7. Juni 2014

Harmos: Kein Freipass für Experten

Thomas Dähler fordert eine Debatte um die geplanten Schulreformen. Ihn stört, dass nicht öffentlich über die zukünftige Ausrichtung der Schule gestritten werden soll.
Zur notwendigen Debatte um die geplanten Schulreformen, Basler Zeitung, 7.6. von Thomas Dähler

Zwar ist Harmos nur ein bildungspolitischer Vertrag zwischen 15 Kantonen. Doch mit Harmos verbindet eine breite Öffentlichkeit längst sämtliche Schulreformen, die gegenwärtig umgesetzt oder für die Zukunft noch geplant werden. Entsprechend engagiert verläuft im Kanton Baselland die Diskussion um den Austritt aus Harmos, der mit einer Volksinitiative verlangt wird. Dabei fällt auf, dass nicht bloss Argumente dafür oder dagegen ausgetauscht werden. Nicht wenige Bildungspolitiker wettern gegen den «gefährlichen Schritt» oder warnen vor einer «Verunsicherung».
Die Wortwahl ist entlarvend: Im Bereich der Bildung gibt es viele, die keine Freude an öffentlichen Auseinandersetzungen oder demokratischen Entscheidungen haben. Dies würde die Bevölkerung bloss verunsichern, meinen sie. Es ist kein Zufall, dass der umstrittene neue Lehrplan 21 nicht das Resultat eines demokratischen Prozesses ist, sondern ein Werk, das Bildungsexperten in unzähligen Stunden abseits der Öffentlichkeit erarbeitet haben. Das Vorgehen sei geheimbündlerisch, autistisch und einer Demokratie unwürdig, monierten die Lehrplankritiker von allem Anfang an zu Recht. Schliesslich geht es längst nicht nur darum, Kinder in der Schule Lesen, Schreiben und Rechnen zu lehren. Es geht auch darum, Kinder zu erziehen und die Gesellschaft von morgen zu formen – eine durch und durch ideologische Mission.
Es erstaunt deshalb nicht, dass in den Interviews, welche die BaZ mit Bildungspolitikern geführt hat, ideologisch argumentiert wurde. Gemäss SP-Landrat Christoph Hänggi entwickelt sich die Schweizer Bildungslandschaft in vielem so, wie es sich seine sozialdemokratische Partei vorstellt. Der mögliche Nachfolger von Bildungsdirektor Urs Wüthrich (SP) tritt für «einheitliche Bildungsstandards in reformfähigen, öffentlichen Schulen» ein. Mit den neuen Sammelfächern in der Sekundarschule geht es nach Ansicht Hänggis auch um «ein Zusammengehörigkeitsgefühl über die verschiedenen Niveaus hinweg».
Harmos-Kritiker und Landrat Jürg Wiedemann (Grüne) dagegen tritt für einen fundierten Fachunterricht ein und will gegen «Lernlandschaften» und «Wohlfühloasen» ankämpfen. Wiede­mann sieht die Anforderungsniveaus gefährdet. «Verheerend ist, dass alle Schüler unabhängig von ihren Zukunftsperspektiven und dem Leistungspotenzial die gleichen Kompetenzen erreichen müssen», kritisiert Wiedemann die Wirkung, die Harmos entfalten könnte.
Selbstverständlich ist es legitim, sich dafür zu engagieren, dass sich das Schweizer Schulsystem stärker in die eine oder andere Richtung bewegt. Es kann durchaus darüber gestritten werden, ob der gesellschaftliche Zusammenhalt oder die Vorbereitung auf das Berufsleben wichtiger ist. Störend ist eigentlich nur, dass nicht öffentlich über das Schulmodell der Zukunft gestritten werden soll. Die Schule ist zu wichtig, um sie allein den Fachpersonen zu überlassen.
«Nahrung zubereiten» als Kompetenz für angehende Gymnasiasten oder «Strukturen der französischen Grammatik verstehen» als Kompetenz für Schüler, die sich um eine Mechaniker-Lehrstelle bewerben: Ob einheitliche Lehrplanziele das A und O der Chancengleichheit sind, darf bezweifelt werden. Der Kanton Baselland muss deswegen zwar nicht aus Harmos austreten. Die Initianten machen aber die Bürger darauf aufmerksam, dass sie genau hinschauen sollten, wenn Ideologen die Schule klammheimlich mit unseren Steuergeldern in ihrem Sinn umgestalten wollen.

Es spricht Bände, dass die Steuergruppe des Lehrplans 21 eigens anordnen musste, dass Haltungen und Einstellungen im Lehrplan nicht vorzugeben sind. Dem «Staatsstreich im Schulzimmer», den die Lehrplankritiker befürchten, ist die demokratische Auseinandersetzung entgegenzuhalten. Das gilt auch fürs Baselbiet: Mit dem Lehrplan werden Grundsätze verabschiedet, die einer demokratischen Legitimation bedürfen. Der Bildungsrat ist nicht repräsentativ zusammengesetzt und besitzt diese demokratische Legitimation nicht. Harmos ist kein Blankocheck für Interessenvertreter. Wichtige Schulentscheidungen sind deshalb vom Landrat zu treffen. Wenn nötig auch vom Volk.

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