Leistet ein Mehrklassenlehrer mehr als ein normaler Klassenlehrer? Bild: Keystone
Lehrerschaft sieht Dorfschulen in Gefahr, Landbote, 22.5. von Markus Brupbacher
Lehrpersonen, die in Schulklassen mit Kindern
mehrerer Jahrgänge unterrichten, erhalten eine Mehrklassenzulage – noch. Denn
ab dem 1. August fällt diese Zulage weg und wird durch eine sogenannte
Einmalzulage ersetzt. Diese Entschädigung erhalten neu nicht nur Schulen mit
jahrgangsgemischten Klassen, sondern alle Schulgemeinden. Weil aber der
Gesamtbetrag gleich bleibt, wird das «Kuchenstück» für die Gemeinden mit
Mehrjahrgangsklassen kleiner. Zurzeit werden in 146 von 204 Gemeinden solche
Klassen geführt. Der Streichung der Mehrklassenzulage stimmte der Kantonsrat im
Februar sehr deutlich zu.
Mit der
einmaligen Zulage soll die Schulpflege zwar weiterhin die Tätigkeit an
mehrklassigen Klassen honorieren – aber nicht mehr ausschliesslich. «Damit
werden auch die Schulgemeinden geschwächt, die für die Aufrechterhaltung ihrer
Primarschule auf einen Mehrklassenbetrieb angewiesen sind», schrieben 34
Weinländer Lehrpersonen im April in einem Protestbrief an Bildungsdirektorin
Regine Aeppli. «Grosse, meist städtische Schulkreise erhalten mit der
Einmalzulage massiv mehr Geld», sagt Annette Hug, Regionalsekretärin des
Verbandes des Personals Oeffentlicher Dienste (VPOD). Dem- gegenüber drohe
den Lehrpersonen mit altersdurchmischten Klassen in kleinen Gemeinden eine drastische
Einkommenskürzung von bis zu sechs Prozent.
Schule im
Dorf halten wollen
Kleine,
in der Regel ländliche Schulgemeinden unterrichten nach dem Modell des
altersdurchmischten Lernens (ADL) oft nicht primär aus pädagogischen, sondern
aus pragmatischen Gründen. So setzen zum Beispiel die Primarschulgemeinden von
Benken, Marthalen, Rheinau und Trüllikon in erster Linie deshalb auf den
Mehrklassenbetrieb, «um die Schule im Dorf halten zu können», so Hug. Durch die
Streichung der Mehrklassenzulage falle ein zusätzlicher Anreiz weg für
Lehrpersonen, in einer Dorfschule zu arbeiten. «Das schwächt die ländlichen
Schulgemeinden auf dem Arbeitsmarkt, wodurch es für sie noch schwieriger wird,
die Stellen auf dem Land zu besetzen.» Der Kanton sei gefordert, da Abhilfe zu
schaffen.
Aeppli
spricht von Bevorzugung
Für
Lehrpersonen ist eine altersdurchmischte Klasse laut Hug deshalb aufwendiger,
weil sie den Schulstoff für mehrere Klassen parallel vorbereiten und
unterrichten müssen. Das sieht das kantonale Volksschulamt (VSA) anders. So
habe sich die Situation in den Klassen mit nur einem Jahrgang verändert,
schreibt Regine Aeppli in ihrem Antwortbrief an die protestierenden
Lehrpersonen aus dem Weinland. Solche Jahrgangsklassen seien in der Regel
grösser als mehrklassige Klassen «und weisen oft ebenfalls einen sehr
heterogenen Leistungsstand auf». Die systematische Bevorzugung von Lehrpersonen
von mehrklassigen Klassen sei deshalb nicht mehr gerechtfertigt.
Trotz
Aepplis Absage appelliert der VPOD weiterhin an den Regierungsrat, den
Gesamtbetrag für die Einmalzulage zu erhöhen, um so die Lohneinbussen der
Mehrklassen-Lehrpersonen auszugleichen. Zudem fordert der Verband, dass die
«drastische Einnahmeneinbusse» von kleinen Gemeinden, die auf den Betrieb von Mehrklassen
angewiesen sind, behoben wird.
«Natürlich
verstehen wir die Bedenken», sagt Martin Wendelspiess, Chef des
Volksschulamtes. Allerdings glaubt er, «dass viel wichtigere Kriterien für die
Wahl einer Stelle entscheidend sind als die Zulage». Dass die Streichung der
Mehrklassenabgeltung kleine Schulgemeinden zu Fusionen dränge, verneint
Wendelspiess. Die Zulage sei weder ein Argument für noch gegen eine Fusion, da
die Schulstandorte bei einer Fusion in aller Regel beibehalten würden.
«Schwierige
Regierungsrätin»
Sollte es
zu krassen Kürzungen von Lehrereinkommen kommen, würde der VPOD den Rechtsweg
beschreiten. Die Mehrklassenzulage sei über Jahre ein Lohnbestandteil gewesen,
dessen Streichung gegen Treu und Glauben verstosse, so Hug. Die betroffenen
Lehrpersonen wurden erst mit der Lohnabrechnung vom 31. März über ihren künftig
reduzierten Lohn informiert. Dass das Volksschulamt dabei auf Protokolle der
Kantonsratssitzungen verweist, hält Hug für «absolut hanebüchen». Sie
kritisiert, dass in einer derart wichtigen Sache «so schnodderig kommuniziert
wird». Regine Aeppli sei eine «schwierige Regierungsrätin» – dass sich die
Kommunikation mit ihrem Rücktritt bessert, hält Hug für möglich, aber: «Es kann
aber auch schlimmer werden.»
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen