Christian Amsler (pro) und Annemarie Pierpaoli (contra) äussern sich zur Umstellung.
Christian Amsler, warum soll die Basisschrift
die Schnürlischrift ablösen?
Für viele
Kinder ist die Schnürlischrift psychomotorisch eine Tortur, insbesondere das
künstliche Verbinden und das seltene Absetzen des Stifts. Darum kommt die
sogenannt teilverbundene Basisschrift den natürlichen Bewegungen der Kinder
entgegen.
Das Ende der Schnürlischrift, Migros Magazin, 11.8.
Wie wichtig ist eine persönliche Handschrift
überhaupt noch?
Sie ist sehr
wichtig. Die Handschrift ist ein Abbild der Persönlichkeit. Das ist jedoch auch
mit der Basisschrift möglich. Diese ist quasi ein guter Kompromiss zwischen
Schnürlischrift und der digitalisierten Schrift, an welche die Augen der Kinder
je länger, je mehr gewöhnt sind.
Ist die Einführung der Basisschrift also eine
beschlossene Sache?
Wir erwarten
noch in diesem Jahr eine Entscheidung. Eine einheitliche Lösung für den
deutschsprachigen Raum ist sehr wünschenswert, damit Kinder auch bei einem Schulwechsel
keine Probleme bekommen. Allerdings wird es eine solche Lösung zeitlich nicht
mehr in den Lehrplan 21 schaffen.
Sind sich denn alle einig?
Ich bin
optimistisch, dass wir das einheitlich regeln können. Die neue Schrift hat
viele Vorteile, und Lehrmittel sind auch bereits vorhanden. Aber natürlich gibt
es nach wie vor auch Anhänger der Schnürlischrift, wenn auch vorwiegend unter
älteren Lehrpersonen.
Welche Alternative zur Basisschrift gibt es
sonst noch?
Es gibt eigentlich keine grossen Möglichkeiten. Die reine Blockschrift
ist zu unpersönlich und eignet sich weniger für eine flüssige Handschrift. Die
Basisschrift ist klar der beste Kompromiss, um sich auf den Weg zu machen zu
einer guten persönlichen Handschrift.
Annemarie Pierpaoli (76) ist Präsidentin
der Schweizerischen Graphologischen Gesellschaft (SSG) und engagiert sich für
die Bewahrung des Kulturgutes Schreiben und Schriften. Die ausgebildete
Primarlehrerin und Psychologin mit den Schwerpunkten Graphologie,
Ausdruckspsychologie und Diagnostik untersucht seit über 30 Jahren
Handschriften.
Annemarie Pierpaoli, Sie setzen sich für den
Erhalt der Schnürlischrift ein. Warum?
Es geht nicht
nur um die Schnürlischrift, sondern vor allem um guten Schreibunterricht, der
auch bewegungsphysiologisch richtig ist und zu einer lesbaren Schrift führt und
Freude bereitet. Erfahrungen aus den USA haben gezeigt, dass eine Basisschrift
häufig durch eine rein nützliche Blockschrift abgelöst wird – es kommt zu einem
Schriftzerfall.
Die vielen Hin- und Herbewegungen der
Schnürlischrift laufen der Bewegungsphysiologie der Kinder entgegen, heisst es.
Stimmt das?
Im Gegenteil.
Die Abfolge bestimmter harmonischer Bewegungsmuster, das Ausnützen des
natürlichen Schwungs erweist sich wie bei vielen anderen Tätigkeiten als
sinnvoll. Dieser ergonomische Ablauf, wie er auch im Sport und in der Musik
gepflegt wird, ist bei der Basisschrift erschwert.
Welchen Stellenwert hat die Handschrift heute
noch?
Das Schreiben
von Hand bedingt eine ganz andere Art des Denkens. Es setzt voraus, dass der
Schreibende sich im Voraus überlegt, was er schreiben will, und seine Gedanken
strukturiert. Eine amerikanische Studie konnte zudem zeigen, dass der
Lerneffekt bei handschriftlichen Notizen grösser ist als mit Computer
geschriebenen. Die Handschrift ist unverwechselbar, einzigartig. Dieser
Ausdruck des Individuellen ist nicht in allen Kulturen wichtig. In China etwa wird
Wert gelegt auf möglichst vorlagengetreues Schreiben.
Kann eine persönliche Handschrift nicht auch
über die Basisschrift entstehen?
Wichtiger als die Schrift ist letztlich, dass der hochkomplexen Aufgabe
des Schreibenlernens in der Schule wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Die derzeitige Diskussion trägt durchaus dazu bei.
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