Roland Näf, Präsident der SP Bern, ist selber Schulleiter, Bild: Marcel Bieri
SP stiftet Lehrer zu Ungehorsam an, Berner Zeitung, 8.8. von Christoph Aebischer
Erstmals
stehen Sechstklässlerinnen und Sechstklässler vor dem Sek-Übertritt, die seit
der dritten Klasse mit dem neuen Lehrmittel «Mille feuilles» Französisch
lernen. Die Lehrer, die nun eine Empfehlung abgeben müssten, befänden sich in
einer Notlage, sagt SP-Kantonalpräsident Roland Näf. Denn eine Beurteilung sei
nicht mehr möglich, findet er. Die SP versandte gestern einen offenen Brief, in
dem sie Lehrer dazu auffordert, auf einen Zuweisungsvorschlag in diesem Fach zu
verzichten.
«Das ist
quasi ein Aufruf zu zivilem Ungehorsam», sagt Erziehungsdirektor Bernhard
Pulver (Grüne) befremdet. Er glaubt auch nicht daran, dass der SP-Aufruf
Wirkung zeitigen wird: «Welcher Lehrer will schon seinen Job nicht machen?»,
fragt Pulver rhetorisch. Grossrat Näf ist anderer Meinung: «Viele Lehrer sind
verzweifelt», sagt er. Die individuelle, kompetenzorientierte Förderung
verunmögliche ihnen, diesem Auftrag nachzukommen. Denn eine Empfehlung müsse
«hieb- und stichfest» sein, weil sie von den Eltern angefochten werden könne.
Pulver
entgegnet: «Wer meint, heutige Empfehlungen basierten auf dem simplen
Durchschnitt von Leistungstests, liegt falsch. Schon bisher floss eine weiter
gefasste Beurteilung der Lehrperson mit ein.» Das sei gerade die Stärke des
Berner Übertrittsverfahrens. «Ich verstehe nicht, warum die SP dies nun
schlechtredet.» Mit den im letzten Jahr erstmals durchgeführten
Kontrollprüfungen für strittige Fälle sei es gar noch optimiert worden.
Beschwerden der Eltern
Näf, der
selber in Muri Schulleiter ist, erntet zwar Unverständnis, aber keinen
regierungsrätlichen Rüffel für seinen Querschläger. Was aber, wenn nun Lehrer
dem Aufruf Folge leisten? Hat der Vorschlag der SP Chancen, den
Selektionsentscheid allein auf Mathematik und Deutsch abzustellen und die
Beurteilung des Französischniveaus den Eltern zu überlassen? Pulver winkt ab.
Die Folge wären laut ihm Beschwerden der Eltern. Aufgrund derer würde die
Erziehungsdirektion die säumigen Lehrer dazu verpflichten, die Empfehlung
nachzuholen.
Die Zahl
der Selektionsfächer sei zwar nicht in Stein gemeisselt. Viel mehr prüfe man
derzeit mehrere Varianten. Denkbar sind für Pulver eine Reduktion auf
Mathematik und Deutsch bis hin zu einer Ausdehnung auf sämtliche Fächer. Doch
diese Neuerung soll im Rahmen des neuen Deutschschweizer Lehrplans 21, dessen
Einführung für das Schuljahr 2017/2018 geplant ist, geschehen.
Knackpunkt Beurteilung
Für Näf,
der Mitglied des Vereins für eine Volksschule ohne Selektion ist, bietet der
Lehrplan 21 die Gelegenheit, einen draufzusetzen: Damit halte der
kompetenzorientierte Unterricht überall Einzug. «Das begrüssen wir», hält er
fest. Doch eine herkömmliche Beurteilung werde damit nicht mehr möglich sein.
«Das ist tatsächlich ein Knackpunkt», räumt Pulver ein. Dies hätten ihm auch
viele Lehrer zurückgemeldet. Die Frage stelle sich aber keineswegs neu: «Es war
schon immer eine Herausforderung, von Lernzielen zu einer Note zu gelangen.»
Der Kanton habe darum Umsetzungshilfen zu den einzelnen Fächern ausgearbeitet.
«Das werden
wir auch für den neuen Lehrplan tun», kündigt Pulver an. Insgesamt glaubt er,
dass sowohl das Frühfranzösisch wie der Lehrplan 21 bei Berner Lehrern einen
guten Rückhalt geniessen. Diesen Eindruck gewann er an mehreren Informationsanlässen
im Mai und im Juni, an denen rund 1500 Lehrerinnen und Lehrer teilgenommen
haben.
Eine Schule
ohne Selektion bis zum Gymerübertritt Ende der achten Klasse, wie sie Näf
vorschwebt, hält Pulver für utopisch. Für ein solches Anliegen fehle schlicht
die politische Mehrheit im Kanton.
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