"Sparmassnamen, Notenzwang und politische Ideologien verhindern erfolgreiche Umsetzung des Sprachenkonzepts", Bild: Blick
Der frühe Unterricht ist noch keine Erfolgsgeschichte, NZZ, 28.8. von Beat Zemp
Frühes Sprachenlernen auf der Primarschulstufe setzt eine Reihe von
Gelingensbedingungen voraus, die der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz
(LCH) bereits 2004 publiziert hat. Heute verhindern Sparmassnahmen, Notenzwang
und politische Ideologien zunehmend eine erfolgreiche Umsetzung dieser
wichtigen Reform. Mit fatalen Folgen: Der Widerstand gegen zwei Fremdsprachen
an der Primarschule wird in der deutschen Schweiz immer grösser. Dabei gäbe es
gute Kompromisse, wenn man die pädagogischen Argumente endlich ernst nehmen
würde.
Kein anderes bildungspolitisches Thema hat in den letzten Monaten so
viel mediale Aufmerksamkeit erhalten wie der Fremdsprachenunterricht an den Volksschulen,
speziell an den Primarschulen der deutschen Schweiz. In der Zwischenzeit gibt
es so viele Meinungen wie Akteure. Die einen wollen Frühfremdsprachen ganz
abschaffen und dafür an den Primarschulen die Unterrichtssprache, Mathematik
und Naturwissenschaften stärken. Die andern wollen am Konzept mit zwei
obligatorischen Frühfremdsprachen auf der Primarstufe, wie es das
Harmos-Konkordat vorschreibt, ohne Wenn und Aber festhalten. Doch es gibt auch
noch weitere Varianten.
Immer grösser wird in der deutschen Schweiz das Lager der Befürworter
für nur noch eine Fremdsprache in der Primarschule, wobei die Mehrheit der
Anhänger dieser Lösung die Reihenfolge «English first, puis le français»
favorisiert, was bei Bundesrat Berset und in der Romandie auf grosses
Unverständnis stösst. Und dann gibt es noch diverse Variantenvorschläge mit
einem Freifach oder einem Wahlpflichtfach Französisch auf der Primarstufe. Auch
über den vermehrten Gebrauch von Dispensationen von sprachschwachen Schülern
wird diskutiert. Das alles scheint hingegen einige Hirnforscher und
Bildungswissenschafter wenig zu kümmern. Sie sind der festen Meinung, dass das
Gehirn eines Primarschulkindes problemlos vier oder noch mehr Sprachen
verkraften könne. «Je früher, desto besser», lautet ihr Credo.
Der LCH betonte bereits vor der Verabschiedung der Sprachenstrategie der
Eidgenössischen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) 2004, dass eine
erfolgreiche Reform des Sprachenunterrichts nur dann möglich ist, wenn die
dafür notwendigen pädagogischen Gelingensbedingungen erfüllt sind. In einer
«Tarifliste» hat der LCH diese Bedingungen in 7 Kategorien mit 35 Items
unterteilt und im September 2004 veröffentlicht. An seiner
Delegiertenversammlung im Juni 2013 forderte der LCH in einer Resolution die
Kantone auf, endlich mehr Lektionen und kleinere Klassen für den
Fremdsprachenunterricht zur Verfügung zu stellen.
Die Freude an der französischen Sprache und Kultur wird zudem nicht
gefördert, wenn man schon auf der Primarschulstufe mit Noten Druck erzeugt.
Sprachschwache Schüler werden dadurch allzu früh entmutigt und entwickeln einen
«Schulverleider». Sie erreichen die ehrgeizigen Ziele, die in den
Grundkompetenzen (Bildungsstandards) für die Fremdsprachen von der EDK
festgelegt wurden, bis zum Ende der Volksschule nicht oder nur ungenügend. Viel
hilfreicher wäre hier ein Sprachbad in einer anderen Landessprache. Daher
brauchen wir mehr Austauschprojekte zwischen den Landesregionen sowohl bei den
Lehrpersonen (bereits während der Ausbildung und im späteren Berufsleben) als
auch bei den Schülerinnen und Schülern (beispielsweise in Klassenlagern und
durch die gezielte Förderung von Klassen- und Schüleraustauschen).
Doch das kostet alles Geld, das die meisten Kantone nicht haben. Im
Gegenteil: Einmal mehr verschlechtern Sparmassnahmen im Bildungswesen laufend
die Gelingensbedingungen im Unterricht. Kann man es da der Lehrerschaft
übelnehmen, wenn sie nicht bereit ist, eine solch wichtige Reform zum Nulltarif
umzusetzen?
Sowohl die EDK als auch die Lehrerverbände sind zurzeit daran, eine
Bilanz zu ziehen und Lösungen für die Umsetzungsprobleme im
Fremdsprachenunterricht zu suchen. Viel wird davon abhängen, ob es gelingt,
überzeugende Antworten auf folgende Fragen zu finden:
Wie kann der besondere Stellenwert der Landessprachen glaubwürdig in den sprachregionalen Lehrplänen umgesetzt werden, und welche Rolle kann der Bund bei der Förderung der Landessprachen spielen?
Wie können die Gelingensbedingungen und die Beurteilung im Sprachenunterricht konkret verbessert werden?
Welche Hilfen bekommen Schülerinnen und Schüler, die wegen eines Wohnortswechsels in ein Schulsystem mit einer anderen Sprachenreihenfolge (E/F bzw. F/E) eingegliedert werden müssen?
Wie kann man sprachschwachen Schülerinnen und Schülern helfen, damit diese am Ende der obligatorischen Schule die Minimalziele in drei Sprachen erreichen können?
Wie kann der besondere Stellenwert der Landessprachen glaubwürdig in den sprachregionalen Lehrplänen umgesetzt werden, und welche Rolle kann der Bund bei der Förderung der Landessprachen spielen?
Wie können die Gelingensbedingungen und die Beurteilung im Sprachenunterricht konkret verbessert werden?
Welche Hilfen bekommen Schülerinnen und Schüler, die wegen eines Wohnortswechsels in ein Schulsystem mit einer anderen Sprachenreihenfolge (E/F bzw. F/E) eingegliedert werden müssen?
Wie kann man sprachschwachen Schülerinnen und Schülern helfen, damit diese am Ende der obligatorischen Schule die Minimalziele in drei Sprachen erreichen können?
Lehrpersonen wollen einen erfolgreichen Fremdsprachenunterricht
durchführen. Dazu brauchen sie flexiblere pädagogische Modelle, die auf das
sehr unterschiedliche Lernpotenzial der Schülerinnen und Schüler mehr Rücksicht
nehmen. Mit noten- und promotionsrelevanten Obligatorien für zwei
Frühfremdsprachen, die viele sprachschwache Schüler überfordern, kommen wir
nicht weiter, ebenso mit sturen Lernverboten für eine zweite Fremdsprache in
der Primarschule, die sprachbegabte Schüler am frühen Fremdsprachenlernen
behindern. Dies würde dazu führen, dass gutbetuchte Eltern für ihre
sprachbegabten Kinder Kurse in der zweiten Fremdsprache privat einkaufen
würden, während die anderen Schüler das Nachsehen hätten.
Daher setzt sich der LCH weiterhin für ein Angebot mit zwei
Fremdsprachen auf der Primarschule ein. Es wird wohl noch einige Zeit dauern,
bis alle merken, dass das Erlernen einer zweiten Landessprache zusätzlich zu
Englisch in der Schweiz kein Luxus, sondern ein Privileg ist. Unser Ziel muss
es sein, dass künftig möglichst viele Schulabgänger von den Vorteilen dieses
Privilegs profitieren können.
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