Niklaus Stöckli vom ALV will in erster Priorität das bestehende Angebot an der Volksschule erhalten, Bild: alv
Müssen die Primarschüler ab 2017 Französisch büffeln oder erst viel später? Aargauer Zeitung, 16.3. von Hans Fahrländer
Darf Kulturminister Alain
Berset verlangen, dass alle Schweizer Kinder bereits in der Primarschule
Französisch lernen? Die Frage wird zurzeit landesweit hektisch diskutiert.
Berset hatte die Forderung in der Fragestunde des Nationalrates gestellt. Es
ging um die Bestrebungen in mehreren Deutschschweizer Kantonen, nur noch eine
Primarschul-Fremdsprache für obligatorisch zu erklären. Und weil in vielen
Kantonen zuerst Englisch unterrichtet wird, könnte es zum Ärger des welschen
Bundesrates und für die Sprachfrage zuständigen Innenministers dem Französisch
demnächst an den Kragen gehen.
Der Aargau hat sich bisher
gar nicht im Sinne Alain Bersets verhalten. Er hat im Gefolge von Zürich, aber
in Opposition zu den Nordwestschweizer Partnern Basel-Stadt, Baselland und
Solothurn auf «English first» gesetzt. Und er hat die ursprünglich auf 2015
geplante Einführung von Primarschulfranzösisch hinausgeschoben; Franz in der 5.
Klasse soll nun gemeinsam mit dem Lehrplan 21, das heisst frühstens auf das
Schuljahr 2017/18 eingeführt werden.
Ab August 2014 kommt der
Aargau zwar quasi «geschenkt» ebenfalls zu Primarschul-Franz: Der
Französisch-Unterricht beginnt ja zurzeit im 6. Schuljahr, das heisst im ersten
Oberstufenjahr. Nun rutscht dieses 6. Jahr mit dem neuen Strukturmodell von der
Oberstufe auf die Primarstufe. Doch trotz dieser Verschiebung wird vorderhand
kaum «richtiges» Frühfranzösisch unterrichtet. Was für Französisch genau –
darauf warten Lehrpersonen fünf Monate vor dem Start immer noch. Die in
Aussicht gestellten Sonderlehrpläne sind noch in Arbeit.
Nun erscheint für das
Primarschulfranzösisch ein zusätzlicher Störfaktor am Horizont, und zwar in
Form der regierungsrätlichen Leistungsanalyse, besser bekannt unter dem Namen
Sparpaket. Es ist allerdings nicht die Regierung, welche die Verschiebung oder
Sistierung vorschlägt. Der Vorschlag taucht in verschiedenen Vernehmlassungen
auf – nach dem Motto: Lieber auf anstehende Reformen verzichten als das heutige
Angebot kürzen. Die sich so äussern, stammen nicht alle aus dem gleichen Lager.
«Ich verstehe Bundesrat
Berset», sagt spontan Sabine Freiermuth, FDP-Grossrätin aus Zofingen, Mitglied
der Bildungskommission. In der Vernehmlassung der FDP zur Leistungsanalyse
steht beim Frühfranzösisch geschrieben: «Der Verzicht auf diese Reform ist zu
prüfen oder sie ist zumindest zeitlich zu verschieben.»
Steht Sabine Freiermuth
nicht hinter diesem Vorschlag der Partei? «Doch», betont sie. Erstens stelle
sie sich hinter den Grundsatz, bei Geldmangel nicht zusätzliche Reformen
anzupacken. Und zweitens habe sie Signale von der Schulfront, dass zwei
Primarschulfremdsprachen viele Kinder überfordern könnten. «Persönlich hätte
ich es aber lieber gesehen, wenn im Aargau zuerst Französisch eingeführt worden
wäre. Der Aargau hat sich von Zürich ins Schlepptau nehmen lassen und sehr
schnell Frühenglisch eingeführt. Französisch ist eine wichtige Sprache und es
ist eine Landessprache.» Für zentral hält es Sabine Freiermuth aber, «dass mit
dem Lehrplan 21 endlich auch das Fremdsprachengewirr gelöst und eine verbindliche
Reihenfolge festgelegt wird».
Ein noch radikaleres
Vorgehen punkto Primarschulfremdsprachen schlägt die SVP vor. In ihrer
Vernehmlassungsantwort zur Leistungsanalyse heisst es schlicht: «Streichung
Frühfranzösisch und Frühenglisch». Übrigens auch: «Verzicht auf Umsetzung
Lehrplan 21». «Nein, die Debatte um das Vorpreschen von Bundesrat Berset ändert
nichts an unserer Haltung», betont Richard Plüss, SVP-Grossrat aus Lupfig und
Mitglied der Bildungskommission. Natürlich sei Englisch eine wichtige Sprache,
gerade für die Wirtschaft, «aber früher, mit dem späteren Beginn, hat man auch
gut Englisch gelernt.»
Nachdem nun die Primarstufe
bis zum 6. Schuljahr dauert – würde Plüss den Start für Französisch noch weiter
nach hinten, also auf das erste Oberstufenjahr verschieben? Das denn doch
nicht: «Drei Jahre sind zu kurz, man muss den Start in der 6. Klasse belassen.»
Der Aargauische
Lehrerinnen- und Lehrerverband (alv) hat das Heu selten auf derselben Bühne wie
FDP und SVP. Hier aber schon: «Bevor man daran geht, das bestehende Angebot der
Volksschule zu kürzen, soll man zuerst auf zusätzliche teure Reformen
verzichten», sagt alv-Präsident Niklaus Stöckli. Das sei keine Aussage gegen
das Frühfranzösisch: «Es gibt keine pädagogischen Argumente gegen seine Einführung.
Aber wir möchten in erster Priorität das bestehende Angebot an der Volksschule
erhalten.» Auch Stöckli wünscht sich im Übrigen, «dass der Lehrplan 21 endlich
eine verbindliche Reihenfolge der Fremdsprachen durchsetzt».
Ob diese Verschiebebereitschaft
aus verschiedenen Lagern genügt, um das Frühfranzösisch im Rahmen der
Spardebatte auf eine noch längere Bank zu schieben, werden die kommenden Wochen
zeigen. Alain Berset jedenfalls hätte keine Freude daran.
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