Schulfranzösisch wird überschätzt, NZZaS, 16.3. von Michael Furger
Gäbe es eine Liste der häufigsten politischen Phrasen, dürfte ein
Begriff nicht fehlen: die nationale Kohäsion. Wo wahre Argumente fehlen,
beschwört das politische Personal in der Schweiz gerne den inneren Zusammenhalt
des Landes. Zusammenhalt ist immer gut. Gegen Zusammenhalt hat niemand etwas
einzuwenden. Und so war es diese Woche Bundesrat Alain Berset, der sich
anschickte, mit der Kohäsions-Keule ein paar aufmüpfige Kantone wieder in die
richtige Spur zu klopfen.
In seiner
Eigenschaft als Innenminister hat Berset dem Nationalrat zur Kenntnis gebracht,
er werde notfalls per Dekret dafür sorgen, dass in allen Kantonen weiterhin
Französisch schon auf der Primarschulstufe gelehrt wird. Die nationale Kohäsion
erfordere dies. Der Grund für Bersets Drohung sind Vorstösse und Initiativen in
diversen Deutschschweizer Kantonen mit dem Ziel, künftig nur noch eine statt
zwei Fremdsprachen in der Primarschule zu unterrichten. In den meisten Fällen
ist absehbar, welche der beiden Sprachen - Englisch oder Französisch - unter
die Räder käme: Französisch.
Nun ist es so, dass
die Lehrkräfte schon seit einiger Zeit kritisieren, dass zwei Fremdsprachen in
der Primarschule lerntechnisch wenig Sinn ergeben. Viele Kinder seien
überfordert, folgerte der Lehrerverband letztes Jahr. Es handelt sich hier also
um ein pädagogisches Problem.
Nicht für Berset
und andere Kohäsions-Politiker aus der Westschweiz. Den Romands war es noch nie
geheuer, wie schnell Englisch in der Deutschschweiz zur bevorzugten
Fremdsprache in der Schule aufgestiegen ist. So sah eine welsche Nationalrätin
vorletztes Jahr eine beunruhigende Entwicklung nahen. «Die nationale Kohäsion
ist in Gefahr!», schrieb sie in einem Deutschschweizer Medium und schlug Alarm.
Die Lehrkräfte wies sie an, sich als Brückenbauer zwischen den Kulturen zu
betätigen - indem sie Französisch unterrichten. Ganz Brückenbauerin, fasste die
Sprachexpertin ihre Anweisungen an die Deutschschweiz auf Französisch ab.
Nach der Logik der
Sprachen-Kohäsion fühlen sich die Deutschschweizer also den Romands mehr
zugehörig, wenn sie als Kinder Französisch in der Primarschule gelernt haben -
und umgekehrt. Das frühe Erlernen der jeweils anderen Sprache soll
identitätsstiftend sein. Die Idee klingt hübsch, ist aber, wenn wir ehrlich
sind, ziemlich hilflos. Wie soll das konkret funktionieren? Weshalb genau
sollen Kenntnisse in der Sprache des anderen uns alle besser zusammenhalten?
Dass sich Romands
und Deutschschweizer zuweilen missverstehen, bestreitet niemand. Aber es sind
in aller Regel keine sprachlichen Missverständnisse daran schuld, sondern eine
unterschiedliche Mentalität und Kultur. Und diese werden in zwei bis drei
Wochenlektionen in der Primarschule nicht einmal rudimentär vermittelt.
Natürlich ist es sinnvoll, wenn sich die Bewohner der Landesteile sprachlich
verstehen. Doch machen wir uns nichts vor: Die meisten Bewohner dieses Landes,
sofern sie nicht an der Sprachgrenze wohnen, kommen selten in die Lage, eine
andere Landessprache zu benutzen. Sprachbarrieren werden heute, auch innerhalb
der Schweiz, zunehmend mit Englisch überbrückt, in der Wirtschaft und der
Wissenschaft dominiert diese Sprache sowieso.
Ein grosser und
schnell wachsender Teil der Schweizer Bevölkerung spricht ohnehin nur eine
Landessprache. Wer als Ausländer Bürger dieses Landes werden will, muss eine
unserer Amtssprachen beherrschen. Von zweien ist nirgends die Rede. Gefährdet
also der eingebürgerte, aber deutschunkundige Franzose in Genf den nationalen
Zusammenhalt? Oder der Deutsche in Zürich ohne Französischkenntnisse? Und was
ist mit den Expats aus dem englischen Sprachraum, die weder das eine noch das
andere Idiom beherrschen? In den Augen der Kohäsions-Beauftragen muss die
Schweiz kurz davorstehen, auseinanderzubrechen.
Hören wir auf,
unsere Landessprachen zu verklären und politisch aufzuladen. Die Sprache als
Teil der nationalen Identität mag in einem einsprachigen Land funktionieren,
aber nicht in der mehrsprachigen Schweiz. Hier sind Sprachen - die
Muttersprache ausgenommen - ein Kommunikationswerkzeug. Wir nutzen sie, um uns
auszutauschen. Das ist wichtig genug. Dass ausgerechnet ein Land, das weltoffen
und international sein will, seine nächste Generation aus reiner Ideologie an
die Landessprachen festzurren will, ist ein Widersinn sondergleichen.
Wohlverstanden, es
gibt sehr gute Gründe dafür, in den Schweizer Schulen Französisch
beziehungsweise Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten. Zum Beispiel, weil es
sich um Weltsprachen handelt, die uns Zugang ermöglichen zu einem Schatz
grossartiger Literatur. Das ist allemal mehr als der Mythos des nationalen
Zusammenhalts. Aber weshalb müssen dann zwei Fremdsprachen derart eng
aufeinanderfolgend in die unterste Schulstufe gedrückt werden - so wie das kaum
ein anderes Land praktiziert? Und weshalb soll man nicht Englisch den Vorzug
geben, wenn die Motivation für diese Sprache doch erwiesenermassen grösser ist?
Die Diskussion über
Fremdsprachen in der Schule ist eine pädagogische Debatte. Sie sollte es
bleiben. Die Politik hat hierzu wenig Substanzielles beizutragen. Als Kitt zwischen
den Landesteilen taugt der Schulunterricht nicht.
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