9. Juni 2014

Zweifel am Übertrittssystem

Wir haben bereits über die hohe Erfolgsquote bei Kontrollprüfungen am Übertritt von der Primar in die Sek berichtet. Auch die Berner Zeitung macht sich Gedanken darüber, was es bedeutet, wenn ein Drittel der von den Lehrern der Real zugewiesenen Schüler den Sprung in die Sek trotzdem schafft.


Die Kontrollprüfungen deuten darauf hin, dass der von den Lehrern gefällte Zuweisungsentscheid ein Zufallstreffer ist, Bild: Andreas Blatter

Jeder dritte Schüler schafft Sek-Übertritt, Berner Zeitung, 7.6. von Christoph Aebischer


117 von 326 Schülerinnen und Schülern beginnen das nächste Schuljahr als Sekundarschüler, obwohl ihre Lehrer sie als Realschüler sahen. Im erstmals durchgeführten Kontrolltest erreichten sie nun aber die nötige Punktzahl für den Übertritt in die Sek. Anfang April, kurz nach der Durchführung des Tests, konnte Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) die Erfolgsquote noch nicht genau beziffern, die Erziehungsdirektion holte dies auf Anfrage des «Bund» nun nach.
Über die Hälfte in Muri
Der hohe Prozentsatz überrascht Praktiker, darunter auch SP-Kantonalpräsident Roland Näf, der die Schule Seidenberg in Muri-Gümligen leitet. Mit rund 80 Prozent liegt die Sekquote seiner Gemeinde an der Spitze im Kanton Bern. Und nun schaffte es noch einmal über die Hälfte der strittigen Fälle in die Sek. Näf hält dies für bedenklich. Er ist überzeugt, dass hier viel Druck mit ihm Spiel ist. Seine langjährige Erfahrung, ob als Lehrer oder als Vater, habe ihm aber eines klar gezeigt: «Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.» Allzu oft habe er miterlebt, dass forcierte Schüler später einen ganz anderen Weg eingeschlagen hätten und insbesondere die Zufriedenheit gelitten habe.
Für die Befürchtung der Eltern, in der Realschule sei der Zug für ihre Kinder abgefahren, gebe es ebenfalls keine Belege. «Unser Bildungssystem ist durchlässig», betont Näf. Er erinnert daran, dass am Beginn mancher erfolgreichen Laufbahn eine Berufslehre steht. Der Kontrolltest, eigentlich als Ersatz für die belastenden Einigungsgesprä-che bei abweichender Empfehlung der Lehrer von der Haltung der Eltern gedacht, behebe die Schwierigkeit einer gerechten Selektion keineswegs. Für ihn ist die Selektion an sich der Haken.
Pulver hält sie zwar nicht für der Weisheit letzter Schluss. Für ihn stellt sie aber auch nicht ein gravierender Missstand dar. «Ich möchte der Schule diese riesige Diskussion ersparen», sagt er auf Anfrage. Er kündigt jedoch Justierungen des Verfahrens an. Denn die Tatsache, dass vor allem fremdsprachige Buben dank Kontrolltest den Sprung doch noch schafften, gebe zu denken. Dies könnte mit den Selektionsfächern Deutsch, Französisch und Mathematik zusammenhängen. Wer in zwei Fächern das Sekundarschulniveau erreicht, gilt als Sekschüler. Die Sprachenlastigkeit kommt tendenziell Mädchen entgegen. Deren Anteil in der Sekundarschule ist tatsächlich leicht überdurchschnittlich. Pulver erwägt nun Anpassungen. Es wäre eine Ausdehnung der Selektionsfächer auf musische und naturwissenschaftliche Fächer möglich oder aber eine Einschränkung auf Mathematik und Deutsch.
Pulvers Fazit in 2 Jahren
Die Resultate des Kontrolltests werden derzeit evaluiert. Fazit ziehen will Pulver nach drei Umgängen in zwei Jahren. Für ihn ist es ein Erfolg, dass sich Eltern und Lehrer auch in diesem Frühjahr in über 95 Prozent aller Fälle einigen konnten. Die Rate entspreche den Jahren davor. Im Sommer 1995 wurde die obligatorische Aufnahmeprüfung durch das heutige System mit Empfehlungen ersetzt.
Heutiges System bewährt sich
Ob die Kontrollprüfung die Chancen der Schüler generell erhöht hat, kann Pulver nicht sagen. Erfahrungen wie etwa in Muri-Gümligen würden aber natürlich den Anreiz erhöhen, das eigene Kind an eine Prüfung zu schicken. So könnte sich die Zahl der strittigen Fälle erhöhen. «Das wäre nicht die Idee», stellt Pulver klar. Denn das heutige System, das auf der Partnerschaft Eltern -Lehrer und auf einer ganzheitlichen Betrachtung der Kinder basiere, habe sich bewährt.


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