"Roger Federer verdankt seine Französischkenntnisse eher seinem Aufenthalt in Lausanne als der Primarschule der Region Basel", Bild: EPFL
Englisch für alle, NZZ, 28.8. von Patrick Aebischer
Die derzeit hitzigen Diskussionen in der Deutschschweiz über den
Fremdsprachenunterricht werden auch in der Westschweiz wahrgenommen. Dass
mehrere Deutschschweizer Kantone das Französische als erste Fremdsprache
aufgeben, wird von einigen als Zeichen einer Abwendung der Deutschschweizer von
der französischsprachigen Minderheit aufgefasst.
Verschiedene politische Parteien haben das Thema aufgegriffen und
sprechen bereits von einer Gefahr für den nationalen Zusammenhalt. Was sollte
die Westschweizer Minderheit tun? Ein Bundesgesetz verlangen, das den
Unterricht in einer zweiten Landessprache vor dem Englischen vorschreibt?
Ich persönlich würde dies für einen Fehler halten. Meine Generation war
der Meinung, dass das Erlernen der deutschen Sprache das A und O sei. Man
erklärte uns, wie wichtig Deutsch für unsere berufliche Zukunft sei. Durch die
Globalisierung hat sich die Lage nun allerdings grundlegend verändert: Englisch
ist für alle Schweizer, das heisst auch für die Westschweizer, zur obersten
Priorität geworden. Die jungen Westschweizerinnen und Westschweizer träumen
mehr von Europa und der weiten Welt als von der Deutschschweiz. Und wenn sie
ihre Deutschkenntnisse verbessern wollen, ist Berlin attraktiver als Zürich.
Ausserdem sehen nur wenige einen Vorteil darin, Schweizerdeutsch zu lernen -
auch wenn diese Sprache durchaus ihren Reiz hat. Ich vermute, dass umgekehrt
die Westschweiz die Deutschschweizer auch nicht stärker zum Träumen anregt.
Die Einstellung der Westschweizer hat sich noch aus einem anderen Grund
verändert: Die jüngste wirtschaftliche Entwicklung des «Arc lémanique» hat
gezeigt, dass die Zukunft der Westschweiz in der Globalisierung liegt, die eher
Englisch- als Deutschkenntnisse voraussetzt.
Der Reflex der Minderheit ist also nicht mehr angebracht. Französisch
ist eine universelle und aufstrebende Sprache. Die französische
Sprachgemeinschaft zählt heute fast 200 Millionen Menschen, und gemäss einer
Prognose der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD) dürfte diese Zahl bis 2050 auf 750 Millionen ansteigen. Vor allem in
Afrika entstehen neue Märkte, auf denen gute Französisch- und
Englischkenntnisse einen bedeutenden Trumpf darstellen. Die Deutschschweizer
sind hingegen in einer weniger guten Ausgangslage, weil der deutschsprachige
Raum auf rund 100 Millionen Menschen beschränkt ist und keine
Wachstumsaussichten bestehen. Ferner ringen sie mit der kniffligen Frage nach
der Stellung des Dialekts im Verhältnis zum Hochdeutschen. Die in jüngster Zeit
geführte Diskussion über die ausschliessliche Verwendung des Schweizerdeutschen
im Kindergarten ist das aufschlussreichste Beispiel dafür.
Ist der nationale Zusammenhalt gefährdet? In meiner Generation boten die
Armee und die Arbeit als Au-pair Gelegenheit für ein kulturelles Eintauchen, um
den anderen Landesteil besser zu verstehen. Heute müssen wir neue Möglichkeiten
finden. Es gilt, unbedingt den Austausch zwischen den Sprachregionen auf
Gymnasialstufe, in den ersten Studienjahren an der Universität und mithilfe von
Lernpraktika zu fördern, um den kulturellen Reichtum unseres Landes zu
entdecken. Die jenseits der Sprachgrenze verbrachte Zeit fördert den nationalen
Zusammenhalt stärker als der unseren Kindern auferlegte Zwang, schwierige
Landessprachen zu lernen. Mit einem solchen Austausch sollte es auch möglich
sein, die von unseren Deutschschweizer Mitbürgern gern gepflegten Klischees
einer von gutem Wein, gutem Essen und Siesta geprägten Westschweiz
aufzubrechen. So sollten sie erkennen, dass die Westschweiz auch für
Innovation, Weltoffenheit und Wettbewerbsfähigkeit steht. Dasselbe gilt auch
für uns Westschweizer. Die Deutschschweiz hat es verdient, dass wir sie besser
kennenlernen. Es ist Aufgabe der Politik, Anreize zu schaffen, mit denen der Austausch
gefördert wird.
Wir sollten folglich ebenso pragmatisch vorgehen wie die
Deutschschweizer. Machen wir aus einer Schwäche eine Stärke und lernen Englisch
als erste und Deutsch als zweite Fremdsprache! Wir sollten nicht versuchen,
unseren Kindern das aufzuzwingen, wofür unsere Generation wenig Begeisterung
gezeigt hat: das frühe Erlernen der deutschen Sprache. Nach der gleichen Logik
sollten wir die Deutschschweizer auch nicht zwingen, Französisch zu lernen,
sondern ihnen Lust darauf machen. Wir Westschweizer sollten ausserdem die
italienische Sprache nicht vergessen, um uns besser mit unseren Mitbürgern
südlich der Alpen auszutauschen. Wir neigen leider dazu, sie zu
vernachlässigen, obwohl wir uns ihnen kulturell nahe fühlen.
Schauen wir den Tatsachen ins Auge: Viele Westschweizer - auch ich -
tauschen sich heute mit ihren Deutschschweizer Kollegen auf Englisch aus.
Trotzdem feiern wir alle die Siege von Roger Federer und fühlen uns als
Schweizer, ob wir nun die deutsche Sprache beherrschen oder nicht. Das Beispiel
Roger Federer ist im Übrigen besonders aufschlussreich. Sein perfektes
Französisch ist viel mehr den zwei Jahren zu verdanken, die er als Jugendlicher
im Tennisförderungszentrum in der Nähe von Lausanne verbrachte, als dem
Französischunterricht an der Primarschule in der Region Basel.
Die Stärke der Schweiz liegt in ihrer Weltoffenheit sowie ihrer
sprachlichen und kulturellen Vielfalt. Ob es uns gefällt oder nicht: Englisch
ist im Begriff, zur fünften Landessprache zu werden. Wenn wir diese Sprache
beherrschen, können wir besser miteinander kommunizieren und der Schweiz einen
herausragenden Trumpf für ihre sozioökonomische Entwicklung in einer zunehmend
globalisierten Welt an die Hand geben. Let's go for it!
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