12. September 2014

Tieferes Einschulungsalter sorgt für neue Herausforderungen

Harmos sorgt für einen früheren Kindergarteneintritt. Dies hat - wie sich nun zeigt - Auswirkungen auf die verschiedenen Betreuungsangebote.




Ob die frühere Einschulung vorteilhaft ist, bleibt umstritten, Bild: Schule Mels

Die Schulpflicht ruft früher, NZZ, 12.9. von Seraina Kobler



Grosse Einigkeit herrschte, als das Schweizer Stimmvolk am 21. Mai 2006 die revidierten Bildungsartikel mit einem deutlichen Mehr von 86 Prozent Ja-Stimmen annahm. Seit acht Jahren ist die Harmonisierung der wichtigsten Strukturen der Volksschule Pflicht. 15 Kantone sind in dieser Zeit dem Harmonisierungs-Konkordat (Harmos) beigetreten. In ihnen leben über 76 Prozent der Wohnbevölkerung.
Grössere Altersunterschiede
Der Kindergarten wird überall obligatorisch, und das Einschulungsalter wird schrittweise auf 4 Jahre gesenkt. Dies kann in einigen Kantonen für eine gewisse Zeit zu grösseren Altersunterschieden im Kindergarten führen. Über den pädagogischen Sinn der Herabsetzung des Eintrittsalters lässt sich streiten. Sicher ist aber: Für die Betreuungssysteme hat sie Auswirkungen. Im Kanton Wallis etwa. Dort werden zwar Kindertagesstätten entlastet, gleichzeitig stösst aber die schulergänzende Betreuung an ihre Grenzen, wie der «Walliser Bote» schreibt. Das neue Gesetz über die Primarschule verstärke die schon vorhandenen Engpässe bei den Hortplätzen. Dafür würden die Wartelisten bei Krippen etwas kürzer.
Auch im Kanton Zürich verschiebt sich der Stichtag - und der Druck auf die Horte steigt. Gehen die Kinder bis zu ihrem vierten Lebensjahr in die Krippe und vom vierten bis zum zwölften in den Hort, dann braucht es dort doppelt so viele Plätze, wie die Kibesuisse-Co-Geschäftsführerin Talin Stoffel vorrechnet. Die Eltern würden das Arbeitspensum bei der Einschulung «ja eher hoch- statt runterfahren». Deshalb werde man sich beim neu zusammengeschlossenen Verband Kibesuisse «verstärkt um das Thema kümmern». Der Hortbereich sei derzeit im Aufbau, auf das nächste Jahr würden erste Empfehlungen herausgegeben. Wichtig sei in der Krippe oder eben später im Kindergarten, dass die Kinder trotz früher obligatorischer Einschulung ihrem Alter angemessene Infrastruktur und Betreuungsschlüssel (Verhältnis Lehrpersonen zu Kinder) vorfänden. So brauche beispielsweise ein Vierjähriger mehr Rückzugsorte als ein Sechsjähriger.
Die Finanzierung der familien- und schulergänzenden Betreuung ist eine der grossen Herausforderungen der nächsten Jahre. «Hier müssen gemeinsam Lösungen gefunden werden», sagt Talin Stoffel. Der finanzielle Druck durch die Krippenkosten sei für viele Eltern so gross, dass sie ihre Kinder exakt auf den Stichtag einschulten und eine Zurückstellung nicht in Betracht zögen. «Als Folge der Herabsetzung des Eintrittsalters muss der Betreuungsschlüssel im Kindergarten überdacht und den Realitäten angepasst werden», fordert Stoffel.
Forschung ist sich uneinig
Als eher klein beurteilt Christoph Eymann, Erziehungsdirektor des Kantons Basel-Stadt und Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz, die Veränderungen bei der «Einschulung». Diese werde immer als Beginn des schulischen Unterrichts verstanden, aber darum gehe es nicht. Das Lernen erfolge im Kindergarten spielerisch und individuell. In den meisten Kantonen habe sich der Stichtag von Ende April auf Ende Juli verschoben. Damit werde der Kindergarten allen Kindern zugänglich gemacht, sagt Eymann.

Daten aus den Pisa-Studien bestätigten, dass Kinder vom Besuch einer Vorschulinstitution profitierten. Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten erfolge die Einschulung in der Schweiz noch immer spät. Laut der emeritierten Erziehungswissenschafterin Margrit Stamm ist sich die Forschung aber uneins über die Auswirkungen von zu früher Einschulung. «Es gibt Studien, die zeigen, dass eine verfrühte Einschulung Vorteile haben kann - andere belegen das Gegenteil», sagt Stamm. Wichtig sei die Unterstützung im Elternhaus und dass das Kind vorher eine Kinderkrippe besucht hat.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen