21. September 2014

Lehrplan 21 vors Volk

Mit einer parlamentarischen Initiative will die Zürcher Kantonsrätin Anita Borer (SVP) erreichen, dass das Parlament über die Umsetzung des Lehrplans 21 befinden kann. Eine Mehrheit hält das für unsinnig.




Borers Vorstoss wird am Montag im Zürcher Kantonsrat diskutiert, Bild: Smartvote

Lehrpläne vor das Volk? NZZ, 20.9. von Walter Bernet



Der Lehrplan 21 ist schwerverdauliche Kost. Deshalb gehört er zu jener Gattung Literatur, die zwar heiss diskutiert, aber kaum gelesen wird. Unbestritten ist wohl, dass seine Inhalte auch von politischer Relevanz sind. Muss deshalb aber ein politisch zusammengesetztes Gremium über ihn entscheiden? Die Zürcher haben die Frage mit ihrem Ja zum Bildungsgesetz 2002 mit Nein beantwortet: Zuständig für die Lehrpläne der Volksschule und damit auch für die kantonale Umsetzung des Lehrplans 21 ist der Bildungsrat, ein gesellschaftlich ausgewogen zusammengesetztes, vom Kantonsrat gewähltes Fachgremium.
Am Montag wird die Frage im kantonalen Parlament aber erneut diskutiert. Anlass dazu gibt die «parlamentarische Initiative betreffend Mitsprache beim Lehrplan» von Anita Borer (svp., Uster). Sie verlangt, dass der Bildungsrat lediglich einen Vorschlag für den Lehrplan erarbeitet, dieser dann aber im Kantonsrat behandelt und verabschiedet wird. Der Beschluss des Parlaments wäre dann referendumsfähig. Das letzte Wort hätte also das Volk.
Die vielen kritischen Stimmen zum Lehrplan 21 seien ein gutes Argument dafür, dass seine Umsetzung im Kanton Zürich eine breitere Diskussion und mehr politische Mitsprache nötig mache, meint Borer. Parlament und Volk sollten Einflussmöglichkeiten haben, schliesslich sei ein Lehrplan mit seiner Praxisnähe eine wichtige Grundlage für den Schulunterricht. Trotz den breiten Konsultationen, die zur laufenden Überarbeitung führten, und trotz der auf kantonaler Ebene nochmals vorgesehenen Vernehmlassung fühlten sich viele Interessierte von der Einflussnahme ausgeschlossen, sagt Borer.
Als der Lehrplan 21 nach langer Vorarbeit endlich vorgestellt wurde, sei sie über das Ergebnis erschrocken, sagt die junge Kantonsrätin. Statt einer Harmonisierung im Sinne klarer Leitplanken mit Spielraum für die Kantone sei ein komplexes, dickes Werk herausgekommen, das den Kantonen detaillierte Vorschriften mache. Ohne breite demokratische Mitsprache aller, letztlich auch des Volkes, sei das nicht akzeptabel. Sie traue dem Kantonsrat und dem Volk zu, vernünftige Entscheide zu fällen. Man brauche nicht unbedingt didaktisches Fachwissen, um beispielsweise über die Frage der Ausrichtung auf Kompetenzen zu befinden.
Borer hat im Ratsplenum schlechte Karten. In der vorberatenden Kommission fiel ihre Initiative mit 9 zu 5 Stimmen durch. Nur die SVP-, EVP- und EDU-Vertreter unterstützten sie. Das Resultat wird wohl eindeutig ausfallen. Aufgeben wird Borer aber nicht. Eine entsprechende Volksinitiative hält sie durchaus für eine Option. Sie will aber erst über mögliche weitere Schritte nachdenken, wenn das Ergebnis der Ratsdebatte feststeht.
Die klare Mehrheit in der Kommission für Bildung und Kultur ist der Meinung, der neue Lehrplan sei schon bis anhin über die Expertengremien hinaus legitimiert. Er werde es im Kanton Zürich durch den vorgesehenen Umsetzungsprozess noch mehr sein, sagt stellvertretend Kommissionspräsident Ralf Margreiter (gp., Zürich). Der Kantonsrat sei das falsche Gremium, die parlamentarische Entscheidungsmechanik ungeeignet. Natürlich sei der Lehrplan kein unpolitisches Dokument. Aber die Diskussion müsse fachlich geführt werden, damit der Lehrplan konsistent bleibe. Er dürfe nicht zum Spielball politischer Partikularinteressen werden. «Man stelle sich eine Ratsdebatte zum Lehrplan vor», sagt Margreiter, «das wäre die Richtplandebatte im Quadrat.» Wenig erspriesslich also.

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