Näf: Englisch für alle - Französisch für die Elite", Bild: NZZ
"Was für Biel gut ist, muss für Schaffhausen nicht unbedingt richtig sein", NZZ, 29.9. von Christophe Büchi
Herr Näf, als
Germanistikprofessor an der Universität Neuenburg haben Sie jahrelang
französischsprachige Studenten Deutsch gelehrt. Wie gut - oder wie schlecht -
können eigentlich die jungen Romands Deutsch?
Die Studenten,
die das Fach Germanistik studieren, sind natürlich nicht repräsentativ für die
Gesamtpopulation. Von der Matura her bringen diese - nach insgesamt zehn Jahren
Deutschunterricht - das Niveau B2 mit, die besten unter ihnen sogar C1, ein
relativ hohes Niveau also. Die Deutschkenntnisse bei Abschluss der
obligatorischen Schulzeit sind dagegen bei vielen Schülern sehr begrenzt.
Deutsch ist eben bei vielen unbeliebt, nicht zuletzt auch deshalb, weil es ein
Selektionsfach ist. Und wenn die Motivation und die Einsicht in den Nutzen
fehlen, bleibt von den sieben Jahren häppchenweisen Deutschunterrichts nicht
viel hängen. Entsprechendes gilt für den Französischunterricht in der
Deutschschweiz.
In den letzten
Jahren haben die welschen Kantone viel Geld in den Sprachenunterricht
investiert, insbesondere auch in die Vorverlegung des Deutschunterrichts in die
Primarschule. Hat sich das Deutschniveau der Schulabsolventen dadurch
verbessert?
Wenn man diese
Frage wirklich beantworten wollte, müsste man mit Schülern vor dreissig Jahren
und den heutigen die gleichen Sprachtests durchführen. Dabei käme vielleicht
Folgendes heraus: Im Vergleich zu früher wagen es heute die Schüler, auch mit
bloss approximativen Kenntnissen etwas zu sagen. Und das scheint mir insgesamt
positiv, vor allem für die obligatorische Schule. Ein Bonmot besagt, dass die
Romands früher zwar nicht Deutsch sprechen konnten, dies dafür aber korrekt.
Heute sei es umgekehrt.
Seit Jahren
sind die Kantone gehalten, schon auf Primarschulebene alle Schüler und
Schülerinnen in einer zweiten Landessprache unterrichten zu lassen. Bringt dies
eine Verbesserung der Sprachenkenntnisse?
Die Promotoren
der Einführung von zwei Fremdsprachen für alle gingen nicht nur von sehr
optimistischen Erwartungen, sondern auch von einem problematischen Konzept von
Chancengleichheit («Allen das Gleiche») aus. Es ist von daher kaum
überraschend, dass nun bei vielen Lehrpersonen eine Ernüchterung eingesetzt
hat. Nicht alle Kinder sind eben sprachbegabt, genauso wie nicht alle zeichnen
oder singen können. Ein Viertel der Primarschüler dürfte mit zwei Fremdsprachen
überfordert sein. Unter ihnen auch Migrantenkinder, oft aus sozial
benachteiligten Familien, die ja mit vier oder mehr Sprachen zurechtkommen
müssen - eine Herkulesaufgabe. Aus Gründen der politischen Korrektheit wird
diese Problematik aber kaum thematisiert.
In einem Teil
der Deutschschweiz regt sich immer stärkerer Widerstand gegen den
Französischunterricht auf Primarschulstufe - man schaue in den Thurgau oder
nach Nidwalden. Zwei Fremdsprachen seien zu viel, wird argumentiert. Sie haben
wiederholt ein gewisses Verständnis hierfür geäussert. Warum?
Es ist nicht
erstaunlich, dass der Widerstand von der östlichen Deutschschweiz her kommt.
Was für das zweisprachige Biel sinnvoll ist, braucht nicht unbedingt auch für
Schaffhausen oder das St. Galler Rheintal richtig zu sein. Die Lehrpersonen
beklagen, dass die Vermittlung von zwei Fremdsprachen wegen ungenügender
Rahmenbedingungen zu einer Art spassgetriebener Veranstaltung wird, bei der das
Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag nicht stimmt.
Es heisst immer
wieder, je früher man beginne, Sprachen zu lernen, desto besser. Stimmt das?
In dieser
allgemeinen Form sicher nicht. Als die EDK vor rund zehn Jahren die Weichen für
den frühen Fremdsprachenunterricht stellte, gab es die Vorstellung, dass es ein
frühes, für den Spracherwerb optimales «Zeitfenster» gebe. Das konnte aber
empirisch nicht erhärtet werden - ja, es trifft das Gegenteil zu: Ältere Kinder
und Erwachsene lernen schneller. Der Slogan «early is better» trifft am ehesten
noch für die Aussprache zu. Unbestritten - aber unter den Bedingungen der
Schule kaum realisierbar - sind dagegen die Grundsätze «more is better» und
«better is better».
Der Gegensatz
zwischen jenen, die an den zwei Fremdsprachen in der Primarschule festhalten,
und jenen, die sich widersetzen, scheint schwer überwindbar. Was raten Sie den
Kantonen?
Man kann sich
verschiedene Lösungen vorstellen. Wenn man Französisch auf der Primarstufe
beibehält, könnte man die schwächeren Schüler von diesem Fach dispensieren. Für
die östliche Deutschschweiz habe ich einmal das Prinzip «Englisch für alle,
Französisch für die Elite» vorgeschlagen, sozusagen wie früher das Latein. Das
würde die zweitgrösste Landessprache zweifellos aufwerten. Auf der
Sekundarstufe I wäre der Französischunterricht nur noch bei den
Anforderungsstufen A und B obligatorisch. Französisch bleibt in meiner Sicht
auch östlich der Reuss wichtig, insbesondere für jene Schüler, die später
gesamtschweizerische Funktionen ausüben. Wenn man vom 7. bis 9. Schuljahr die
Stundendotation auf 4 Lektionen pro Woche erhöht (eventuell auf Kosten des
Englischen), erreicht man fast die gleiche Gesamtstundenzahl wie bei 7 Jahren
mit 2 Lektionen. So könnte gewährleistet werden, dass das Französischniveau am
Ende der Schulzeit jenem des Englischen entspricht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen