Für den nationalen Zusammenhalt zählt nicht, wann der Fremdsprachenunterricht beginnt, sondern einzig, wie effektiv er ist.
Die Vorwürfe an den Thurgau sind haltlos, Bild: Agro Marketing TG
Im Thurgau gilt das Primat der Pädagogik, Bund, 20.8. von Alain Pichard
SP-Nationalrat Roger Nordmann trichtert den Lesern in der Tribüne im "Bund" vom letzten Samstag wieder einmal das von vielen Bildungspolitikern beschworene Mantra des "Je früher, desto besser" ein. Dass Herr Nordmann den Thurgau zudem pauschal als rückständig und isolationistisch diffamiert und er am Schluss auch noch die alberne SVP-Verschwörungsschublade zieht, hat mit sachlicher Debatte nichts zu tun.
Zur Erinnerung: Schon vor drei Jahren habe ich an dieser Stelle vier Studien mit Quellen zitiert, die das Gegenteil beweisen. Und soeben publizierte der Schweizerische Lehrerverband die Ergebnisse seiner Expertise, die er zum Frühsprachenerwerb herausgegeben hat. Fazit auch hier: Frühstarter haben im Vergleich zu Spätstartern keine entscheidenden Vorteile, Spätstarter erlernen eine Fremdsprache wesentlich effizienter als Frühstarter.
Für den nationalen Zusammenhalt ist nicht wichtig, wann wir mit einer Sprache beginnen, sondern wie gut die Schüler und Schülerinnen diese nach dem Ende der obligatorischen Schulzeit beherrschen. Es wäre deshalb angezeigt, wenn unsere Frühfranzösisch-Fans aus der Westschweiz die Deutschkenntnisse ihrer Schüler mit den Französischkenntnissen von deren Thurgauer Alterskameraden vergleichen würden.
In der Auswertung der Pisa-Studie, welche die Schweizer Kantone untereinander vergleicht, heisst es: "In allen vier Bereichen, die in Pisa 2003 getestet wurden, liegen die Mittelwerte der Thurgauer Schülerinnen und Schüler in der Spitzengruppe der Schweizer Kantone. Ausserdem gehört der Thurgau zu jenen Kantonen, in denen ein überdurchschnittlich grosser Anteil aller Schülerinnen und Schüler die hohen und höchsten Kompetenzstufen inden vier Gebieten erreicht." Zum Vergleich: Der Kanton Genf belegte in derselben Studie den zweitletzten und der Kanton Tessin den letzten Platz, also genau diejenigen Kantone, welche den Thurgau jetzt so stark kritisieren.
Der Kanton Thurgau hat Harmos (die interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule) zwar abgelehnt. Allerdings- und das dürfte der Westschweiz nicht bekannt sein - hat der Kanton Thurgau wesentliche Elemente von Harmos schon lange eingeführt. Dieser konservative Kanton hat überdurchschnittlich viele altersgemischte Klassen, zweijährige Kindergärten, eine hervooragende Sprachförderung, progressive Schulmodelle und verfügt über eine hervorragende Infrastruktur.
Der Kanton Genf hat zwar eine fast doppelt so hohe Maturitätsquote wie der Kanton Thurgau, aber dafür auch eine dreimal höhere Jugendarbeitslosigkeit. Der Kanton Thurgau setzt auf das duale Berufsbildungssystem und ermöglicht es so vielen seiner Jugendlichen, eine Karriere mit der in Genf verpönten Berufslehre zu machen. Während in unseren lateinischen Kantonen viel über Chancengleichheit und Integration schwadroniert wird, wird im Kanton Thurgau die Integration über den Arbeitsmarkt unaufgeregt vorangetrieben.
In der Liste der innovativen Schulen sind auffallend viele Schulen aus dem Kanton Thurgau zu finden. Individualisierter Unterricht mit Mass, progressive Unterrichtsmethoden und moderate Vergleichstests hat der Kanton Thurgau bereits eingeführt, während andere Kantone in diesen Bereichen noch am Planen sind oder das Ganze aus Spargründen auf Eis gelegt haben.
Im Thurgau haben sie erkannt: Frühfranzösisch ist extrem teuer. Dieses Geld zu investieren, lohnt sich nur, wenn damit ein pädagogischer Mehrwert verbunden ist. Deshalb investiert der Kanton Thurgau dieses Geld lieber dort, wo es dringender gebraucht wird (Frühförderung, Erwerb der Muttersprache, solide Lohnentwicklung bei den Lehrkräften etc.).
Es ist am Leser, zu beurteilen, welche bildungspolitisch Verantwortlichen eine effektivere Leistung "für den nationalen Zusammenahlt" erbringen. Der Kanton Thurgau jedenfalls hat sich aus dem Würgegriff der nationalen Politik befreit und das Primat der Pädagogik wieder eingeführt.
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