23. März 2014

Das Reform-Fuder ist überladen

Statt einfach der Mobilität der Bevölkerung gerecht zu werden, ist Harmos zu einem Symbol für Schulreformen verkommen. Ein Kommentar zum angedrohten Austritt aus dem Konkordat.
Das Reform-Fuder ist überladen, Basler Zeitung, 22.3. von Thomas Dähler


Vor vier Jahren habe ich bei der Abstimmung über den Beitritt des Kantons Baselland Ja gesagt. Heute ist die Euphorie verflogen und hat der Ernüchterung Platz gemacht. Geprägt war die öffentliche Debatte damals von der Harmonisierung des Schulsystems zwischen den Kantonen und insbesondere zwischen den beiden Basel. Debattiert wurde ausserdem über die Einführung des obligatorisch zwei Jahre dauernden Kindergartens und über den Wechsel auf die landesweit übliche Struktur mit sechs Jahren Primarschule und drei Jahren Sekundarschule. All dies war und ist vernünftig.
Doch unterdessen wird unter dem Stichwort Harmos über eine weitreichende inhaltliche Schulreform mit dem neuen Lehrplan 21 und über ein damit verbundenes Bauprogramm debattiert, mit dem zusätzliche Schulräume für moderne Unterrichtsformen und neue Stundentafeln bereitgestellt werden müssen. Harmos ist längst nicht mehr bloss eine Vereinbarung der Kantone, die ihre Schulen so weit harmonisieren, dass sie der heutigen Mobilität der Bevölkerung gerecht werden. Vielmehr wurde Harmos zum Symbol für ständige Schulreformen.
Zeit der Einschulung war sogar unterschiedlich
Einschneidender als das Harmos-Konkordat, dem ohnehin viele Kantone gar nicht angehören, ist der von Volk und Ständen 2006 beschlossene Schulharmonisierungs-Artikel in der Bundesverfassung. Die Kantone und Gemeinden sind denn auch davon abgekommen, ihre Schulen möglichst lokal unterschiedlich zu strukturieren.
Als Schulbub – ich bin in der zweisprachigen Stadt Biel aufgewachsen – habe ich erlebt, welche Probleme ein Strukturdurcheinander den Familien bescheren kann. Damals war in der Stadt Biel nicht einmal der Schulbeginn für alle derselbe; für deutschsprachige Familien galt der Frühling als Einschulungstermin, für die welschen Nachbarn der Herbst, mit dem entsprechenden Nachteil bei der späteren Lehrstellensuche. Bei uns begann die Sekundarschule im fünften Schuljahr, in den benachbarten solothurnischen Gemeinden zwei Jahre später. Französisch wurde ab der fünften Klasse unterrichtet, anderswo erst in der siebten, und bei meinem geschätzten Lehrer in sporadischen Lektionen bereits in der dritten, obwohl dies auf keinem Stundenplan stand. Das Gymnasium begann für uns Bieler im siebten Schuljahr; die Klassen wurden aber dann in den nachfolgenden Jahren nach und nach mit Schülern ergänzt, die aus Gemeinden stammten, in denen erst ein späterer Gymnasiumsübertritt üblich war. Dies alles ist heute glücklicherweise nicht mehr so – dank dem Willen von Volk und Ständen, die Schulen zu harmonisieren.
Nachteile von Konkordaten
Auch die Harmos-Abstimmungen in den beiden Basel bekräftigten diesen Willen. Formell führten diese Entscheide zwar nur zum Konkordatsbeitritt. In der Praxis aber drückte das Ja den Willen der Bevölkerung aus, die unterschiedlichen Schulsysteme der beiden Basel zu begraben und an deren Stelle eine einheitliche Schulstruktur für die Nordwestschweiz aufzubauen. Vor allem für Basel-Stadt ist die jetzt aufgegleiste Abkehr vom sonderbaren System mit Orientierungs- und Weiterbildungsschule ein Meilenstein. Harmos hat dies ermöglicht. Das geht heute bei den hitzigen Diskussion oft unter. Ob dies auch ohne einen formellen Beitritt zum Harmos-Konkordat möglich gewesen wäre, ist heute nicht mehr von Belang.
Das Ja zum Harmos-Beitritt ist aber kein Freipass für alle möglichen zusätzlichen Reformen. Die Mitgliedschaft bei Harmos bedeutet nicht, dass alles, was sich Bildungsfachleute und ihre politischen Begleiter ausdenken, automatisch dem bei der Harmos-Abstimmung geäusserten Volkswillen entspricht. Konkordate haben generell den Nachteil, dass die schwierigen und schlecht durchschaubaren politischen Abläufe demokratisch schlecht abgestützt sind. Konkordate sind aber nicht ein Organ, das der Bevölkerung in den verschiedenen Kantonen aufzwingt, was diese gar nicht möchte. Das gilt auch für den Lehrplan 21, den die Deutschschweizer Kantone gemeinsam erarbeiten. Weder die Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz noch die Harmos-Kantone können diesen Lehrplan einem Kanton aufzwingen. Schon gar nicht, wenn dessen Ideologie auf Ablehnung stösst und dessen inhaltliche Neuerungen nicht mehrheitsfähig sind.
Kein Erstaunen
Ob Regierung, Parlament oder Volk: Wer auch immer in den einzelnen Kantonen befugt ist, über Lehrpläne zu bestimmen, ist in seiner Entscheidungsfreiheit nicht beschnitten. Sollte sich das Baselbiet statt für den Lehrplan 21 für einen abweichenden Lehrplan entscheiden, kann es dies, sofern es damit Verfassung und Gesetze des Bundes respektiert. Die Kantone dürfen beispielsweise frei entscheiden, wann sie welche Fremdsprachen auf den einzelnen Stufen unterrichten wollen. Gebunden sind sie aber an die gesetzliche Bestimmung des Bundes, die eine zweite Landessprache und eine weitere Fremdsprache landesweit vorschreibt.
Sollte ein Harmos-Kanton von den Konkordatsvereinbarungen abweichen wollen, ist er frei, das Konkordat zu verlassen. Dies liegt auch im Ermessen der Baselbieter Stimmberechtigten. In Anbetracht der Diskussionen um die vielen Reformen erstaunt es nicht, dass genau dies nun mit einer Volksinitiative verlangt wird. Noch gibt es, meine ich, keinen Grund, aus Harmos auszutreten. Die Harmos-­Austritts-Initiative ist jedoch ein Wink mit dem Zaunpfahl, das Fuder nicht mit Reformen zu überladen, welche die Bevölkerung gar nicht will.


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