Thomas Dähler fordert eine Debatte um die geplanten Schulreformen. Ihn stört, dass nicht öffentlich über die zukünftige Ausrichtung der Schule gestritten werden soll.
Zur notwendigen Debatte um die geplanten Schulreformen, Basler Zeitung, 7.6. von Thomas Dähler
Zwar ist Harmos nur ein bildungspolitischer Vertrag zwischen 15
Kantonen. Doch mit Harmos verbindet eine breite Öffentlichkeit längst sämtliche
Schulreformen, die gegenwärtig umgesetzt oder für die Zukunft noch geplant
werden. Entsprechend engagiert verläuft im Kanton Baselland die Diskussion um
den Austritt aus Harmos, der mit einer Volksinitiative verlangt wird. Dabei
fällt auf, dass nicht bloss Argumente dafür oder dagegen ausgetauscht werden.
Nicht wenige Bildungspolitiker wettern gegen den «gefährlichen Schritt» oder
warnen vor einer «Verunsicherung».
Die
Wortwahl ist entlarvend: Im Bereich der Bildung gibt es viele, die keine Freude
an öffentlichen Auseinandersetzungen oder demokratischen Entscheidungen haben.
Dies würde die Bevölkerung bloss verunsichern, meinen sie. Es ist kein Zufall,
dass der umstrittene neue Lehrplan 21 nicht das Resultat eines demokratischen
Prozesses ist, sondern ein Werk, das Bildungsexperten in unzähligen Stunden
abseits der Öffentlichkeit erarbeitet haben. Das Vorgehen sei
geheimbündlerisch, autistisch und einer Demokratie unwürdig, monierten die
Lehrplankritiker von allem Anfang an zu Recht. Schliesslich geht es längst
nicht nur darum, Kinder in der Schule Lesen, Schreiben und Rechnen zu lehren.
Es geht auch darum, Kinder zu erziehen und die Gesellschaft von morgen zu
formen – eine durch und durch ideologische Mission.
Es
erstaunt deshalb nicht, dass in den Interviews, welche die BaZ mit
Bildungspolitikern geführt hat, ideologisch argumentiert wurde. Gemäss
SP-Landrat Christoph Hänggi entwickelt sich die Schweizer Bildungslandschaft in
vielem so, wie es sich seine sozialdemokratische Partei vorstellt. Der mögliche
Nachfolger von Bildungsdirektor Urs Wüthrich (SP) tritt für «einheitliche
Bildungsstandards in reformfähigen, öffentlichen Schulen» ein. Mit den neuen
Sammelfächern in der Sekundarschule geht es nach Ansicht Hänggis auch um «ein
Zusammengehörigkeitsgefühl über die verschiedenen Niveaus hinweg».
Harmos-Kritiker
und Landrat Jürg Wiedemann (Grüne) dagegen tritt für einen fundierten
Fachunterricht ein und will gegen «Lernlandschaften» und «Wohlfühloasen»
ankämpfen. Wiedemann sieht die Anforderungsniveaus gefährdet. «Verheerend ist,
dass alle Schüler unabhängig von ihren Zukunftsperspektiven und dem
Leistungspotenzial die gleichen Kompetenzen erreichen müssen», kritisiert
Wiedemann die Wirkung, die Harmos entfalten könnte.
Selbstverständlich
ist es legitim, sich dafür zu engagieren, dass sich das Schweizer Schulsystem
stärker in die eine oder andere Richtung bewegt. Es kann durchaus darüber
gestritten werden, ob der gesellschaftliche Zusammenhalt oder die Vorbereitung
auf das Berufsleben wichtiger ist. Störend ist eigentlich nur, dass nicht
öffentlich über das Schulmodell der Zukunft gestritten werden soll. Die Schule
ist zu wichtig, um sie allein den Fachpersonen zu überlassen.
«Nahrung
zubereiten» als Kompetenz für angehende Gymnasiasten oder «Strukturen der
französischen Grammatik verstehen» als Kompetenz für Schüler, die sich um eine
Mechaniker-Lehrstelle bewerben: Ob einheitliche Lehrplanziele das A und O der
Chancengleichheit sind, darf bezweifelt werden. Der Kanton Baselland muss
deswegen zwar nicht aus Harmos austreten. Die Initianten machen aber die Bürger
darauf aufmerksam, dass sie genau hinschauen sollten, wenn Ideologen die Schule
klammheimlich mit unseren Steuergeldern in ihrem Sinn umgestalten wollen.
Es
spricht Bände, dass die Steuergruppe des Lehrplans 21 eigens anordnen musste,
dass Haltungen und Einstellungen im Lehrplan nicht vorzugeben sind. Dem
«Staatsstreich im Schulzimmer», den die Lehrplankritiker befürchten, ist die
demokratische Auseinandersetzung entgegenzuhalten. Das gilt auch fürs
Baselbiet: Mit dem Lehrplan werden Grundsätze verabschiedet, die einer
demokratischen Legitimation bedürfen. Der Bildungsrat ist nicht repräsentativ
zusammengesetzt und besitzt diese demokratische Legitimation nicht. Harmos ist
kein Blankocheck für Interessenvertreter. Wichtige Schulentscheidungen sind
deshalb vom Landrat zu treffen. Wenn nötig auch vom Volk.
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