Spürbare Entlastung bei weniger Lehrkräften, Bild: Georgios Kefalas
Wenn vertraute Rollen neu verteilt werden, NZZ, 2.9. von Walter Bernet
Eigentlich würde man an der Hedi-Lang-Strasse
1 ein Elektrofachgeschäft oder ein Nail-Studio erwarten. Der kahle Neubau liegt
direkt an einem Kreisel im Wetziker Widum-Quartier, das erst in Teilen steht.
Für viel Umschwung fehlt der Platz, spärlich spriesst etwas Grün. Dass sich im
Erdgeschoss die Wetziker Schuleinheit Guldisloo mit zwei Kindergartenklassen
eingemietet hat, ist auf die vielen Neuzuzüger zurückzuführen. Wer zu Besuch
ist, vergisst die Umgebung aber rasch. Viel haben die beiden Kindergärtnerinnen
Martina Aschwanden und Eve Eisenhut in einer einzigen Schulwoche mit ihren zur
Hälfte neu eingetretenen Schützlingen erreicht. Hand, Fuss, Bein, Bauch, Haare,
Nase, Hals sind das Thema, manches Händchen schiesst schon jetzt nach oben,
bevor es aus dem Mund zu sprudeln beginnt. Aus anderen Gesichtchen spricht noch
Scheu und Verlegenheit. Die Unterschiede sind enorm, die Hälfte der Kinder
braucht Unterricht in Deutsch als Zweitsprache (DaZ).
Auf dem richtigen Weg
Es ist kein gewöhnlicher Kindergarten. Die
beiden Kindergärtnerinnen sind meistens gemeinsam im Einsatz und teilen die
Verantwortung für die Klasse. Sie erteilen auch den DaZ-Unterricht. Wir wohnen
der allerersten Lektion im neuen Schuljahr bei und merken es kaum: Ein kleines
Ritual, ein Lied leitet den Wechsel zum Hochdeutschen ein. Alle machen mit; die
DaZ-Schüler sind nicht von anderen zu unterscheiden. Die Lektion ist integriert
in den Tagesablauf der ganzen Gruppe. Die DaZ-Spezialistin der Schule ist nicht
da, sie steht den beiden Kindergärtnerinnen nur beratend zur Seite.
Die Schule Guldisloo mit ihren Kindergärten
und ihren sieben Primarklassen gehört zu jenen fünf Schuleinheiten, die sich
2013 spontan für den im Januar lancierten Schulversuch «Fokus starke
Lernbeziehungen» gemeldet hatten - im Wissen um die tiefgreifenden
organisatorischen und pädagogischen Veränderungen, die das mit sich bringt. Sie
habe das Team damals nicht überzeugen müssen, sagt Schulleiterin Cornelia
Battaglia. Es sei eine Art Bauchentscheid des Teams gewesen. Weil die meisten Lehrkräfte
mit hohen Teilzeitpensen angestellt seien, habe die Umstellung gut geklappt.
Das Teilen der Verantwortung sei erheblich schwieriger, wenn einer der beiden
Partner deutlich weniger unterrichte als der andere. Battaglia bereut den
Schritt nicht. Zu wichtig seien enge Lehrer-Schüler-Beziehungen für den
Lernprozess. Als Schulleiterin, Lehrerin und Mutter sei sie überzeugt, auf dem
richtigen Weg zu sein.
Letzte Woche hat Bildungsdirektorin Regine
Aeppli Guldisloo-Klassen besucht, um sich ein Bild von der Umsetzung des
Schulversuchs zu machen. Als lebendig und differenziert erlebte die
Bildungsdirektorin den anschliessenden Meinungsaustausch im Lehrerzimmer mit
der Schulleitung, mit Klassen- und anderen Lehrkräften, mit schulischen
Heilpädagogen sowie Mitgliedern der Schulpflege und der Fachstelle für
Schulpsychologie. Die Fragen, die sich rund um den Schulversuch stellten, seien
offen zur Sprache gekommen. Nachvollziehbar sei etwa die Unsicherheit bezüglich
der Rollenverteilung und der Zusammenarbeit zwischen Klassenlehrperson und
schulischer Heilpädagogin. Die eine oder andere Klassenlehrerin vermisse denn
auch die Anwesenheit der fachkundigen Heilpädagogin in der direkten Arbeit mit
den Schülerinnen und Schülern.
Da liegt offensichtlich ein Spannungsfeld in
der Übungsanlage des Versuchs, das auch in Wetzikon für Gesprächsstoff sorgt.
Es beginnt bei Problemen der Aus- und Weiterbildung im Zusammenhang mit der
Übernahme zusätzlicher Aufgaben durch Klassenlehrkräfte und dem Einsatz
schulischer Heilpädagogen als Regellehrkräfte. Und es endet bei Gehaltsfragen,
denn schulische Heilpädagogen haben nach dem Lehrerdiplom einen zusätzlichen
Masterstudiengang abgeschlossen und werden deshalb lohnmässig höher eingestuft.
Konkret stellt sich die Lohnfrage aber erst bei der Überführung des Versuchs in
den Normalbetrieb.
Spürbare Entlastung
All diese Unsicherheiten tauchen nicht ganz
unerwartet auf. Schon im Vorfeld des Versuchs waren sie Gesprächsthema zwischen
der Pädagogischen Hochschule Zürich und der Hochschule für Heilpädagogik (HfH).
Eine Ergänzung der normalen Lehrerausbildung um einen heilpädagogischen Teil
für den Bereich der integrativen Förderung sei auch für die HfH eine Option,
sagt Aeppli. Im Versuch erprobe man ja nicht neue Formen der Sonderschulung, sondern
allein die Übertragung von Förderaufgaben, die bisher an Spezialisten delegiert
worden seien, an die beiden Klassenlehrerinnen. Dazu gehören die Förderung von
lernschwachen, verhaltensauffälligen, aber auch besonders begabten Kindern
sowie der DaZ-Unterricht.
Die grösste Umstellung im Versuch erfährt
jedoch die Rolle der schulischen Heilpädagogen, die neu als Berater der
Unterrichtenden wirken und nicht mehr direkt mit den Schülern arbeiten. Wichtig
sei es jetzt, Erfahrungen zu sammeln und die Entwicklung zu verfolgen, um sie
wie bei jedem Schulversuch dann zu evaluieren und zu bewerten, sagt Aeppli.
Nach Battaglias ersten Erfahrungen ist es schwieriger geworden, Lehrkräfte für
das Zusatzstudium in schulischer Heilpädagogik zu motivieren. Umgekehrt finden
Klassenlehrkräfte, ihre Ausbildung genüge den neuen Anforderungen zu wenig.
Vor allem im Kindergarten und in der
Unterstufe hat der Versuch nach Aussage verschiedener Lehrkräfte aber zu einer
deutlich spürbaren Entlastung und Beruhigung geführt. Da war die Zahl ein und
aus gehender Spezialisten für alle möglichen Therapien besonders hoch.
Klassenlehrer empfinden es als geradezu befreiend, auch einmal spontan eine
Exkursion machen zu können, ohne sich schon Wochen im Voraus mit allen
Beteiligten absprechen zu müssen. Und Eltern reagieren überaus positiv darauf,
dass sie nur noch zwei Ansprechpartner haben, die gleichermassen Verantwortung
tragen.
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