22. März 2019

Pro und contra Homeschooling


Es gibt mehr Gründe gegen Homeschooling als dafür. Daheim unterrichtete Kinder haben weniger Privatsphäre, keinen Schulweg, keine Pausenplatz-Flirts. Sie werden einseitiger geprägt, viele erfahren erst spät, dass es auch andere interessante Erwachsenenmeinungen gibt als die der Eltern. Und: Sie lernen weniger selbstverständlich Kinder aus anderen Vermögens-, Kultur- und Glaubenskreisen kennen als ihre Altersgenossen in der Volksschule, auch wenn der Wohnort ebenfalls segregierend wirken kann. In den USA wollen viele Homeschool-Eltern, dass ihre Kinder unter eigenen Leuten bleiben: unter Patrioten, Vegetariern, Christen, Scheibenweltlern. Solche Tribalisierung setzt der Gesellschaft zu.
Soll Homeschooling erlaubt bleiben? Basler Zeitung, 22.3. von David Hesse und Beat Metzler


Dennoch sollte Homeschooling nicht verboten werden. Auch in diesem Land sind Situationen denkbar, in welchen der Heimunterricht sinnvoll sein kann. Wenn sich in einem abgelegenen Weiler drei oder vier Familien lieber zum Homeschooling zusammentun, als den Kindern einen sehr langen Schulweg zuzumuten. Oder wenn ein Kind so verhaltensauffällig und verletzlich ist, dass es einfacher ist, ihm daheim oder privat zu geben, was es braucht. Wohlgemerkt: Schüchternheit ist hier nicht gemeint. Homeschooling darf kein Rückzugsort der Überfürsorglichen sein.

Eltern sollten ihre Kinder legal daheim unterrichten können, wenn die Umstände dies erfordern. Kinder müssen nicht wie in Deutschland von der Polizei abgeholt und zur Schule gebracht werden. Der Staat darf etwas mehr Vertrauen haben in die Selbstorganisation der Bürger. 

Wobei Vertrauen nicht genügt. Homeschool-Eltern müssen damit leben, eine Bewilligung einzuholen und den Behörden regelmässig Rechenschaft abzulegen über die Gesundheit und den Wissensstand ihrer Kinder. So wie das heute in einigen Kantonen und im Ausland schon verlangt wird. Daheim unterrichtete Kinder dürfen nicht verschwinden.
Meinung von David Hesse

Die wichtigste Lektion der Schulzeit findet sich in keinem Lehrplan, sie besteht im Aufeinandertreffen von Kindern, die sich fremdartig vorkommen, weil sie unverständliche Sprachen reden oder seltsame Dinge essen, weil sie in einer Villa leben oder einer Blockwohnung. Der Umgang mit den anderen kann anstrengend sein, aber Kinder passen sich leicht an und merken: Die Welt ist grösser als das eigene Umfeld, die Gesetze der Eltern gelten nicht absolut. Ein befreiendes Erlebnis.

Kinder haben das Recht, verschiedene Wirklichkeiten kennen zu lernen und an der Welt der Mehrheit teilzunehmen. Das Homeschooling bringt sie um diese Erfahrung, zwängt sie in das Denk-Korsett der Familie, hält sie fern von einer Gesellschaft, die aus verschiedensten Lebensentwürfen besteht, täuscht Einheitlichkeit vor, wo es keine gibt. Es verweigert Kindern die wichtigste aller Lektionen: Die Welt ist gross und vielstimmig.

Das schadet nicht nur den Kindern. Demokratien funktionieren, wenn sich die Menschen verständigen und auf gewisse Dinge einigen können; wenn sie einsehen, dass sich alle irgendwie ähnlich sind, egal, wie sie aussehen, woran sie glauben oder was sie verdienen. In den gemischten Klassen der Volksschulen lernt man diese Fähigkeit zur gegenseitigen Billigung, wogegen das Unterrichten zu Hause (oder auch in privaten Schulen, wo weltanschauliche Gruppen unter sich bleiben) eine umgekehrte Botschaft aussendet: Wir genügen uns selber, die Sippe zählt mehr als die Allgemeinheit. Filterblasen für Kleine; sie sollten nicht geduldet werden.

Die Schwerkraft der Herkunft bleibt stark genug, auch ohne kindliche Absonderung. Nach der Schulzeit finden sich die meisten Menschen wieder unter ihresgleichen, privat, beruflich, politisch. Die Volksschule bildet ein Fenster der Offenheit, sie sorgt für jenen sozialen Durchzug, auf den weder Kinder noch Demokratien verzichten können.
Meinung von Beat Metzler 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen