19. August 2014

Eine Notlösung etabliert sich

Lehrpersonen mit Quereinstieg sind bei Bildungsdirektoren und Schulleitern beliebt. Mit ihren Erfahrungen vergrössern sie die Diversität in Schweizer Schulen. Doch nur mit ihnen lässt sich der Lehrermangel nicht beseitigen.




Auch in Zukunft für Quereinsteiger offen, Bild: Die Presse

Eine Notlösung etabliert sich, NZZ, 19.8. von Lea Ingber



Pünktlich zum Schulbeginn kursieren Geschichten über wenig bis gar nicht ausgebildete Lehrer. Im Kanton Aargau genüge beispielsweise in einem Härtefall eine Ausbildung als Pfadfinderleiter für die Lehrbewilligung. Quereinsteiger sind in der öffentlichen Wahrnehmung ein Risikofaktor.
In Expertenkreisen haftet der Ausbildung für erfahrene Berufsleute, wie Quereinsteiger auch genannt werden, nichts Negatives mehr an. Sie seien eine Entlastung und Bereicherung für die Schulen, sagt Bernhard Gertsch, Präsident des Schweizerischen Verbandes für Schulleiterinnen und Schulleiter. «Quereinsteiger sind eine wichtige Ressource und bringen vielfältige Erfahrungen ein.» Gerade auf der Oberstufe könnten sie Schüler kompetent auf das Berufsleben vorbereiten.
Gute Noten für Qualität
Quereinsteiger würden in den Schulhäusern gut aufgenommen, sagt Pia Hirt Monico, Leiterin des Instituts für Weiterbildung und Beratung an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz (FHNW). «Die Schulen geben uns gute Rückmeldungen zur Akzeptanz von Quereinsteigern», so Hirt Monico. Negative Äusserungen seien die Ausnahme. Die detaillierte Evaluation sei aber noch nicht abgeschlossen.
Die Akzeptanz ist ein Massstab für die Qualität der Arbeit. Und sie sei bei Quereinsteigern gewährleistet. «Ein Qualitätsunterschied zu Lehrpersonen mit einer regulären Ausbildung ist nicht erkennbar», sagt Gertsch. Christoph Eymann, Erziehungsdirektor des Kantons Basel-Stadt und Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), ergänzt, dass Quereinsteiger oft eine duale Berufsbildung absolviert hätten und Berufs- und Lebenserfahrung besässen.
Weshalb dieser durchweg positive Grundtenor? «Die klare Regelung der EDK hat die Situation sichtlich entspannt», stellt Gertsch fest. Noch im Oktober 2010 kritisierte der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz die von der FHNW neugeschaffene Ausbildung als «Billigstudium». Die Absolventen erhielten nur eine kantonale Lehrberechtigung, die nicht schweizweit anerkannt war.
Schulen brauchen Auswahl
Die EDK reagierte auf die Kritik und erliess im Jahr 2012 national gültige Regeln. Die pädagogischen Hochschulen setzen die Vorschriften momentan um (siehe Zusatz). «Die Hochschulen stellen richtigerweise hohe Anforderungen an Quereinsteigende», sagt Beat Zemp, Zentralpräsident des Dachverbandes der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz. Fragwürdig sei aber immer noch, dass Quereinsteiger vor Abschluss der Ausbildung als Lehrpersonen arbeiten. Wie ihre Betreuung sichergestellt werden kann, sei nicht klar.
Die Pensionierungen und die Schülerzahlen steigen in der Schweiz weiter an. Gemäss dem Bundesamt für Statistik wird der Bedarf an Lehrpersonen in den nächsten vier Jahren je nach Kanton um bis zu 30 Prozent zunehmen. Doch das ewige Unwort Lehrermangel verliert seinen Schrecken. Auch dieses Jahr steht vor jeder Schulklasse eine Lehrperson. «Es ist irreführend, den Mangel an Lehrpersonen in offenen Stellen auszudrücken», so Zemp. Um die Qualität zu gewährleisten, würden die Schulen Auswahlmöglichkeiten benötigen. Die spezifischen Profile der Lehrer müssten zusammenpassen.
In einer Umfrage des Schulleiterverbandes im Mai gaben 40 Prozent der befragten Schulleiterinnen und Schulleiter an, dass zumindest ein Teil der Stellen ungenügend besetzt ist. Problemfelder sind der Kindergarten, die Sonderpädagogik und Spezialfächer wie Textiles Gestalten oder Hauswirtschaft.
Die Quereinsteiger werden den Lehrermangel abschwächen, aber keinesfalls beseitigen. Dazu sind sie zu wenige. Diesen Herbst beginnen 1300 Studenten eine Lehrerausbildung an der FHNW, lediglich 46 sind Quereinsteiger. In Zürich sind unter den 800 Studenten immerhin 145 Quereinsteiger.
Die Kantone sind unterschiedlich stark vom Lehrermangel betroffen. Gerade in Grenzgebieten von Kantonen, in denen der Lohn tiefer ist, suchen Lehrer häufig eine Stelle im Nachbarkanton. Auffällig ist dies laut Gertsch in der Region von Bern und Solothurn. Der Kanton Bern habe das Problem aber erkannt und versuche, die Unterschiede auszugleichen. Für Bernhard Pulver, Erziehungsdirektor des Kantons Bern, sind Quereinsteiger denn auch nur eine Möglichkeit, um den Lehrermangel zu entschärfen. «Es braucht einen Fächer von Massnahmen, zum Beispiel die Löhne anzugleichen oder das Vollzeitpensum attraktiver zu machen.»
Wider den Schweinezyklus
Obwohl Quereinsteiger quantitativ nur ein Tropfen auf den heissen Stein sind, sollen die Ausbildungen permanent angeboten werden. Dafür sprechen sich der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer, der Schulleiterverband sowie viele Bildungsdirektoren aus. «Die Programme sind für Berufsleute, die ihre pädagogische Motivation später entdecken. Dieses Potenzial müssen wir weiterhin nutzen», sagt Zemp.
Eine Frage trübt die Harmonie: Wie präsentiert sich die Situation für Quereinsteiger bei einem Lehrerüberschuss? Denn wenn die Anzahl der Pensionierungen ab dem Jahr 2018 zu sinken beginnt, zeichnet sich ein solcher ab. Schweinezyklus nennen Forscher den Wechsel zwischen Mangel und Überangebot. Lehrer sind von diesen Wellenbewegungen besonders betroffen.
Für die Quereinsteiger, welche die neu konzipierte Ausbildung besuchen, sieht Zemp keine Nachteile. Die Prüfungen und Diplome seien gleichwertig. Doch für Quereinsteigende der ersten Runde werde es knapp. «Bei einem Lehrerüberfluss ist die Gefahr gross, dass Personen ohne schweizerisch anerkanntes Diplom ihre Stelle verlieren.»

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