Ob die frühere Einschulung vorteilhaft ist, bleibt umstritten, Bild: Schule Mels
Die Schulpflicht ruft früher, NZZ, 12.9. von Seraina Kobler
Grosse
Einigkeit herrschte, als das Schweizer Stimmvolk am 21. Mai 2006 die revidierten
Bildungsartikel mit einem deutlichen Mehr von 86 Prozent Ja-Stimmen annahm.
Seit acht Jahren ist die Harmonisierung der wichtigsten Strukturen der
Volksschule Pflicht. 15 Kantone sind in dieser Zeit dem
Harmonisierungs-Konkordat (Harmos) beigetreten. In ihnen leben über 76 Prozent
der Wohnbevölkerung.
Grössere Altersunterschiede
Der
Kindergarten wird überall obligatorisch, und das Einschulungsalter wird
schrittweise auf 4 Jahre gesenkt. Dies kann in einigen Kantonen für eine
gewisse Zeit zu grösseren Altersunterschieden im Kindergarten führen. Über den
pädagogischen Sinn der Herabsetzung des Eintrittsalters lässt sich streiten.
Sicher ist aber: Für die Betreuungssysteme hat sie Auswirkungen. Im Kanton
Wallis etwa. Dort werden zwar Kindertagesstätten entlastet, gleichzeitig stösst
aber die schulergänzende Betreuung an ihre Grenzen, wie der «Walliser Bote»
schreibt. Das neue Gesetz über die Primarschule verstärke die schon vorhandenen
Engpässe bei den Hortplätzen. Dafür würden die Wartelisten bei Krippen etwas
kürzer.
Auch im
Kanton Zürich verschiebt sich der Stichtag - und der Druck auf die Horte
steigt. Gehen die Kinder bis zu ihrem vierten Lebensjahr in die Krippe und vom
vierten bis zum zwölften in den Hort, dann braucht es dort doppelt so viele Plätze,
wie die Kibesuisse-Co-Geschäftsführerin Talin Stoffel vorrechnet. Die Eltern
würden das Arbeitspensum bei der Einschulung «ja eher hoch- statt
runterfahren». Deshalb werde man sich beim neu zusammengeschlossenen Verband
Kibesuisse «verstärkt um das Thema kümmern». Der Hortbereich sei derzeit im
Aufbau, auf das nächste Jahr würden erste Empfehlungen herausgegeben. Wichtig
sei in der Krippe oder eben später im Kindergarten, dass die Kinder trotz
früher obligatorischer Einschulung ihrem Alter angemessene Infrastruktur und
Betreuungsschlüssel (Verhältnis Lehrpersonen zu Kinder) vorfänden. So brauche
beispielsweise ein Vierjähriger mehr Rückzugsorte als ein Sechsjähriger.
Die
Finanzierung der familien- und schulergänzenden Betreuung ist eine der grossen
Herausforderungen der nächsten Jahre. «Hier müssen gemeinsam Lösungen gefunden
werden», sagt Talin Stoffel. Der finanzielle Druck durch die Krippenkosten sei
für viele Eltern so gross, dass sie ihre Kinder exakt auf den Stichtag
einschulten und eine Zurückstellung nicht in Betracht zögen. «Als Folge der
Herabsetzung des Eintrittsalters muss der Betreuungsschlüssel im Kindergarten
überdacht und den Realitäten angepasst werden», fordert Stoffel.
Forschung ist sich uneinig
Als eher
klein beurteilt Christoph Eymann, Erziehungsdirektor des Kantons Basel-Stadt
und Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz, die Veränderungen bei der
«Einschulung». Diese werde immer als Beginn des schulischen Unterrichts
verstanden, aber darum gehe es nicht. Das Lernen erfolge im Kindergarten
spielerisch und individuell. In den meisten Kantonen habe sich der Stichtag von
Ende April auf Ende Juli verschoben. Damit werde der Kindergarten allen Kindern
zugänglich gemacht, sagt Eymann.
Daten aus den
Pisa-Studien bestätigten, dass Kinder vom Besuch einer Vorschulinstitution
profitierten. Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten erfolge die
Einschulung in der Schweiz noch immer spät. Laut der emeritierten
Erziehungswissenschafterin Margrit Stamm ist sich die Forschung aber uneins
über die Auswirkungen von zu früher Einschulung. «Es gibt Studien, die zeigen,
dass eine verfrühte Einschulung Vorteile haben kann - andere belegen das
Gegenteil», sagt Stamm. Wichtig sei die Unterstützung im Elternhaus und dass
das Kind vorher eine Kinderkrippe besucht hat.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen