25. September 2014

"Es wird immer teurer, dümmer zu werden"

Der Titel stammt von der SVP, die nach den Pisa-Resultaten der Aargauer Schüler die Entlassung von Volksschulamtschef Aeberli fordert. Die Aargauer Volksschule leidet unter einer wachsenden Zahl von Problemschülern. Dennoch bleibt der Harmos-Beitritt im Aargau kein Thema.




Bildungsdirektor Hürzeler will den Reformeifer abkühlen, Bild: Keystone

Nur nach dem Takt der Bevölkerung, Basler Zeitung, 24.9. von Thomas Dähler



«Es wird immer teurer, dümmer zu werden!» So hat die Aargauer SVP gestern die schlechten Pisa-Ergebnisse der Volksschule im Nachbarkanton gegeisselt. Dabei ist der Kanton Aargau weit davon entfernt, ein mit dem Baselbiet vergleichbares Reform-­Chaos zu veranstalten. Gleichwohl leidet auch die Aargauer Volksschule unter einer wachsenden Zahl von Problemschülern. Auch ohne Mitgliedschaft im Harmos-Konkordat sind die Herausforderungen für die Aargauer Schulen gross. Doch der Kanton Aargau begegnet diesen Herausforderungen mit weit weniger Reformplänen als das Baselbiet.
Landessprache Absage erteilt
Die Harmonisierungsdiskussion, die nach der Jahrtausendwende die Schweiz erfasst hat und 2006 in den von Volk und Ständen bewilligten Bildungsrahmenartikel mündete, verleiteten einst auch die Aargauer Bildungspolitiker dazu, die Volksschule auf den Kopf zu stellen. 2008 führte der Aargau nach dem Zürcher Vorbild Frühenglisch ab der 3. Klasse ein und erteilte damit indirekt der Landessprache Französisch eine Absage.
Doch es sollte dies der einzige Sündenfall bleiben: Den überbordenden Reformeifer der Bildungspolitiker stoppte das Volk 2009. Es lehnte das sogenannte Bildungskleeblatt an der Urne ab und schickte den dafür verantwortlichen Bildungsdirektor in die Wüste: Rainer Huber (CVP) wurde abgewählt. Seine Stelle übernahm der SVPler Alex Hürzeler.
Mit dem vermeintlichen Glückskleeblatt hatte die Regierung das Fuder überladen. Vorgesehen war nicht nur, zusammen mit den beiden Basel das Schweizer Normschulmodell 6/3 (sechs Jahre Primar-, drei Jahre Sekundarschule) einzuführen. Geplant war zusätzlich, die Schulen über einen «Sozialindex» mit mehr Mitteln auszustatten, den Kindergarten und die untersten Primarschulklassen zu einer «Eingangsstufe» zu verschmelzen und die Gemeinden zur Einführung von Tagesschulangeboten zu verpflichten.
Kein Harmos-Beitritt
Das haushohe Nein zum Bildungskleeblatt führte dazu, dass der Aargau bis heute den Beitritt zum Harmos-Konkordat nicht mehr erwog. Bildungs­direktor Hürzeler beschränkte sich darauf, mit der abgespeckten Reform «Stärkung der Volksschule» obligatorische zwei Jahre Kindergarten sowie für die Primar- und Sekundarschule das Model 6/3 einzuführen. Damit führt Hürzeler den Aargau an die übrige Schweiz heran. Noch vor dem Baselbiet: Der um ein Jahr verschobene Sekundarschulübertritt ist im Aargau bereits Realität. Die heilsame Wirkung des Bildungskleeblatt-Neins hat den Kanton Aargau zwar nicht von der ­Bildungsharmonisierung dispensiert, doch die Bildungsdirektion in Aarau geht Reformen seither vorsichtiger an.



Trotz Modell 6/3 blieb die Hoheit über die Volksschule im Aargau bei den Gemeinden. Zwar mussten die kleineren Gemeinden, wie im Baselbiet auch, Raum für ein zusätzliches Primarschuljahr schaffen, doch im Wissen um die schulkritische Bevölkerung wurde meist auf Luxuslösungen verzichtet. Auch an den Sekundarschul-Standorten wurde der Wechsel pragmatisch umgesetzt und nicht auf Teufel komm raus Primar- und Sekundarschule überall getrennt.
Ein Schulhaus-Bauboom wie im Baselbiet setzte mit dem Label-Wechsel der Sechstklässler von Sekundar- zu Primarschülern nicht ein. Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels sehen sich die Volksschulen ohnehin genügend anderen Problemen ausgesetzt und kämpfen wie andernorts auch mit bürokratischem Aufwand, Heilpädagogik und Schulsozialarbeit.
Mit dem Wechsel zum Modell 6/3 wurde bei den Fremdsprachen keine Anpassung vorgenommen. Französisch als zweite Fremdsprache beginnt weiterhin in der 6. Klasse und und damit quasi automatisch in der Primarschule. Frühfranzösisch wurde vorerst auf das Jahr 2020 verschoben.
Vorläufig ohne Lehrplan 21
Beim unter der Schirmherrschaft der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren auszuarbeitenden Lehrplan 21 sind die Gegner im Aargau ebenso hartnäckig wie im Baselbiet. Dass der Verein «Starke Schule Baselland» den Lehrplan 21 mit der Initiative für einen Harmos-Austritt bekämpfen will, wurde auch im Aargau registriert. Vor einem Monat lancierte ein ähnlich heterogen wie im Baselbiet zusammengesetztes Komitee eine Volksinitiative «Nein zum Lehrplan 21»: Mit einer abschliessenden Fächerliste im Aargauer Schulgesetz soll den Sammelfächern und den kritisierten «Lernumgebungen» der Riegel geschoben werden. Beim SVP-Bildungsdirektor dürften die Initianten offene Türen einrennen. Dieser hat die Einführung des Lehrplans 21 einstweilen auf das Jahr 2020 verschoben.
Bis zu diesem Zeitpunkt ist möglicherweise auch bekannt, ob der Bund aktiv wird. Weil zu wenig Kantone dem Harmos-Konkordat beigetreten sind, hätte der Bund die Möglichkeit dazu. Doch solange dies nicht geschieht, bleiben sowohl die Fremdsprachenregelung als auch der Lehrplan in der Kompetenz des Aargaus – und einer Bildungsdirektion, die sich im Gegensatz zum Baselbiet primär an der Bevölkerung im eigenen Kanton orientiert.


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