19. August 2014

"Die erste Fremdsprache muss eine Landessprache sein"

Westschweizer Bürgerliche stehen hinter dem Vorschlag der SP, Frühfranzösisch im Gesetz zu verankern - mit wenigen Ausnahmen.




Jacques Neirynck ist gegen ein Obligatorium: "Das hat Belgien an den Rand des Zusammenbruchs gebracht". Bild: Blick

"Die erste Fremdsprache muss eine Landessprache sein", NZZ, 19.8. von Andrea Kucera



Immer mehr Deutschschweizer Kantone bereiten die Abkehr vom Frühfranzösisch vor - erst letzte Woche hat das Thurgauer Parlament eine dahingehende Motion verabschiedet. Diese verlangt, dass der obligatorische Französischunterricht aus dem Lehrplan der Primarschule zu streichen sei.
Die SP Schweiz fordert deshalb, dass das Unterrichten einer zweiten Landessprache in der Primarschule im Gesetz verankert wird. Diese Idee findet selbst unter bürgerlichen Politikern der Westschweiz Zustimmung: Im Namen des Zusammenhaltes des Landes sind sie bereit, die Kompetenz der Kantone im Schulwesen zu beschneiden.
Föderalismus hin oder her
«Es ist traurig, dass es so weit kommen musste», sagt etwa der Präsident der CVP, der Unterwalliser Nationalrat Christophe Darbellay. Aber angesichts der jüngsten Entwicklungen sei er dafür, dass der Sprachenunterricht auf Ebene des Bundesgesetzes gelöst werde - Föderalismus hin oder her. «Schade nur, dass die SP mit dieser Idee vorgeprescht ist», sagt Darbellay.
Dieser Meinung dürfte auch der Walliser SVP-Nationalrat Oskar Freysinger sein, der sich vehement für Frühfranzösisch - und Frühdeutsch - ausspricht: «Die erste Fremdsprache muss eine Landessprache sein.» Ähnlich äussert sich auch die Vizepräsidentin der FDP, die Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret: «Als liberale Politikerin bin ich für föderale Lösungen. Steht jedoch der nationale Zusammenhalt auf dem Spiel, darf und soll Bundesbern einschreiten.»
Die Nationalrätin verweist darauf, dass die Sozialdemokraten sich ein Anliegen auf die Fahne geschrieben haben, das eigentlich aus den Reihen der FDP kommt. In der Tat hat der Neuenburger FDP-Nationalrat Raphael Comte im März eine entsprechende Interpellation eingereicht. Er bittet den Bundesrat darin, zu prüfen, ob mit einer Änderung des Sprachengesetzes der Unterricht einer zweiten Landessprache in der Primarschule gewährleistet werden kann. In seiner Antwort lotet der Bundesrat zwar nicht explizit den Handlungsspielraum im Rahmen des Sprachengesetzes aus, verweist aber darauf, dass er bereit ist, im Rahmen seiner Zuständigkeiten zu handeln, falls ein Kanton auf Primarschulstufe nur noch Englisch unterrichten würde. Denn dies würde den nationalen Zusammenhalt gefährden.
Ist dieser Punkt mit dem Entscheid des Thurgauer Parlaments bereits erreicht? Noch lernen die Thurgauer Primarschüler schliesslich Französisch. Der Ball liegt nun beim Regierungsrat, und das letzte Wort dürfte in zwei bis drei Jahren das Stimmvolk haben. «Natürlich wäre es vorzuziehen, dass der Kanton Thurgau schliesslich von selbst zur Räson kommt», sagte Moret. Für sie sei aber mit dem Überweisen der Motion ein Punkt erreicht, der ein Eingreifen in die kantonale Kompetenz rechtfertige.
Englisch als Teilamtssprache
Im Hinblick auf die kommende Herbstsession - die SP hat mehrere Vorstösse zum Thema Frühfranzösisch angekündigt - hat Moret alle französischsprachigen FDP-Parlamentarier gebeten, zur Frage des nationalen Zusammenhalts Stellung zu nehmen. Während der Walliser und der Freiburger Parteipräsident bereits signalisiert haben, dass sie mit Moret einer Meinung sind, dürfte die Antwort des Waadtländer FDP-Nationalrates Fathi Derder nicht im Sinne der Vizepräsidentin ausfallen. «Mir ist diese Debatte über den nationalen Zusammenhalt viel zu emotional», sagt Derder. «Die Romands sollten aufhören, sich als Opfer zu sehen und die Deutschschweizer als Landesverräter zu beschimpfen.» Das sei nicht im Sinne des Zusammenhaltes des Landes. Es bringe nichts, Englisch und Französisch gegeneinander auszuspielen.
Er plädiere vielmehr dafür, dass Englisch einen Sonderstatus als halboffizielle Landessprache erhalte. Um seinen Standpunkt zu unterstreichen, hat Derder eine, wie er selber sagt, «chancenlose» Motion lanciert, die eine Änderung des Sprachengesetzes verlangt: Englisch solle zur «Teilamtssprache» erklärt und für die Kommunikation mit den Behörden zugelassen werden. Schliesslich unterhielten sich auch die Präsidenten der ETH Lausanne und der ETH Zürich auf Englisch, so Derder. «Gefährdet dies etwa den nationalen Zusammenhalt?»
Derder ist nicht der einzige Querdenker in den Reihen der bürgerlichen Westschweizer Parlamentarier. Auch der Waadtländer CVP-Nationalrat Jacques Neirynck hat seine eigene Vision vom Zusammenhalt des Landes: Es sei gefährlich, Frühfranzösisch im Gesetz zu verankern, findet Neirynck. Als gebürtiger Belgier wisse er, wie es herauskomme, wenn man den Unterricht der Landessprachen für obligatorisch erkläre. «Das hat Belgien an den Rand des Zusammenbruchs gebracht.» Der wahre Garant für den Zusammenhalt des Landes sei der Föderalismus. «Daran darf nicht gerüttelt werden.»

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