Französisch wird zum Politikum, St. Galler Tagblatt, 22.3. von Denise Lachat
Die Zeichen stehen auf Sturm. Obwohl die Schweizerinnen und Schweizer
2006 mit rekordhohen 86 Prozent einer Harmonisierung des nationalen
Schulsystems zustimmten, säbeln immer mehr Deutschschweizer Kantone am
Französischunterricht. Luzern und Nidwalden sind auf dem Weg zur Abschaffung
von Französisch in der Primarschule, im Thurgau und in Baselland sind
entsprechende Vorstösse hängig, und vor ein paar Tagen entschied das
Schaffhauser Kantonsparlament, zwei Fremdsprachen in der Primarschule seien zu
viel. Der Trend ist inzwischen so stark, dass die sonst zurückhaltende frühere
Direktorin der Schweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz und heutige Chefin des
Bundesamts für Kultur, Isabelle Chassot, selber deutliche Töne anschlug. So
sagte sie in einem Interview mit «Le Matin Dimanche», der Bund würde
intervenieren, falls der Französischunterricht aus der Primarschule der
Deutschschweizer Kantone verschwinden sollte.
Berset geht in Position
Dieser Ansicht ist auch der Chef: Anfang dieser Woche bestätigte
Kulturminister Alain Berset, der wie Chassot aus dem zweisprachigen Kanton
Freiburg stammt, dass der Bundesrat von seiner subsidiären Kompetenz Gebrauch
machen würde, falls sich die Kantone in der Frage nicht einigten. Tatsächlich
kann der Bund eingreifen, falls die Kantone ihre verfassungsmässige Pflicht zur
Gestaltung eines nationalen Bildungsraums mit gemeinsamen Eckwerten nicht von
sich aus erfüllen. Bereits im Februar schrieb der Bundesrat in seiner Antwort
auf eine Interpellation des Walliser Nationalrats Mathias Reynard (SP), er sei
überzeugt, dass das Erlernen einer zweiten Landessprache ab der Primarschule
für den nationalen Zusammenhalt von wesentlicher Bedeutung sei.
Für den Freiburger Ständerat Urs Schwaller steht ausser Frage: «Wer in
der Schule keine soliden Grundkenntnisse in Französisch lernt, der lernt die
Sprache später erst recht nicht mehr». Für Englisch hingegen sei auch später
noch Zeit, die Sprache sei ohnehin omnipräsent. Das Argument der Kritiker,
Englisch sei eben viel leichter zu lernen und motiviere die Primarschüler darum
besser, erscheint Schwaller reichlich kurios. Deutschschweizer seien auch nicht
gerade motiviert fürs Hochdeutsche, deswegen werde der Unterricht noch lange
nicht abgeschafft. Bei der Vorstellung einer Einmischung des Bundes zuckt der
«Erzföderalist» Schwaller aber zusammen. «Nein, das wäre falsch.» Im Grunde
ticken alle welschen Kantone ausgesprochen föderalistisch, was für eine
Minderheit in einem Land auch nicht verwunderlich ist. Bei der Sprachenfrage
scheint das Mass des Erträglichen aber voll.
Herzog: Englisch für alle
Er habe schon vor Jahren Zweifel gehabt, dass die Kantone eine
föderalistische Lösung finden würden, sagt der Neuenburger Ständerat und
ehemalige Bildungsdirektor Didier Berberat. Nun zeige sich, dass die
Deutschschweiz immer stärker zu Englisch tendiere. Berberat erkennt darin eine
einseitige Ausrichtung auf die Finanz-, Versicherungs- und Informatikbranche,
dabei brauchten die meisten Deutschschweizer in ihrem Beruf eher Französisch
als Englisch; und die Romands brauchten ihrerseits Deutsch. Und: Wenn er vor
die Wahl gestellt werde zwischen Föderalismus und nationalem Zusammenhalt, dann
ziehe er den Zusammenhalt vor.
Eine ganz andere Idee von Zusammenhalt schwebt der Thurgauer
SVP-Nationalrätin Verena Herzog vor. Wenn überall in der Schweiz zuerst
Englisch gelernt würde, hätten alle gleich lange Spiesse und verständen sich
gleich gut. Das twitterte sie denn auch, als Reynard in der Sendung «10 vor 10»
französisch sprach. Der Walliser schüttelt darüber den Kopf. Ausgerechnet die
SVP, die sich stets als Patriotin ausgebe, opfere eine Landessprache für
Englisch. Herzog würde dafür gar auf die Barrikaden steigen. Gegen ein
«Bundesdiktat», sagt sie, wehre sie sich mit einem Referendum oder einer
Volksinitiative für Englisch auf der Primarstufe. Dadurch hätten die Schüler
mehr Zeit für Deutsch und Mathematik. Französisch könne an der Oberstufe
unterrichtet werden, mit höherer Lektionenzahl.
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