23. März 2014

Wenn Politiker sich einmischen

Alain Berset hat die Frage der Frühfremdsprachen zu einem eidgenössischen Politikum gemacht. Nun haben wir den Salat: Von links bis rechts mischen sich Politiker ein und machen Stimmung. Doch letztlich geht es um die Kinder, es geht um eine pädagogische Frage. (uk)
Französisch wird zum Politikum, St. Galler Tagblatt, 22.3. von Denise Lachat


Die Zeichen stehen auf Sturm. Obwohl die Schweizerinnen und Schweizer 2006 mit rekordhohen 86 Prozent einer Harmonisierung des nationalen Schulsystems zustimmten, säbeln immer mehr Deutschschweizer Kantone am Französischunterricht. Luzern und Nidwalden sind auf dem Weg zur Abschaffung von Französisch in der Primarschule, im Thurgau und in Baselland sind entsprechende Vorstösse hängig, und vor ein paar Tagen entschied das Schaffhauser Kantonsparlament, zwei Fremdsprachen in der Primarschule seien zu viel. Der Trend ist inzwischen so stark, dass die sonst zurückhaltende frühere Direktorin der Schweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz und heutige Chefin des Bundesamts für Kultur, Isabelle Chassot, selber deutliche Töne anschlug. So sagte sie in einem Interview mit «Le Matin Dimanche», der Bund würde intervenieren, falls der Französischunterricht aus der Primarschule der Deutschschweizer Kantone verschwinden sollte.
Berset geht in Position
Dieser Ansicht ist auch der Chef: Anfang dieser Woche bestätigte Kulturminister Alain Berset, der wie Chassot aus dem zweisprachigen Kanton Freiburg stammt, dass der Bundesrat von seiner subsidiären Kompetenz Gebrauch machen würde, falls sich die Kantone in der Frage nicht einigten. Tatsächlich kann der Bund eingreifen, falls die Kantone ihre verfassungsmässige Pflicht zur Gestaltung eines nationalen Bildungsraums mit gemeinsamen Eckwerten nicht von sich aus erfüllen. Bereits im Februar schrieb der Bundesrat in seiner Antwort auf eine Interpellation des Walliser Nationalrats Mathias Reynard (SP), er sei überzeugt, dass das Erlernen einer zweiten Landessprache ab der Primarschule für den nationalen Zusammenhalt von wesentlicher Bedeutung sei.
Für den Freiburger Ständerat Urs Schwaller steht ausser Frage: «Wer in der Schule keine soliden Grundkenntnisse in Französisch lernt, der lernt die Sprache später erst recht nicht mehr». Für Englisch hingegen sei auch später noch Zeit, die Sprache sei ohnehin omnipräsent. Das Argument der Kritiker, Englisch sei eben viel leichter zu lernen und motiviere die Primarschüler darum besser, erscheint Schwaller reichlich kurios. Deutschschweizer seien auch nicht gerade motiviert fürs Hochdeutsche, deswegen werde der Unterricht noch lange nicht abgeschafft. Bei der Vorstellung einer Einmischung des Bundes zuckt der «Erzföderalist» Schwaller aber zusammen. «Nein, das wäre falsch.» Im Grunde ticken alle welschen Kantone ausgesprochen föderalistisch, was für eine Minderheit in einem Land auch nicht verwunderlich ist. Bei der Sprachenfrage scheint das Mass des Erträglichen aber voll.
Herzog: Englisch für alle
Er habe schon vor Jahren Zweifel gehabt, dass die Kantone eine föderalistische Lösung finden würden, sagt der Neuenburger Ständerat und ehemalige Bildungsdirektor Didier Berberat. Nun zeige sich, dass die Deutschschweiz immer stärker zu Englisch tendiere. Berberat erkennt darin eine einseitige Ausrichtung auf die Finanz-, Versicherungs- und Informatikbranche, dabei brauchten die meisten Deutschschweizer in ihrem Beruf eher Französisch als Englisch; und die Romands brauchten ihrerseits Deutsch. Und: Wenn er vor die Wahl gestellt werde zwischen Föderalismus und nationalem Zusammenhalt, dann ziehe er den Zusammenhalt vor.
Eine ganz andere Idee von Zusammenhalt schwebt der Thurgauer SVP-Nationalrätin Verena Herzog vor. Wenn überall in der Schweiz zuerst Englisch gelernt würde, hätten alle gleich lange Spiesse und verständen sich gleich gut. Das twitterte sie denn auch, als Reynard in der Sendung «10 vor 10» französisch sprach. Der Walliser schüttelt darüber den Kopf. Ausgerechnet die SVP, die sich stets als Patriotin ausgebe, opfere eine Landessprache für Englisch. Herzog würde dafür gar auf die Barrikaden steigen. Gegen ein «Bundesdiktat», sagt sie, wehre sie sich mit einem Referendum oder einer Volksinitiative für Englisch auf der Primarstufe. Dadurch hätten die Schüler mehr Zeit für Deutsch und Mathematik. Französisch könne an der Oberstufe unterrichtet werden, mit höherer Lektionenzahl.


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