Das Reform-Fuder ist überladen, Basler Zeitung, 22.3. von Thomas Dähler
Vor vier Jahren habe ich bei der
Abstimmung über den Beitritt des Kantons Baselland Ja gesagt. Heute ist die
Euphorie verflogen und hat der Ernüchterung Platz gemacht. Geprägt war die
öffentliche Debatte damals von der Harmonisierung des Schulsystems zwischen den
Kantonen und insbesondere zwischen den beiden Basel. Debattiert wurde ausserdem
über die Einführung des obligatorisch zwei Jahre dauernden Kindergartens und
über den Wechsel auf die landesweit übliche Struktur mit sechs Jahren
Primarschule und drei Jahren Sekundarschule. All dies war und ist vernünftig.
Doch unterdessen wird unter dem
Stichwort Harmos über eine weitreichende inhaltliche Schulreform mit dem neuen
Lehrplan 21 und über ein damit verbundenes Bauprogramm debattiert, mit dem
zusätzliche Schulräume für moderne Unterrichtsformen und neue Stundentafeln
bereitgestellt werden müssen. Harmos ist längst nicht mehr bloss eine
Vereinbarung der Kantone, die ihre Schulen so weit harmonisieren, dass sie der
heutigen Mobilität der Bevölkerung gerecht werden. Vielmehr wurde Harmos zum
Symbol für ständige Schulreformen.
Zeit der Einschulung war
sogar unterschiedlich
Einschneidender als das
Harmos-Konkordat, dem ohnehin viele Kantone gar nicht angehören, ist der von
Volk und Ständen 2006 beschlossene Schulharmonisierungs-Artikel in der
Bundesverfassung. Die Kantone und Gemeinden sind denn auch davon abgekommen,
ihre Schulen möglichst lokal unterschiedlich zu strukturieren.
Als Schulbub – ich bin in der
zweisprachigen Stadt Biel aufgewachsen – habe ich erlebt, welche Probleme ein
Strukturdurcheinander den Familien bescheren kann. Damals war in der Stadt Biel
nicht einmal der Schulbeginn für alle derselbe; für deutschsprachige Familien
galt der Frühling als Einschulungstermin, für die welschen Nachbarn der Herbst,
mit dem entsprechenden Nachteil bei der späteren Lehrstellensuche. Bei uns
begann die Sekundarschule im fünften Schuljahr, in den benachbarten
solothurnischen Gemeinden zwei Jahre später. Französisch wurde ab der fünften
Klasse unterrichtet, anderswo erst in der siebten, und bei meinem geschätzten
Lehrer in sporadischen Lektionen bereits in der dritten, obwohl dies auf keinem
Stundenplan stand. Das Gymnasium begann für uns Bieler im siebten Schuljahr;
die Klassen wurden aber dann in den nachfolgenden Jahren nach und nach mit
Schülern ergänzt, die aus Gemeinden stammten, in denen erst ein späterer
Gymnasiumsübertritt üblich war. Dies alles ist heute glücklicherweise nicht
mehr so – dank dem Willen von Volk und Ständen, die Schulen zu harmonisieren.
Nachteile von Konkordaten
Auch die Harmos-Abstimmungen in
den beiden Basel bekräftigten diesen Willen. Formell führten diese Entscheide
zwar nur zum Konkordatsbeitritt. In der Praxis aber drückte das Ja den Willen
der Bevölkerung aus, die unterschiedlichen Schulsysteme der beiden Basel zu
begraben und an deren Stelle eine einheitliche Schulstruktur für die
Nordwestschweiz aufzubauen. Vor allem für Basel-Stadt ist die jetzt
aufgegleiste Abkehr vom sonderbaren System mit Orientierungs- und
Weiterbildungsschule ein Meilenstein. Harmos hat dies ermöglicht. Das geht
heute bei den hitzigen Diskussion oft unter. Ob dies auch ohne einen formellen
Beitritt zum Harmos-Konkordat möglich gewesen wäre, ist heute nicht mehr von
Belang.
Das Ja zum Harmos-Beitritt ist
aber kein Freipass für alle möglichen zusätzlichen Reformen. Die Mitgliedschaft
bei Harmos bedeutet nicht, dass alles, was sich Bildungsfachleute und ihre
politischen Begleiter ausdenken, automatisch dem bei der Harmos-Abstimmung
geäusserten Volkswillen entspricht. Konkordate haben generell den Nachteil,
dass die schwierigen und schlecht durchschaubaren politischen Abläufe
demokratisch schlecht abgestützt sind. Konkordate sind aber nicht ein Organ,
das der Bevölkerung in den verschiedenen Kantonen aufzwingt, was diese gar
nicht möchte. Das gilt auch für den Lehrplan 21, den die Deutschschweizer
Kantone gemeinsam erarbeiten. Weder die Deutschschweizer
Erziehungsdirektorenkonferenz noch die Harmos-Kantone können diesen Lehrplan
einem Kanton aufzwingen. Schon gar nicht, wenn dessen Ideologie auf Ablehnung
stösst und dessen inhaltliche Neuerungen nicht mehrheitsfähig sind.
Kein Erstaunen
Ob Regierung, Parlament oder Volk:
Wer auch immer in den einzelnen Kantonen befugt ist, über Lehrpläne zu
bestimmen, ist in seiner Entscheidungsfreiheit nicht beschnitten. Sollte sich
das Baselbiet statt für den Lehrplan 21 für einen abweichenden Lehrplan entscheiden,
kann es dies, sofern es damit Verfassung und Gesetze des Bundes respektiert.
Die Kantone dürfen beispielsweise frei entscheiden, wann sie welche
Fremdsprachen auf den einzelnen Stufen unterrichten wollen. Gebunden sind sie
aber an die gesetzliche Bestimmung des Bundes, die eine zweite Landessprache
und eine weitere Fremdsprache landesweit vorschreibt.
Sollte ein Harmos-Kanton von den
Konkordatsvereinbarungen abweichen wollen, ist er frei, das Konkordat zu
verlassen. Dies liegt auch im Ermessen der Baselbieter Stimmberechtigten. In
Anbetracht der Diskussionen um die vielen Reformen erstaunt es nicht, dass
genau dies nun mit einer Volksinitiative verlangt wird. Noch gibt es, meine
ich, keinen Grund, aus Harmos auszutreten. Die Harmos-Austritts-Initiative ist
jedoch ein Wink mit dem Zaunpfahl, das Fuder nicht mit Reformen zu überladen,
welche die Bevölkerung gar nicht will.
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