Die Kontrollprüfungen deuten darauf hin, dass der von den Lehrern gefällte Zuweisungsentscheid ein Zufallstreffer ist, Bild: Andreas Blatter
Jeder dritte Schüler schafft Sek-Übertritt, Berner Zeitung, 7.6. von Christoph Aebischer
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Schülerinnen und Schülern beginnen das nächste Schuljahr als Sekundarschüler,
obwohl ihre Lehrer sie als Realschüler sahen. Im erstmals durchgeführten
Kontrolltest erreichten sie nun aber die nötige Punktzahl für den Übertritt in
die Sek. Anfang April, kurz nach der Durchführung des Tests, konnte
Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) die Erfolgsquote noch nicht genau
beziffern, die Erziehungsdirektion holte dies auf Anfrage des «Bund» nun nach.
Über die Hälfte in Muri
Der hohe
Prozentsatz überrascht Praktiker, darunter auch SP-Kantonalpräsident Roland
Näf, der die Schule Seidenberg in Muri-Gümligen leitet. Mit rund 80 Prozent
liegt die Sekquote seiner Gemeinde an der Spitze im Kanton Bern. Und nun
schaffte es noch einmal über die Hälfte der strittigen Fälle in die Sek. Näf
hält dies für bedenklich. Er ist überzeugt, dass hier viel Druck mit ihm Spiel
ist. Seine langjährige Erfahrung, ob als Lehrer oder als Vater, habe ihm aber
eines klar gezeigt: «Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.» Allzu
oft habe er miterlebt, dass forcierte Schüler später einen ganz anderen Weg
eingeschlagen hätten und insbesondere die Zufriedenheit gelitten habe.
Für die
Befürchtung der Eltern, in der Realschule sei der Zug für ihre Kinder
abgefahren, gebe es ebenfalls keine Belege. «Unser Bildungssystem ist
durchlässig», betont Näf. Er erinnert daran, dass am Beginn mancher
erfolgreichen Laufbahn eine Berufslehre steht. Der Kontrolltest, eigentlich als
Ersatz für die belastenden Einigungsgesprä-che bei abweichender Empfehlung der
Lehrer von der Haltung der Eltern gedacht, behebe die Schwierigkeit einer
gerechten Selektion keineswegs. Für ihn ist die Selektion an sich der Haken.
Pulver hält
sie zwar nicht für der Weisheit letzter Schluss. Für ihn stellt sie aber auch
nicht ein gravierender Missstand dar. «Ich möchte der Schule diese riesige
Diskussion ersparen», sagt er auf Anfrage. Er kündigt jedoch Justierungen des
Verfahrens an. Denn die Tatsache, dass vor allem fremdsprachige Buben dank
Kontrolltest den Sprung doch noch schafften, gebe zu denken. Dies könnte mit
den Selektionsfächern Deutsch, Französisch und Mathematik zusammenhängen. Wer
in zwei Fächern das Sekundarschulniveau erreicht, gilt als Sekschüler. Die
Sprachenlastigkeit kommt tendenziell Mädchen entgegen. Deren Anteil in der
Sekundarschule ist tatsächlich leicht überdurchschnittlich. Pulver erwägt nun
Anpassungen. Es wäre eine Ausdehnung der Selektionsfächer auf musische und
naturwissenschaftliche Fächer möglich oder aber eine Einschränkung auf
Mathematik und Deutsch.
Pulvers Fazit in 2 Jahren
Die
Resultate des Kontrolltests werden derzeit evaluiert. Fazit ziehen will Pulver
nach drei Umgängen in zwei Jahren. Für ihn ist es ein Erfolg, dass sich Eltern
und Lehrer auch in diesem Frühjahr in über 95 Prozent aller Fälle einigen
konnten. Die Rate entspreche den Jahren davor. Im Sommer 1995 wurde die
obligatorische Aufnahmeprüfung durch das heutige System mit Empfehlungen
ersetzt.
Heutiges System bewährt sich
Ob die
Kontrollprüfung die Chancen der Schüler generell erhöht hat, kann Pulver nicht
sagen. Erfahrungen wie etwa in Muri-Gümligen würden aber natürlich den Anreiz
erhöhen, das eigene Kind an eine Prüfung zu schicken. So könnte sich die Zahl
der strittigen Fälle erhöhen. «Das wäre nicht die Idee», stellt Pulver klar.
Denn das heutige System, das auf der Partnerschaft Eltern -Lehrer und auf einer
ganzheitlichen Betrachtung der Kinder basiere, habe sich bewährt.
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