"Warum werden die Erkenntnisse der Praktiker von den Bildungsbürokraten nicht beachtet?" Bild: St. Galler Tagblatt
Französisch erst auf der Sekundarstufe, NZZ, 28.8. von Hanspeter Gantenbein
Seit Jahren beklagen weiterführende Schulen und Lehrbetriebe die
ungenügenden Deutsch- und Mathematikkompetenzen. Vor knapp zwei Jahren haben
selbst Hochschulprofessoren gesagt, das Hochdeutsch der Studenten werde immer
miserabler. Genau diese wichtigen Basiskenntnisse bilden aber die Grundlagen
für alle weiteren Anforderungen. Diese Grundkenntnisse müssen in der
Primarschule intensiviert und nicht laufend mit neuen Schulversuchen und dem
pädagogischen Konstruktivismus, der sich über den ganzen deutschsprachigen Raum
ausschüttet, untergraben werden. Für den Erfolg in einer Berufslehre oder in
weiterführenden Schulen sind das Beherrschen der Erstsprache, die
Grundoperationen in Mathematik, das Verständnis der Natur und die
handwerklichen Fächer wichtig.
Das sind auch Voraussetzungen für das erfolgreiche duale Bildungssystem,
um das uns die ganze Welt beneidet. Es verhindert Jugendarbeitslosigkeit. All
dies wird in den Überlegungen und Entscheiden meist vergessen, ja verdrängt!
Warum ist der Lehrplan 21 heute so umstritten? Weil es hier im gleichen Stil
weitergehen soll: Von allem ein bisschen, wenig richtig. Es gilt jetzt, sich
mit Ehrlichkeit und Effizienz für eine solide Grundbildung der Schülerinnen und
Schüler auf der Volksschulstufe einzusetzen. Niemand will den
Französischunterricht abschaffen, wie das linke Ideologen in der Deutsch- und
Welschschweiz monieren. Beim Thurgauer Entscheid geht es um das Frühfranzösisch
in der Primarschule. Diese Stufe hat Grundausbildung zu vermitteln, dazu zählen
eben Fremdsprachen nicht.
Die Primarlehrer - und da ist der Kanton Thurgau nicht der einzige -
sprechen eine deutliche Sprache. Sie begrüssen mit grosser Mehrheit eine
Änderung des Fremdsprachenunterrichts. Sprach- und Erziehungswissenschafter
sind in dieser Sache uneins. Warum werden die Erkenntnisse der Praktiker von
den Bildungsbürokraten nicht beachtet oder einfach unter den Tisch gekehrt? So
paradox es tönt, im Kanton Thurgau soll mit dem Entscheid die französische
Sprache stärker gefördert werden, und zwar auf der Sekundarschulstufe. Es ist
erwiesen, dass dann der Wissensstand in Französisch nach der 3. Sekundarschule
mindestens gleich gross ist wie nach einem halbbatzigen Französischunterricht
in der Primarschule, der zulasten der Grundlagenfächer geht.
Das Verständnis für andere Landesteile und Kulturen ist uns wichtig.
Neben gutem und ausreichendem Französischunterricht auf der Sekundarschulstufe
sollten Klassenlager und Schulreisen bereits auf der Mittelstufe vermehrt in
andere Landesteile führen. So könnten Schüler für die anderssprachigen
Landesteile sensibilisiert werden. In der Sekundarschule sind Sprachaufenthalte
oder noch besser Austauschprogramme mit Gastfamilien zu forcieren. So wird
nicht nur die Sprache besser gelernt, sondern auch das wichtige Verständnis
füreinander geweckt. Nur so könnte auch der herbeigeredete Röstigraben etwas
zugeschüttet werden.
Tatsache ist aber auch, dass in der Oberstufe die Hälfte aller Schüler
der G-Stammklassen (früher Realschüler) bereits in der 7. Klasse Französisch
abwählt! Wir alle wissen, warum. Es ist die Realität, in der wir leben. Welche
Verständigungssprache hat sich weltweit durchgesetzt?
In unserer nationalen und internationalen Berufswelt hat sich, ob wir
dies wollen oder nicht, Englisch durchgesetzt. Dem können wir uns nicht
verschliessen. Ist das Englische nicht auch eine Chance, unsere vielen
Sprachgräben zur Westschweiz, zum Tessin und zum rätoromanischen Landesteil zu
überbrücken und zudem die Hürden bei der Verständigung mit unseren
ausländischen Mitbewohnern abzubauen? Aus all diesen Gründen hat die grosse
Mehrheit des Thurgauer Parlaments entschieden. Dies ist geradezu ein
fortschrittlicher Entscheid zur Förderung und zum Wohle unserer Kinder - und
für einen effizienten Französischunterricht zur richtigen Zeit. Alles ein
wenig, aber nichts richtig zu machen, scheint uns falsch.
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