Selbständig denkende Lehrkräfte sollen zu gehorsamen Beamten geformt werden, Bild: Fuerther Freiheit
Noch immer in der Falle, Basler Zeitung, 28.8. von Roger von Wartburg
In Lehrerkreisen
geniesst ein Artikel, der vor vier Jahren im Magazinabgedruckt wurde, Kultstatus: Es handelt sich um den
Beitrag «In der Falle – Wie die Schule von Reformwahn und Bildungsbürokratieerdrückt wird» von Martin Beglinger. Dieser beschrieb in seinem Text das
hoffnungslose Unterfangen, sich einen Überblick über die Bürokratisierungswelle
und die unzähligen Reformprojekte verschaffen zu wollen, die seit 1995 die
Schweizer Schulen überzogen haben.
Der Artikel von 2010
verkörperte für viele Lehrpersonen so etwas wie einen Hilferuf. Doch verändert
hat sich seither nichts. Im Gegenteil: Das Hamsterrad, in dem Lehrerschaft und
Schülerschaft gleichermassen unablässig auf Trab gehalten werden, dreht sich
schneller und schneller, die Planungs-, Evaluations- und Stabstellen wachsen
weiter und die dort tätigen Zeitgenossen denken sich ohne Unterlass noch mehr
Projekte und Versuche aus – schliesslich müssen die vielen geschaffenen Stellen
legitimiert werden. Dass es, wie Roland Reichenbach von der Universität Zürich
sagt, grossartige Erneuerungen im Schulwesen eher einmal im Jahrhundert als
einmal pro Monat gibt, ist nicht weiter von Belang: Umsetzen müssen all das
schliesslich andere.
Solange dieser Kreislauf
nicht politisch durchbrochen wird, ist keine Besserung in Sicht. Exponenten
aller Parteien schwadronieren seit Jahren, die Schulen müssten endlich wieder
zur Ruhe kommen. Nur unternimmt niemand etwas in diese Richtung. Daran
mitschuldig sind vielfältige Seilschaften zwischen Politik, Verwaltung und dem
Forschungs-Evaluations-Weiterbildungs-Komplex, der in den vergangenen Jahren zu
einem mächtigen, umsatzstarken Wirtschaftszweig aufgestiegen ist. Wenig
erstaunlich daher, was Mauro Dell’Ambrogio, Staatssekretär für Bildung, auf die
Frage geantwortet hat, was er als grösste Gefährdung unserer
Bildungseinrichtungen sehe: die Entfremdung zwischen den Partnern im
Bildungssystem, konkret zwischen Bürokratie und Schulpraxis.
Immer mehr Akteure gibt
es, die die Unsitte verbreiten, Pädagogik als exakte Wissenschaft darzustellen
und ihr Konzept jeweils als allein seligmachendes anzupreisen. Die Politik
ihrerseits widersteht allzu selten der Versuchung, in der Öffentlichkeit als
innovativ bis pionierhaft wahrgenommen zu werden, sodass jeder neue kleine
Bildungshype sogleich in Form einer weiteren Welle auf die Schulen losgelassen
wird, mitunter reichlich überhastet und unausgegoren. Geflissentlich ignoriert
wird dabei die lange Historie pädagogischer und didaktischer Luftschlösser. Als
Resultat erleben wir heute die Volksschule als Dauerbaustelle, die durch
ständig wechselnde Verkehrsführungen den Verkehrsfluss behindert und alle
Verkehrsteilnehmer verunsichert.
Selbstverständlich
sollen sich Lehrpersonen mit neuen Ideen auseinandersetzen und, im Falle des
Gutdünkens, ihr bestehendes Repertoire damit anreichern. Das ist jedoch ein
himmelweiter Unterschied zum zu beobachtenden Trend, in immer kürzeren
Abständen die kollektive Lehrerschaft mit dem nun endlich entdeckten «richtigen
Setting» zwangszubeglücken, das die Lernprozesse so gut wie von alleine
gelingen lasse. Dabei hat der Bildungsforscher John Hattie in seiner
umfassenden Metastudie nachgewiesen, dass eben gerade nicht die methodischen
Spielereien für den Lernerfolg entscheidend sind, sondern vielmehr die einzelne
Lehrerpersönlichkeit – wobei die Erfolgsaussichten in einem sorgfältig
gelenkten, klar strukturierten Unterricht am grössten sind.
Wir müssen deshalb
wieder davon abrücken, alle paar Wochen eine neue pädagogische Heilslehre durch
die Schulen zu treiben nach dem Motto: Nur so geht es, und wer es nicht so
macht, der macht es falsch! Es gibt nämlich verschiedene Arten, ein guter
Lehrer, eine gute Lehrerin zu sein. Authentische Vielfalt ist besser als
verordnete Einfalt.
Was wir brauchen, ist
eine Bildungspolitik der ruhigen Hand, welche sich der Tendenz zum hektischen
Aktionismus widersetzt. Wir brauchen überdies einen gesellschaftspolitisch
geklärten Auftrag an die Schule. Wir brauchen motivierte Lehrpersonen, denen
professionelle Freiräume erhalten bleiben. Wir brauchen eine verlässliche
Volksschule, der Schülerinnen und Schüler, Eltern, Arbeitgeber und Steuerzahler
mit Vertrauen begegnen können.
Übrigens: Ich bin
innerhalb meiner Familie der einzige Lehrer. Angehörige aus meinem Umfeld
arbeiten unter anderem in der Finanzbranche, im Marketing, im Medizinal- oder
Informatikbereich. Man könnte nun denken, in der Privatwirtschaft tätige
Arbeitnehmende hielten das «Aufmischen» des trägen Systems Schule für
gewinnbringend. Das Gegenteil ist der Fall, lautet doch der Tenor: «Wie blöd
ist das denn, dass sich nun auch noch die Schule dem permanenten Consulting-,
Restrukturierungs- und Administrationswahn unterwirft, der schon bei uns viel
kostet, ohne einen sichtbaren Mehrwert zu erzeugen!»
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen