Angebot schafft Nachfrage, NZZ, 18.8. von Jan Hudec
Den
Volketswilern geht es wie so vielen Schulgemeinden im Kanton: Die Kosten im
Sonderschulbereich sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. «Das
Verhältnis der Ausgaben pro Sonderschüler und derjenigen pro
Nicht-Sonderschüler ist aus dem Lot geraten», sagt Michael Anders, Leiter
Bildung der Schulgemeinde Volketswil. 4,6 Prozent beträgt ihre
Sonderschulquote. Bei fast jedem 20. Schüler in Volketswil wird heute also eine
geistige Behinderung, eine Verhaltens- oder Lernschwierigkeit diagnostiziert.
Die damit verbundene finanzielle Last für die Gemeinde ist enorm: Von einem
Schulbudget von knapp 40 Millionen Franken investierte Volketswil im
vergangenen Jahr 7,4 Millionen für 94 Sonderschüler, gleich viel wie für 480
Sekundarschüler.
Fast dreimal so hohe Kosten
Volketswil
ist kein exotischer Einzelfall. Der massive Anstieg der Sonderschulquote ist im
ganzen Kanton zu beobachten: Lag sie 1999 noch bei 1,7 Prozent, stieg sie bis
2012 auf über 3,7 Prozent an. Entsprechend zugenommen haben auch die Kosten für
sonderschulische Massnahmen von knapp 140 Millionen Franken im Jahr 1999 auf
rund 380 Millionen im Jahr 2012. Dabei hatte man sich in der Bildungsdirektion
erhofft, dass sich die Zahlen anders entwickeln würden.
Mit der
Umsetzung des neuen Volksschulgesetzes ab 2007 wurde die Integration allgemein
und speziell die integrierte Sonderschulung stark gefördert. Damit sollten
Sonderschüler in der Regelklasse bleiben können, statt separat an einer
Sonderschule oder in einer Kleinklasse unterrichtet zu werden. Die Förderung
der Integration hat tatsächlich gefruchtet, insofern als die Quote der
integrierten Sonderschüler sich mehr als verfünffacht hat von 0,3 Prozent 2008
auf 1,6 Prozent 2012. Wenn nun also sehr viel mehr Sonderschüler in der
Regelklasse bleiben können, müsste eigentlich die Zahl der externen
Sonderschüler deutlich abnehmen, würde man meinen. Doch genau das ist nicht
passiert. Stattdessen hat sich ihre Zahl einfach auf hohem Niveau stabilisiert.
Die Förderung der integrierten Sonderschulung hat unter dem Strich also dazu
geführt, dass heute bei Schülern deutlich häufiger geistige Behinderungen oder
Verhaltens- und Lernschwierigkeiten diagnostiziert werden. Die neuesten Zahlen
der Bildungsdirektion für 2013 zeigen immerhin, dass sich die Quote der
Sonderschüler nun zu stabilisieren scheint. Die Zahlen für 2014 werden erst im
Herbst verfügbar sein.
Druck auf Schulen gestiegen
Warum aber
hat die Förderung der Integration nicht geholfen, die Zahl der externen
Sonderschüler zu verringern? «Das ist auch für uns nur schwierig zu erklären,
da die Zuteilung zur Sonderschulung bei den Schulgemeinden liegt», sagt Urs
Meier, stellvertretender Amtschef beim Volksschulamt. Fakt ist, dass das neue
Angebot offensichtlich eine zusätzliche Nachfrage geschaffen hat. Die Gründe
dafür seien vielfältig, sagt Meier. Unter anderem wegen diverser Neuerungen sei
der Druck auf die Schule gestiegen. So wurden beispielsweise Kleinklassen in
die Regelklassen integriert. Zwischen 1999 und 2012 sank die Zahl der Schüler,
die eine Kleinklasse besuchen, von rund 6000 auf 600. Für einige Lehrer sei die
Belastung zu gross geworden, sagt Meier, man tendiere eher dazu, Schüler einmal
abklären zu lassen in der Hoffnung auf Unterstützung. Eine andere Hypothese
sei, dass gesellschaftliche Strömungen die Sonderschulquote beeinflussten, so
sei auch im Gesundheits- und Sozialwesen der Trend zu beobachten, dass
Supportangebote intensiver genutzt würden. Und schliesslich liessen neue
Erfassungsmethoden und neue Diagnosestellungen die Quote ebenfalls ansteigen.
Wenn man in Volketswil nachfragt, sagt Michael Anders: «Man will integrieren,
stigmatisiert aber weiterhin. Das muss aufhören.» Sicherlich brauche ein
erfolgreicher Umgang mit Heterogenität auch Ressourcen, die aber stärker ins
System investiert werden sollen und nicht in den Einzelfall.
Kanton ergreift Massnahmen
Die
Kostenexplosion hat bei Kanton und Gemeinden mittlerweile zu einem Umdenken
geführt. Im vergangenen Jahr hat die Bildungsdirektion eine Reihe von
Massnahmen ergriffen, mit denen die Quote der Sonderschüler gesenkt oder zumindest
stabilisiert werden sollte. Die ersten Erfahrungen damit seien durchaus
positiv, konstatiert Urs Meier. Zu den Massnahmen gehören unter anderem ein
Gemeinde-Monitoring sowie ein standardisiertes Abklärungsverfahren. Das
Monitoring werde von den Gemeinden rege genutzt, insbesondere von jenen, deren
Sonderschulquote über dem kantonalen Schnitt liege. Dabei analysieren die
Gemeinden mithilfe des Volksschulamts, worin die Gründe für die hohe Quote
liegen. Die bisherigen Gespräche hätten unter anderem gezeigt, dass die
Zuweisung der Schüler sehr unterschiedlich gehandhabt werde, so Meier. Das
standardisierte Abklärungsverfahren soll hier Abhilfe schaffen.
In Volketswil
beispielsweise hat man als Reaktion auf die steigenden Kosten die Lektionenzahl
der integrierten Sonderschulung eingefroren und wird sie in einem nächsten
Schritt um einen Drittel reduzieren. Das Ziel sei es, damit noch stärker nach
Synergiemöglichkeiten zu suchen, sagt Anders. So sollen Schüler mit ähnlichen
Problemen zu Kleingruppen zusammengefasst werden. Gleichzeitig sollen Lehrer
vermehrt im Umgang mit Heterogenität geschult werden, um die
Integrationsfähigkeit der einzelnen Schulen zu verbessern.
Im
vergangenen Jahr gab der Kantonsrat der Bildungsdirektion ausserdem den
Auftrag, eine Versorgungsplanung auszuarbeiten, die man sich ähnlich vorstellen
kann wie die Spitalplanung im medizinischen Bereich. Sie soll dazu dienen, das
Angebot der separativen Sonderschulung gezielter zu steuern.
Die nächsten Jahre werden zeigen, ob mit diesen Massnahmen die
Sonderschulquote und damit auch die finanzielle Belastung effektiv gesenkt
werden kann. Bestehende Angebote zu reduzieren, ist bekanntlich aber
schwieriger, als neue zu schaffen.
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