19. August 2014

"Lehrer haben viel Freizeit"

Entgegen dem hartnäckigen Vorurteil arbeiten Schweizer Lehrer etwas mehr als der Durchschnitt der Schweizer Arbeitstätigen. Je nach Erfahrung des Lehrers und je nach Standort der Schule kann der Mehraufwand aber stark variieren.




In der öffentlichen Wahrnehmung haben Lehrer viel Freizeit, Bild: Imago

"Lehrer haben viel Freizeit", NZZ, 18.8. von Alexandra Kohler


Lehrer haben viel Freizeit und eigentlich alle zwei Monate wieder ein paar Wochen Ferien, wird gemeinhin angenommen. Von den Lesern, die vergangene Woche auf NZZ.ch abgestimmt haben, pflichteten 61 Prozent diesem Klischee bei. Das Gegenteil scheint der Fall: Lehrer im Vollpensum arbeiten laut einer Befragung aus dem Jahr 2009 im Schnitt 2072 Stunden im Jahr, das sind 44,7 Wochenarbeitsstunden. Der Referenzwert für die Sollarbeitszeit von Lehrern – und generell Staatsangestellten – sind rund 1950 Stunden im Jahr, das entspricht der 42-Stunden-Woche. Somit leisten Lehrer im Durchschnitt mehr als drei Wochen unbezahlte Überstunden im Jahr.
Laut dem Bundesamt für Statistik (BfS) liegt die durchschnittliche Jahresarbeitszeit von in der Schweiz arbeitenden Personen bei 1886 Stunden, das sind 40,55 Stunden in der Woche. Am meisten arbeiten Schweizer Männer in der Land- und Forstwirtschaft, nämlich durchschnittlich 46,24 Wochenstunden. Das Unterrichtswesen ist in der Statistik des BfS nicht aufgeführt. Grund dafür ist die im Gegensatz zu anderen Berufsgattungen unklare Regelung der Arbeitszeit von Lehrern.
Laut der Arbeitszeiterhebung, die erstmals 1999 vom Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) in Auftrag gegeben worden war und 2009 wiederholt wurde, ist ein Anstieg der Arbeitszeit der Schweizer Lehrer festzustellen. Innerhalb dieser zehn Jahre ist die mittlere Jahresarbeitszeit um 139 Stunden angestiegen. Die Arbeitszeiterhebung stützt sich auf Lehrerbefragungen.
Mehr administrative Arbeit
Was geregelt ist, sind die zu absolvierenden Wochenlektionen, zum Beispiel müssen Volksschullehrer der Unterstufe in vielen Kantonen 29 Wochenlektionen oder mehr unterrichten, in der Mittel- und Sekundarstufe sind es etwa 28 Lektionen. Das ist der sichtbare Teil, die Unterrichtszeit. Jedoch gibt es auch einen «unsichtbaren» Teil, zum Beispiel die Vor- und Nachbereitungszeit des Unterrichts, Elterngespräche, organisatorische Aufgaben und Weiterbildungen.
Hier lägen die Gründe, warum Lehrer mehr arbeiteten, als gemeinhin angenommen werde, sagt Jürg Brühlmann vom Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH). Die Anzahl der Dinge, die Lehrer neben dem eigentlichen Unterrichten erledigen müssten, nehme zu. «Immer mehr Koordinationsaufgaben, zum Beispiel mit Spezialisten wie Heilpädagogen, aber auch schulische Projekte gehören dazu. Und Lehrer müssen ihre Tätigkeiten, Vorhaben und Absprachen heute immer genauer dokumentieren», stellt Brühlmann fest.
Junge und Klassenlehrer arbeiten besonders viel
Bemerkenswert ist auch, dass die mittlere Arbeitszeit der Lehrer stark variiert. Junge Lehrer arbeiten oft mehr als erfahrenere. «Sie müssen sich zuerst einmal das ganze Lernprogramm erarbeiten und müssen lernen, wie sie eine Klasse führen», so Brühlmann. Erfahrene Klassenlehrer arbeiten zudem mehr als solche, die keine eigene Klasse führen. Zuletzt läge es auch an der Art und der Lage der Schule, wie stark belastet Lehrpersonen seien, gibt Brühlmann zu bedenken. Lehrer an Problemschulen wie etwa in Zürich Seebach sind besonders gefordert, müssen sie doch viel Integrationsarbeit leisten. Aber auch Lehrer an Schulen in reicheren Gegenden wie etwa nahe dem Zürichsee haben es vergleichsweise schwer. Dort ist der Druck vonseiten der Eltern bezüglich der Leistungen der Kinder besonders gross. Viele Eltern wollen unbedingt, dass ihr Kind auf das Gymnasium kommt.
Immer mehr Lehrer entscheiden sich dafür, im Teilzeitpensum zu arbeiten. 1999 waren noch 44% der Lehrer Vollzeit angestellt, 2009 waren es noch 38%. Obwohl dies zwar dem allgemeinen Trend entspricht, gaben Lehrer in der obengenannten Befragung an, dass sie nur mit Reduktion ihres Pensums die vielfältigen Anforderungen ihres Jobs erfüllen könnten.
Anwesenheitspflicht während der Ferien
Neben arbeitsintensiven und durchgeplanten Wochen – in der regulären Schulzeit – gibt es denn auch Zeiten, in denen Lehrpersonen freier sind. Dies ist nicht zu bestreiten. Während der unterrichtsfreien Zeit sind Lehrer flexibler in ihrer Zeiteinteilung als manch anderer Angestellter. Und ja, Lehrer haben lange Sommerferien.
Das Klischee, Lehrer hätten drei Monate im Jahr frei, lässt sich aber nicht bestätigen. Ein Blick auf die Regelung in den Sommerferien zeigt, dass Unterrichtende mindestens die erste Ferienwoche zur Nacharbeit brauchen. Und in der Woche vor dem ersten Schultag haben die meisten schon wieder Anwesenheitspflicht, gedacht für Planung, Meetings und Weiterbildungen.


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