13. April 2014

Wer laut schreit, wird belohnt

Die Erziehungsdirektoren wollen die Kritiker am Lehrplan 21 mit knallig tönenden Massnahmen besänftigen. Doch die Strategie ist falsch. Ein Kommentar von Anja Burri, 12.4. im Tages Anzeiger


Der Lehrplan 21 legt für alle Deutschschweizer Schüler dieselben Lernziele fest. Dass dieses Pionierwerk Diskussionen auslöst, war klar. Die Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz (D-EDK) ist mit ­Forderungen, Lob und Kritik eingedeckt worden.
Daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist ­anspruchsvoll. Die D-EDK will den Lehrplan 21 ­entschärfen. Der in konservativen Kreisen umstrittene Begriff für unterschiedliche Geschlechterrollen ­«Gender» soll gestrichen, moralisch aufgeladene ­Themen wie Nachhaltigkeit oder Menschenrechte möglichst neutralisiert werden. Statt von «Mindest­anforderungen» ist künftig nur noch von «Grund­anforderungen» die Rede. Zudem wird das 550-seitige Werk um ein Fünftel gekürzt. Mit diesen knallig ­tönenden Massnahmen will die D-EDK die lautesten Kritiker besänftigen – ohne an den Grundprinzipien des kompetenzorientierten Lehrplans zu rütteln.
Diese Strategie ist falsch: Erstens dürfen zentrale Werte unserer Gesellschaft nicht geopfert werden. Lehrer sind ausgebildete Pädagogen, denen wir ­zutrauen können, die Themen angemessen zu behandeln. Nur eine politisierte Jugend wird sich künftig wieder häufiger an Abstimmungen beteiligen. Dass ­gewisse Kritiker sich so nicht besänftigen lassen, zeigt die Stellungnahme der SVP unter dem Titel «Die D-EDK wurstelt weiter auf Kosten des Steuerzahlers».
Zweitens behindern oberflächliche Begriffsdebatten die Diskussion um das Herzstück des Lehrplans, die Kompetenzorientierung. Die Verschiebung weg von Wissensinhalten hin zur Anwendung von Wissen werde das Bildungssystem schleichend, aber nachhaltig verändern, sagen Wissenschaftler aus dem angelsächsischen Raum. Dort gibt es die Kompetenzorientierung schon länger. Die Lehrergruppe «550 gegen 550» und einige Wissenschaftler verlangen deshalb eine öffentliche Diskussion. Doch diese findet bisher kaum statt. Vielleicht, weil das Thema komplexer ist als Gender-Bashing. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass die Kritiker nicht an den Lehrplanarbeiten beteiligt sind. Sie werden von der Streichung des Gender-Begriffes lernen: Wer laut genug schreit, wird gehört.


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