Es gibt mehr Gründe gegen Homeschooling als dafür. Daheim unterrichtete
Kinder haben weniger Privatsphäre, keinen Schulweg, keine Pausenplatz-Flirts.
Sie werden einseitiger geprägt, viele erfahren erst spät, dass es auch andere
interessante Erwachsenenmeinungen gibt als die der Eltern. Und: Sie lernen
weniger selbstverständlich Kinder aus anderen Vermögens-, Kultur- und
Glaubenskreisen kennen als ihre Altersgenossen in der Volksschule, auch wenn
der Wohnort ebenfalls segregierend wirken kann. In den USA wollen viele
Homeschool-Eltern, dass ihre Kinder unter eigenen Leuten bleiben: unter
Patrioten, Vegetariern, Christen, Scheibenweltlern. Solche Tribalisierung setzt
der Gesellschaft zu.
Soll Homeschooling erlaubt bleiben? Basler Zeitung, 22.3. von David Hesse und Beat Metzler
Dennoch sollte Homeschooling nicht verboten werden. Auch in diesem Land
sind Situationen denkbar, in welchen der Heimunterricht sinnvoll sein kann.
Wenn sich in einem abgelegenen Weiler drei oder vier Familien lieber zum
Homeschooling zusammentun, als den Kindern einen sehr langen Schulweg
zuzumuten. Oder wenn ein Kind so verhaltensauffällig und verletzlich ist, dass
es einfacher ist, ihm daheim oder privat zu geben, was es braucht. Wohlgemerkt:
Schüchternheit ist hier nicht gemeint. Homeschooling darf kein Rückzugsort der
Überfürsorglichen sein.
Eltern sollten ihre Kinder legal daheim unterrichten können, wenn die
Umstände dies erfordern. Kinder müssen nicht wie in Deutschland von der Polizei
abgeholt und zur Schule gebracht werden. Der Staat darf etwas mehr Vertrauen
haben in die Selbstorganisation der Bürger.
Wobei Vertrauen nicht genügt. Homeschool-Eltern müssen damit leben, eine
Bewilligung einzuholen und den Behörden regelmässig Rechenschaft abzulegen über
die Gesundheit und den Wissensstand ihrer Kinder. So wie das heute in einigen
Kantonen und im Ausland schon verlangt wird. Daheim unterrichtete Kinder dürfen
nicht verschwinden.
Meinung von David Hesse
Die wichtigste Lektion der Schulzeit findet sich in keinem Lehrplan, sie
besteht im Aufeinandertreffen von Kindern, die sich fremdartig vorkommen, weil
sie unverständliche Sprachen reden oder seltsame Dinge essen, weil sie in einer
Villa leben oder einer Blockwohnung. Der Umgang mit den anderen kann
anstrengend sein, aber Kinder passen sich leicht an und merken: Die Welt ist
grösser als das eigene Umfeld, die Gesetze der Eltern gelten nicht absolut. Ein
befreiendes Erlebnis.
Kinder haben das Recht, verschiedene Wirklichkeiten kennen zu lernen und
an der Welt der Mehrheit teilzunehmen. Das Homeschooling bringt sie um diese
Erfahrung, zwängt sie in das Denk-Korsett der Familie, hält sie fern von einer
Gesellschaft, die aus verschiedensten Lebensentwürfen besteht, täuscht
Einheitlichkeit vor, wo es keine gibt. Es verweigert Kindern die wichtigste
aller Lektionen: Die Welt ist gross und vielstimmig.
Das schadet nicht nur den Kindern. Demokratien funktionieren, wenn sich
die Menschen verständigen und auf gewisse Dinge einigen können; wenn sie
einsehen, dass sich alle irgendwie ähnlich sind, egal, wie sie aussehen, woran
sie glauben oder was sie verdienen. In den gemischten Klassen der Volksschulen
lernt man diese Fähigkeit zur gegenseitigen Billigung, wogegen das Unterrichten
zu Hause (oder auch in privaten Schulen, wo weltanschauliche Gruppen unter sich
bleiben) eine umgekehrte Botschaft aussendet: Wir genügen uns selber, die Sippe
zählt mehr als die Allgemeinheit. Filterblasen für Kleine; sie sollten nicht
geduldet werden.
Die Schwerkraft der Herkunft bleibt stark genug, auch ohne kindliche
Absonderung. Nach der Schulzeit finden sich die meisten Menschen wieder unter
ihresgleichen, privat, beruflich, politisch. Die Volksschule bildet ein Fenster
der Offenheit, sie sorgt für jenen sozialen Durchzug, auf den weder Kinder noch
Demokratien verzichten können.
Meinung von Beat Metzler
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