Das Kind erhält eine schlechte Note,
die Eltern beschweren sich. Das ist Courant normal. Aber nicht, wenn der Vater
einer Jungathletin wegen einer knapp genügenden Turnnote an die Tessiner
Regierung gelangt. Und schon gar nicht, wenn der Staatsrat die Ablehnung des
Rekurses auf sechs Briefseiten begründet und der erboste Vater nun an das
Tessiner Verwaltungsgericht appellieren will. Hierbei geht es um
Zukunftsperspektiven: Wegen der Turnnote 4 kann die 14-jährige Tochter nicht
ins Nationale Sportzentrum in Tenero wechseln, um die Matura für den
Profisport-Nachwuchs zu absolvieren.
Note 4 für Jungathletin, Bild: haz.de
Jungathletin mit Turnnote 4, NZZ, 2.9. von Peter Jankovski
Das Mädchen nahm vor einigen Monaten an den
Europameisterschaften im Kunstturnen teil. Für ihre Resultate erhielt sie einen
Lobesbrief von Staatsrat Manuele Bertoli, Chef des Departements für Erziehung,
Kultur und Sport. Er spricht darin von einem positiven Beispiel für alle
Tessiner Jugendlichen. Für solches Lob arbeitet die Jungsportlerin hart: Sie
trainiert 30 Stunden pro Woche und nimmt zeitweise nur selten am gewöhnlichen Turnunterricht
teil. Deswegen habe die Lehrerin die Kunstturnerin anhand weniger Beobachtungen
beurteilen müssen, so die Tessiner Regierung. Laut deren Schreiben war der
eigentliche Schwachpunkt ausgerechnet eine musikalische Bewegungsstudie: Für
den praktischen Teil erhielt das Mädchen bloss ein Genügend, für den
theoretischen gar ein Ungenügend.
Die simple psychologische Erklärung hierfür liegt auf der
Hand, doch die Schuldirektion hat eine andere parat. Unter «Turnen» sei viel
mehr zu verstehen als einst, so dass überdurchschnittliche Sportleistungen
nicht automatisch gute Noten bedeuteten. Dazu führt die Schulleitung
pädagogische Grundsatz-Erwägungen ins Feld - und wenn es um Grundsätzliches
geht, müssen sich Erziehungsdirektor Bertoli und seine Regierungskollegen
standfest geben. Das ist institutionelle Psychologie.
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