Borers Vorstoss wird am Montag im Zürcher Kantonsrat diskutiert, Bild: Smartvote
Lehrpläne vor das Volk? NZZ, 20.9. von Walter Bernet
Der Lehrplan 21 ist schwerverdauliche Kost. Deshalb
gehört er zu jener Gattung Literatur, die zwar heiss diskutiert, aber kaum
gelesen wird. Unbestritten ist wohl, dass seine Inhalte auch von politischer
Relevanz sind. Muss deshalb aber ein politisch zusammengesetztes Gremium über
ihn entscheiden? Die Zürcher haben die Frage mit ihrem Ja zum Bildungsgesetz
2002 mit Nein beantwortet: Zuständig für die Lehrpläne der Volksschule und
damit auch für die kantonale Umsetzung des Lehrplans 21 ist der Bildungsrat, ein
gesellschaftlich ausgewogen zusammengesetztes, vom Kantonsrat gewähltes
Fachgremium.
Am Montag wird die Frage im
kantonalen Parlament aber erneut diskutiert. Anlass dazu gibt die
«parlamentarische Initiative betreffend Mitsprache beim Lehrplan» von Anita
Borer (svp., Uster). Sie verlangt, dass der Bildungsrat lediglich einen
Vorschlag für den Lehrplan erarbeitet, dieser dann aber im Kantonsrat behandelt
und verabschiedet wird. Der Beschluss des Parlaments wäre dann
referendumsfähig. Das letzte Wort hätte also das Volk.
Die vielen kritischen
Stimmen zum Lehrplan 21 seien ein gutes Argument dafür, dass seine Umsetzung im
Kanton Zürich eine breitere Diskussion und mehr politische Mitsprache nötig
mache, meint Borer. Parlament und Volk sollten Einflussmöglichkeiten haben,
schliesslich sei ein Lehrplan mit seiner Praxisnähe eine wichtige Grundlage für
den Schulunterricht. Trotz den breiten Konsultationen, die zur laufenden
Überarbeitung führten, und trotz der auf kantonaler Ebene nochmals vorgesehenen
Vernehmlassung fühlten sich viele Interessierte von der Einflussnahme
ausgeschlossen, sagt Borer.
Als der Lehrplan 21 nach
langer Vorarbeit endlich vorgestellt wurde, sei sie über das Ergebnis
erschrocken, sagt die junge Kantonsrätin. Statt einer Harmonisierung im Sinne
klarer Leitplanken mit Spielraum für die Kantone sei ein komplexes, dickes Werk
herausgekommen, das den Kantonen detaillierte Vorschriften mache. Ohne breite
demokratische Mitsprache aller, letztlich auch des Volkes, sei das nicht
akzeptabel. Sie traue dem Kantonsrat und dem Volk zu, vernünftige Entscheide zu
fällen. Man brauche nicht unbedingt didaktisches Fachwissen, um beispielsweise
über die Frage der Ausrichtung auf Kompetenzen zu befinden.
Borer hat im Ratsplenum
schlechte Karten. In der vorberatenden Kommission fiel ihre Initiative mit 9 zu
5 Stimmen durch. Nur die SVP-, EVP- und EDU-Vertreter unterstützten sie. Das
Resultat wird wohl eindeutig ausfallen. Aufgeben wird Borer aber nicht. Eine
entsprechende Volksinitiative hält sie durchaus für eine Option. Sie will aber
erst über mögliche weitere Schritte nachdenken, wenn das Ergebnis der
Ratsdebatte feststeht.
Die klare Mehrheit in der
Kommission für Bildung und Kultur ist der Meinung, der neue Lehrplan sei schon
bis anhin über die Expertengremien hinaus legitimiert. Er werde es im Kanton
Zürich durch den vorgesehenen Umsetzungsprozess noch mehr sein, sagt
stellvertretend Kommissionspräsident Ralf Margreiter (gp., Zürich). Der
Kantonsrat sei das falsche Gremium, die parlamentarische Entscheidungsmechanik
ungeeignet. Natürlich sei der Lehrplan kein unpolitisches Dokument. Aber die
Diskussion müsse fachlich geführt werden, damit der Lehrplan konsistent bleibe.
Er dürfe nicht zum Spielball politischer Partikularinteressen werden. «Man
stelle sich eine Ratsdebatte zum Lehrplan vor», sagt Margreiter, «das wäre die
Richtplandebatte im Quadrat.» Wenig erspriesslich also.
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