Auch in Zukunft für Quereinsteiger offen, Bild: Die Presse
Eine Notlösung etabliert sich, NZZ, 19.8. von Lea Ingber
Pünktlich zum
Schulbeginn kursieren Geschichten über wenig bis gar nicht ausgebildete Lehrer.
Im Kanton Aargau genüge beispielsweise in einem Härtefall eine Ausbildung als
Pfadfinderleiter für die Lehrbewilligung. Quereinsteiger sind in der
öffentlichen Wahrnehmung ein Risikofaktor.
In
Expertenkreisen haftet der Ausbildung für erfahrene Berufsleute, wie
Quereinsteiger auch genannt werden, nichts Negatives mehr an. Sie seien eine
Entlastung und Bereicherung für die Schulen, sagt Bernhard Gertsch, Präsident des
Schweizerischen Verbandes für Schulleiterinnen und Schulleiter. «Quereinsteiger
sind eine wichtige Ressource und bringen vielfältige Erfahrungen ein.» Gerade
auf der Oberstufe könnten sie Schüler kompetent auf das Berufsleben
vorbereiten.
Gute Noten für Qualität
Quereinsteiger
würden in den Schulhäusern gut aufgenommen, sagt Pia Hirt Monico, Leiterin des
Instituts für Weiterbildung und Beratung an der Pädagogischen Hochschule
Nordwestschweiz (FHNW). «Die Schulen geben uns gute Rückmeldungen zur Akzeptanz
von Quereinsteigern», so Hirt Monico. Negative Äusserungen seien die Ausnahme.
Die detaillierte Evaluation sei aber noch nicht abgeschlossen.
Die Akzeptanz
ist ein Massstab für die Qualität der Arbeit. Und sie sei bei Quereinsteigern
gewährleistet. «Ein Qualitätsunterschied zu Lehrpersonen mit einer regulären
Ausbildung ist nicht erkennbar», sagt Gertsch. Christoph Eymann,
Erziehungsdirektor des Kantons Basel-Stadt und Präsident der
Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), ergänzt, dass Quereinsteiger oft eine
duale Berufsbildung absolviert hätten und Berufs- und Lebenserfahrung besässen.
Weshalb
dieser durchweg positive Grundtenor? «Die klare Regelung der EDK hat die
Situation sichtlich entspannt», stellt Gertsch fest. Noch im Oktober 2010
kritisierte der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz die von der FHNW
neugeschaffene Ausbildung als «Billigstudium». Die Absolventen erhielten nur
eine kantonale Lehrberechtigung, die nicht schweizweit anerkannt war.
Schulen brauchen Auswahl
Die EDK
reagierte auf die Kritik und erliess im Jahr 2012 national gültige Regeln. Die
pädagogischen Hochschulen setzen die Vorschriften momentan um (siehe Zusatz).
«Die Hochschulen stellen richtigerweise hohe Anforderungen an
Quereinsteigende», sagt Beat Zemp, Zentralpräsident des Dachverbandes der
Lehrerinnen und Lehrer Schweiz. Fragwürdig sei aber immer noch, dass
Quereinsteiger vor Abschluss der Ausbildung als Lehrpersonen arbeiten. Wie ihre
Betreuung sichergestellt werden kann, sei nicht klar.
Die
Pensionierungen und die Schülerzahlen steigen in der Schweiz weiter an. Gemäss
dem Bundesamt für Statistik wird der Bedarf an Lehrpersonen in den nächsten
vier Jahren je nach Kanton um bis zu 30 Prozent zunehmen. Doch das ewige Unwort
Lehrermangel verliert seinen Schrecken. Auch dieses Jahr steht vor jeder
Schulklasse eine Lehrperson. «Es ist irreführend, den Mangel an Lehrpersonen in
offenen Stellen auszudrücken», so Zemp. Um die Qualität zu gewährleisten,
würden die Schulen Auswahlmöglichkeiten benötigen. Die spezifischen Profile der
Lehrer müssten zusammenpassen.
In einer
Umfrage des Schulleiterverbandes im Mai gaben 40 Prozent der befragten
Schulleiterinnen und Schulleiter an, dass zumindest ein Teil der Stellen
ungenügend besetzt ist. Problemfelder sind der Kindergarten, die Sonderpädagogik
und Spezialfächer wie Textiles Gestalten oder Hauswirtschaft.
Die
Quereinsteiger werden den Lehrermangel abschwächen, aber keinesfalls
beseitigen. Dazu sind sie zu wenige. Diesen Herbst beginnen 1300 Studenten eine
Lehrerausbildung an der FHNW, lediglich 46 sind Quereinsteiger. In Zürich sind
unter den 800 Studenten immerhin 145 Quereinsteiger.
Die Kantone
sind unterschiedlich stark vom Lehrermangel betroffen. Gerade in Grenzgebieten
von Kantonen, in denen der Lohn tiefer ist, suchen Lehrer häufig eine Stelle im
Nachbarkanton. Auffällig ist dies laut Gertsch in der Region von Bern und
Solothurn. Der Kanton Bern habe das Problem aber erkannt und versuche, die
Unterschiede auszugleichen. Für Bernhard Pulver, Erziehungsdirektor des Kantons
Bern, sind Quereinsteiger denn auch nur eine Möglichkeit, um den Lehrermangel
zu entschärfen. «Es braucht einen Fächer von Massnahmen, zum Beispiel die Löhne
anzugleichen oder das Vollzeitpensum attraktiver zu machen.»
Wider den Schweinezyklus
Obwohl
Quereinsteiger quantitativ nur ein Tropfen auf den heissen Stein sind, sollen
die Ausbildungen permanent angeboten werden. Dafür sprechen sich der
Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer, der Schulleiterverband sowie viele
Bildungsdirektoren aus. «Die Programme sind für Berufsleute, die ihre
pädagogische Motivation später entdecken. Dieses Potenzial müssen wir weiterhin
nutzen», sagt Zemp.
Eine Frage
trübt die Harmonie: Wie präsentiert sich die Situation für Quereinsteiger bei
einem Lehrerüberschuss? Denn wenn die Anzahl der Pensionierungen ab dem Jahr
2018 zu sinken beginnt, zeichnet sich ein solcher ab. Schweinezyklus nennen
Forscher den Wechsel zwischen Mangel und Überangebot. Lehrer sind von diesen
Wellenbewegungen besonders betroffen.
Für die Quereinsteiger, welche die neu konzipierte Ausbildung besuchen,
sieht Zemp keine Nachteile. Die Prüfungen und Diplome seien gleichwertig. Doch
für Quereinsteigende der ersten Runde werde es knapp. «Bei einem
Lehrerüberfluss ist die Gefahr gross, dass Personen ohne schweizerisch
anerkanntes Diplom ihre Stelle verlieren.»
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