"Französisch erst ab Oberstufe ist zwar bedauerlich, aber man muss es akzeptieren"
Schulföderalismus, ade? NZZ, 25.3. von Christophe Büchi
Dank Bundesrat Berset
wissen wir es: Die Landesregierung will es nicht zulassen, dass die
Landessprachen vom Englischen aus den (Deutschschweizer) Primarschulen
verdrängt werden. Notfalls möchte der Bundesrat den Landessprachen zu Hilfe
eilen.
Konkret: Sollten die Kantone den Unterricht einer zweiten Landessprachen
auf Primarschulstufe nicht sicherstellen, könnte Bundes-Bern das Erlernen einer
zweiten Landessprache in der Primarschule über die “Köpfe” der Kantone hinweg
als obligatorisch erklären – kraft der subsidiären Kompetenz in Bildungsfragen,
die dem Bund von der Bundesverfassung zugesprochen wird.
Bersets Statement in der Fragestunde des Nationalrats zielte natürlich
vor allem auf jene Deutschschweizer Kantone, in denen Vorstösse gegen den
Unterricht zweier Fremdsprachen in der Primarschule hängig sind. Denn diese
Vorstösse stellen zwar nicht explizit, aber de facto den Französischunterricht
und nicht das Englische in Frage.
Nun – als quasi amtlicher Verteidiger der Sprachminderheiten und der
Romandie müsste ich eigentlich über Bersets Winken mit dem Zaunpfad glücklich
sein. Aber ich bin es nicht.
Ich verstehe zwar, dass sich die Landesregierung um die Landessprachen
Sorgen macht. Und ich verstehe auch die Irritation der Romands, die tapfer ab
der Primarschule Deutsch lehren und lernen, gleichzeitig aber zusehen müssen,
wie die französische Sprache in gewissen Deutschschweizer Kantonen als quantité
négligeable behandelt wird. Sie haben zu Recht das Gefühl, dass hier eine
schleichende Erosion stattfindet.
Und dennoch wäre eine Intervention des Bundes keine gute Sache. Aus
folgenden Gründen.
Zuerst: Wenn es eine Domäne gibt, in denen der Föderalismus à la suisse
weiter seine Berechtigung hat, dann ist es der Schulbereich. Ich bin kein
bedingungsloser Anhänger des real existierenden Föderalismus helvetischer
Prägung. Wenn zwei Dutzend Kantonsparlamente Monate lang an kantonalen Gesetzen
über Kampfhunde herumlaborieren und schliesslich in allen Kantonen andere
Vorschriften über Leinenzwang und Maulkorb-Obligatorium gelten, so scheint mir
dies ein gewaltiger Verschleiss an Zeit und Geld. Denn Kampfhunde beissen ja
nicht anders, wenn sie die Kantonsgrenze überschreiten.
Im Schulwesen dagegen fallen regionale und lokale Besonderheiten schwer
ins Gewicht, und sie sollten auch respektiert werden, gerade auch im Bereich
des Sprachenunterrichts. Es ist doch sonnenklar, dass die Frage, wie und wann
welche Sprachen gelehrt und unterrichtet werden sollten, etwa in der Ostschweiz
und in Basel nicht gleich beurteilt wird.
Statt alle Kantone über den gleichen Leisten zu schlagen, sollte deshalb
jeder die für seine Situation beste Lösung suchen dürfen.
Föderalismus vs. Harmonisierung: ein Zielkonflikt
Das grosse Problem ist allerdings, dass das Prinzip Föderalismus sich
mit einem anderen Grundsatz der Schweizer Schulpolitik, mit dem Prinzip
Vereinheitlichung (in der Regel harmlos als “Harmonisierung” bezeichnet), nicht
gut verträgt, oder deutsch und deutlich gesagt: ihm letzten Endes diametral
entgegenläuft. Auch wenn dies gern verwedelt wird: Es besteht hier ein
Zielkonflikt, obwohl Kompromisse und Arrangements möglich sind. Der
Bildungsartikel der Bundesverfassung ist ein Kompromiss, da er den Kantonen
zwar grundsätzlich die Hoheit über die Schulpolitik zuspricht, aber für den
Fall, dass sie diese nicht “richtig” einsetzen, dem Bund ein Interventionsrecht
einräumt.
Nun ist die Bereitschaft, föderalistische Vielfalt zu akzeptieren oder
gar gut zu finden, in den letzten Jahren offensichtlich stark gesunken. Man
will immer mehr einheitliche Lösungen. Und deshalb wurde in der deutschen
Schweiz die Grossbaustelle Harmos eröffnet.
Und darum haben wird jetzt ein massives Problem in der Sprachenpolitik.
Denn wenn man harmonisieren und vereinheitlichen will, dann kommt man um die
Sprachenfrage nicht herum. Denn es ist klar, wie mein Kollege Michael
Schoenenberger in der NZZ schon mehrmals überzeugend nachgewiesen hat, dass es
wenig Sinn macht, die kantonalen Schulsysteme zu vereinheitlichen, ausgerechnet
bei den Sprachen aber eine Ausnahme zu machen. Wer A sagt, muss man auch B
sagen.
Harmonisierung, warum eigentlich?
