - das Niveau B2 mit, die besten unter ihnen sogar C1, ein relativ hohes Niveau also. Die Deutschkenntnisse bei Abschluss der obligatorischen Schulzeit sind dagegen bei vielen Schülern sehr begrenzt. Deutsch ist eben bei vielen unbeliebt, nicht zuletzt auch deshalb, weil es ein Selektionsfach ist. Und wenn die Motivation und die Einsicht in den Nutzen fehlen, bleibt von den sieben Jahren häppchenweisen Deutschunterrichts nicht viel hängen. Entsprechendes gilt für den Französischunterricht in der Deutschschweiz.

In den letzten Jahren haben die welschen Kantone viel Geld in den Sprachenunterricht investiert, insbesondere auch in die Vorverlegung des Deutschunterrichts in die Primarschule. Hat sich das Deutschniveau der Schulabsolventen dadurch verbessert?

Wenn man diese Frage wirklich beantworten wollte, müsste man mit Schülern vor dreissig Jahren und den heutigen die gleichen Sprachtests durchführen. Dabei käme vielleicht Folgendes heraus: Im Vergleich zu früher wagen es heute die Schüler, auch mit bloss approximativen Kenntnissen etwas zu sagen. Und das scheint mir insgesamt positiv, vor allem für die obligatorische Schule. Ein Bonmot besagt, dass die Romands früher zwar nicht Deutsch sprechen konnten, dies dafür aber korrekt. Heute sei es umgekehrt.

Seit Jahren sind die Kantone gehalten, schon auf Primarschulebene alle Schüler und Schülerinnen in einer zweiten Landessprache unterrichten zu lassen. Bringt dies eine Verbesserung der Sprachenkenntnisse?

Die Promotoren der Einführung von zwei Fremdsprachen für alle gingen nicht nur von sehr optimistischen Erwartungen, sondern auch von einem problematischen Konzept von Chancengleichheit («Allen das Gleiche») aus. Es ist von daher kaum überraschend, dass nun bei vielen Lehrpersonen eine Ernüchterung eingesetzt hat. Nicht alle Kinder sind eben sprachbegabt, genauso wie nicht alle zeichnen oder singen können. Ein Viertel der Primarschüler dürfte mit zwei Fremdsprachen überfordert sein. Unter ihnen auch Migrantenkinder, oft aus sozial benachteiligten Familien, die ja mit vier oder mehr Sprachen zurechtkommen müssen - eine Herkulesaufgabe. Aus Gründen der politischen Korrektheit wird diese Problematik aber kaum thematisiert.

In einem Teil der Deutschschweiz regt sich immer stärkerer Widerstand gegen den Französischunterricht auf Primarschulstufe - man schaue in den Thurgau oder nach Nidwalden. Zwei Fremdsprachen seien zu viel, wird argumentiert. Sie haben wiederholt ein gewisses Verständnis hierfür geäussert. Warum?

Es ist nicht erstaunlich, dass der Widerstand von der östlichen Deutschschweiz her kommt. Was für das zweisprachige Biel sinnvoll ist, braucht nicht unbedingt auch für Schaffhausen oder das St. Galler Rheintal richtig zu sein. Die Lehrpersonen beklagen, dass die Vermittlung von zwei Fremdsprachen wegen ungenügender Rahmenbedingungen zu einer Art spassgetriebener Veranstaltung wird, bei der das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag nicht stimmt.

Es heisst immer wieder, je früher man beginne, Sprachen zu lernen, desto besser. Stimmt das?

In dieser allgemeinen Form sicher nicht. Als die EDK vor rund zehn Jahren die Weichen für den frühen Fremdsprachenunterricht stellte, gab es die Vorstellung, dass es ein frühes, für den Spracherwerb optimales «Zeitfenster» gebe. Das konnte aber empirisch nicht erhärtet werden - ja, es trifft das Gegenteil zu: Ältere Kinder und Erwachsene lernen schneller. Der Slogan «early is better» trifft am ehesten noch für die Aussprache zu. Unbestritten - aber unter den Bedingungen der Schule kaum realisierbar - sind dagegen die Grundsätze «more is better» und «better is better».

Der Gegensatz zwischen jenen, die an den zwei Fremdsprachen in der Primarschule festhalten, und jenen, die sich widersetzen, scheint schwer überwindbar. Was raten Sie den Kantonen?


Man kann sich verschiedene Lösungen vorstellen. Wenn man Französisch auf der Primarstufe beibehält, könnte man die schwächeren Schüler von diesem Fach dispensieren. Für die östliche Deutschschweiz habe ich einmal das Prinzip «Englisch für alle, Französisch für die Elite» vorgeschlagen, sozusagen wie früher das Latein. Das würde die zweitgrösste Landessprache zweifellos aufwerten. Auf der Sekundarstufe I wäre der Französischunterricht nur noch bei den Anforderungsstufen A und B obligatorisch. Französisch bleibt in meiner Sicht auch östlich der Reuss wichtig, insbesondere für jene Schüler, die später gesamtschweizerische Funktionen ausüben. Wenn man vom 7. bis 9. Schuljahr die Stundendotation auf 4 Lektionen pro Woche erhöht (eventuell auf Kosten des Englischen), erreicht man fast die gleiche Gesamtstundenzahl wie bei 7 Jahren mit 2 Lektionen. So könnte gewährleistet werden, dass das Französischniveau am Ende der Schulzeit jenem des Englischen entspricht.

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