In der öffentlichen Wahrnehmung haben Lehrer viel Freizeit, Bild: Imago
"Lehrer haben viel Freizeit", NZZ, 18.8. von Alexandra Kohler
Lehrer haben viel Freizeit
und eigentlich alle zwei Monate wieder ein paar Wochen Ferien, wird gemeinhin
angenommen. Von den Lesern, die vergangene Woche auf NZZ.ch abgestimmt haben, pflichteten 61 Prozent diesem Klischee
bei. Das Gegenteil scheint der Fall: Lehrer im Vollpensum arbeiten laut einer
Befragung aus dem Jahr 2009 im Schnitt 2072 Stunden im Jahr, das sind 44,7
Wochenarbeitsstunden. Der Referenzwert für die Sollarbeitszeit von Lehrern –
und generell Staatsangestellten – sind rund 1950 Stunden im Jahr, das
entspricht der 42-Stunden-Woche. Somit leisten Lehrer im Durchschnitt mehr als
drei Wochen unbezahlte Überstunden im Jahr.
Laut dem Bundesamt für
Statistik (BfS) liegt die durchschnittliche Jahresarbeitszeit von in der Schweiz
arbeitenden Personen bei 1886 Stunden, das sind 40,55 Stunden in der Woche. Am
meisten arbeiten Schweizer Männer in der Land- und Forstwirtschaft, nämlich
durchschnittlich 46,24 Wochenstunden. Das Unterrichtswesen ist in der Statistik
des BfS nicht aufgeführt. Grund dafür ist die im Gegensatz zu anderen
Berufsgattungen unklare Regelung der Arbeitszeit von Lehrern.
Laut der
Arbeitszeiterhebung, die erstmals 1999 vom Dachverband der Schweizer
Lehrerinnen und Lehrer (LCH) in Auftrag gegeben worden war und 2009 wiederholt wurde,
ist ein Anstieg der Arbeitszeit der Schweizer Lehrer festzustellen. Innerhalb
dieser zehn Jahre ist die mittlere Jahresarbeitszeit um 139 Stunden
angestiegen. Die Arbeitszeiterhebung stützt sich auf Lehrerbefragungen.
Mehr
administrative Arbeit
Was
geregelt ist, sind die zu absolvierenden Wochenlektionen, zum Beispiel müssen
Volksschullehrer der Unterstufe in vielen Kantonen 29 Wochenlektionen oder mehr
unterrichten, in der Mittel- und Sekundarstufe sind es etwa 28 Lektionen. Das
ist der sichtbare Teil, die Unterrichtszeit. Jedoch gibt es auch einen
«unsichtbaren» Teil, zum Beispiel die Vor- und Nachbereitungszeit des
Unterrichts, Elterngespräche, organisatorische Aufgaben und Weiterbildungen.
Hier lägen
die Gründe, warum Lehrer mehr arbeiteten, als gemeinhin angenommen werde, sagt
Jürg Brühlmann vom Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH). Die
Anzahl der Dinge, die Lehrer neben dem eigentlichen Unterrichten erledigen
müssten, nehme zu. «Immer mehr Koordinationsaufgaben, zum Beispiel mit
Spezialisten wie Heilpädagogen, aber auch schulische Projekte gehören dazu. Und
Lehrer müssen ihre Tätigkeiten, Vorhaben und Absprachen heute immer genauer
dokumentieren», stellt Brühlmann fest.
Junge
und Klassenlehrer arbeiten besonders viel
Bemerkenswert ist auch,
dass die mittlere Arbeitszeit der Lehrer stark variiert. Junge Lehrer arbeiten
oft mehr als erfahrenere. «Sie müssen sich zuerst einmal das ganze Lernprogramm
erarbeiten und müssen lernen, wie sie eine Klasse führen», so Brühlmann.
Erfahrene Klassenlehrer arbeiten zudem mehr als solche, die keine eigene Klasse
führen. Zuletzt läge es auch an der Art und der Lage der Schule, wie stark
belastet Lehrpersonen seien, gibt Brühlmann zu bedenken. Lehrer an
Problemschulen wie etwa in Zürich
Seebach sind besonders gefordert, müssen sie doch viel
Integrationsarbeit leisten. Aber auch Lehrer an Schulen in reicheren Gegenden
wie etwa nahe dem Zürichsee haben es vergleichsweise schwer. Dort ist der Druck
vonseiten der Eltern bezüglich der Leistungen der Kinder besonders gross. Viele
Eltern wollen unbedingt, dass ihr Kind auf das Gymnasium kommt.
Immer
mehr Lehrer entscheiden sich dafür, im Teilzeitpensum zu arbeiten. 1999 waren
noch 44% der Lehrer Vollzeit angestellt, 2009 waren es noch 38%. Obwohl dies
zwar dem allgemeinen Trend entspricht, gaben Lehrer in der obengenannten
Befragung an, dass sie nur mit Reduktion ihres Pensums die vielfältigen
Anforderungen ihres Jobs erfüllen könnten.
Anwesenheitspflicht
während der Ferien
Neben
arbeitsintensiven und durchgeplanten Wochen – in der regulären Schulzeit – gibt
es denn auch Zeiten, in denen Lehrpersonen freier sind. Dies ist nicht zu
bestreiten. Während der unterrichtsfreien Zeit sind Lehrer flexibler in ihrer
Zeiteinteilung als manch anderer Angestellter. Und ja, Lehrer haben lange
Sommerferien.
Das
Klischee, Lehrer hätten drei Monate im Jahr frei, lässt sich aber nicht bestätigen.
Ein Blick auf die Regelung in den Sommerferien zeigt, dass Unterrichtende
mindestens die erste Ferienwoche zur Nacharbeit brauchen. Und in der Woche vor
dem ersten Schultag haben die meisten schon wieder Anwesenheitspflicht, gedacht
für Planung, Meetings und Weiterbildungen.
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