Nun könnte man sich aber auch die Frage stellen, ob eine
Vereinheitlichung der kantonalen Schulsysteme wirklich das Alpha und das Omega
eidgenössischer Schulpolitik sein muss.
Eines der Hauptargumente für die Hamonisierung, nämlich die
Erleichterung der Mobilität zwischen den Kantonen, ist zumindest
diskussionswürdig. Denn erstens stellt man fest, dass die Schweizer ohnehin
nicht gern den Wohnort wechseln und lieber pendeln, was ja dank dem guten
öffentlichen Verkehr in den meisten Fällen kein Problem darstellt.
Und zweitens ist es auch nicht sicher, dass Kinder überfordert werden,
wenn sie sich an ein anderes Schulsystem anpassen müssen. Wechsel des Wohnorts
haben immer Wechsel in der Lebensführung zur Folge. Wer sich nicht ändern will,
muss halt zu Hause bleiben.
Riskante Abservierung des Schulföderalismus
Überhaupt habe ich bisher kein definitiv überzeugendes Argument gehört,
weshalb man die kantonalen Schulsysteme unbedingt vereinheitlichen sollte.
Deshalb schiene es mir klüger, die zur Heiligen Kuh erklärte Harmonisierung zu
schlachten, als den Schulföderalismus auszuhebeln. Denn Letzteres wäre der
sicherste Weg, um aus der lösbaren Frage des Sprachenunterrichts einen
ernsthaften Sprachenkonflikt zu machen und die Landesteile gegeneinander
aufzubringen.
Um es noch konkreter zu sagen. Wenn die Bevölkerung, die Lehrerschaft
und die Behörden gewisser Innerschweizer Kantone wirklich der Meinung sein
sollten, ihren Schülern und Schülerinnen sei Französisch in der Primarschule
nicht zuzumuten, so finde ich dies zwar äusserst bedauerlich und auch etwas
kleinkariert. Aber man muss es akzeptieren. Es macht ja wenig Sinn, die
kulturelle Vielfalt der Schweiz in Festreden zu loben und immer dann, wenn sie
sich konkret manifestiert, nach einer einheitlichen Lösung zu rufen.
Zudem wäre eine Intervention des Bundes auch in pädagogischer Hinsicht
wenig zweckdienlich. Denn würde der Bund gewissen Kantonen im Namen einer
raison d’Etat helvétique das Französische ab Primarstufe aufzwingen, so wäre
dies die denkbar schlechteste Ausgangslage für den Französischunterricht. Ich
wollte jedenfalls nicht unter solchen Umständen Französisch unterrichten
müssen.
Es gibt eigentlich nur zwei erfolgreiche Sprachenlehrer. Der eine ist
die Notwendigkeit. Wer eine Sprache lernen muss, um zu überleben, lernt sie.
Deshalb können beispielsweise alle Rätoromanen perfekt Deutsch.
Der andere Sprachlehrer ist die Lust. Wenn man eine Sprache lernen will,
beispielsweise, weil man sich verliebt hat, dann lernt man sie auch.
Schwierig wird das Sprachenlernen, wenn man weder muss noch will. Dies
ist offenbar bei einem Teil der Deutschschweizer mit dem Französischen der
Fall.
Schüleraustausch muss gefördert werden
Sprachenunterricht ist nur dann erfolgreich, wenn er bei den Schülern
und Lehrern mit etwas Libido verbunden ist. Nun könnte man diese Lust ja auch
etwas wecken. Deshalb lese ich mit Freuden in der “Zentralschweiz am Sonntag”,
dass die SP Schweiz den Schüleraustausch zwischen den Landesteilen fördern
will. Lieber etwas weniger Unterricht und etwas mehr Austausch.
Völlig verblüfft bin ich aber, wenn ich in der gleichen Zeitung lese,
dass ausgerechnet SVP-Nationalrat Peter Keller aus Nidwalden, der gegen das Französisch
in den Primarschule vom Leder zieht, auch diese Idee ablehnt. “Das bringt nur
viel Aufwand und wenig Ertrag”, wird Keller zitiert.
Mir scheint dies etwas gar kurz zu sein. Ist das wirklich der ganze
Grund der Ablehnung? Oder will man bei der SVP nicht zugeben, dass auch die SP
eine gute Idee haben kann?
Oder findet man, die Innerschweizer Schüler sollten besser keinen
Kontakt mit einem Landesteil haben, der die SVP-Masseneinwanderungsinitiative
abgelehnt hat?
Oder ist es einfach so, dass die SVP gar nicht mehr anders kann, als
“nein nein und nochmals nein” zu sagen?
Nun, es ist möglich, dass SVP-Nationalrat Keller mehr zum Thema zu sagen
hat als das kurze, von der “Zentralschweiz am Sonntag” zitierte Statement. Ich
bin zu lange Journalist um zu glauben, man könne die Haltung eines Politikers
1:1 aus einem Zeitungsartikel ablesen.
Ich bin deshalb gespannt, was in den nächsten Wochen aus der SVP zum
Thema Schüleraustausch zu vernehmen sein wird. Ich kann akzeptieren, dass man
findet, der Sprachenunterricht müsse nicht allein den nationalen Zusammenhalt
des Landes sicherstellen. Aber weshalb man dann gegen die Förderung des
Schüleraustauschs sein kann, ist mir schleierhaft.
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