9. März 2014

Umverteilung

Alain Pichard rechnet in seiner jüngsten Kolumne in der Berner Zeitung vor, wohin das Geld geflossen ist, das in den Sparprogrammen der letzten Jahre verschwunden ist. 
Berner Zeitung, 8.3. von Alain Pichard

Heute, liebe Leserinnen und Leser, möchte ich Sie mit einem Rätsel konfrontieren. Es ist ein modernes und vermutlich ein gesamtschweizerisches Rätsel. Es geht - wie kann es in meinen Kolumnen anders sein - um die Schule, um ihre Lehrer, und es geht um Sparmassnahmen. Vor kurzem lag ein Flugblatt in unserem Lehrerzimmer: "Stoppt die Sparhysterie!" hiess es, und meine Kolleginnen und Kollegen lasen es durchaus mit Zustimmung. Das kann man nachvollziehen.

Denn seit den Sparpaketen in den frühen 2000-er Jahren verschlechterten sich ihre Lohnentwicklung, ihre Kaufkraft und ihre Arbeitsbedingungen stetig und markant. Erinnern wir uns: Der Kanton verfügte eine Halbierung des Wahlfachangebots, beschloss weit über 200 Klassenschliessungen, schaffte die Familienzulagen ab, führte Kursgelder für die Lehrkräfte ein, kürzte die Stipendien, strich mehrere Jahre den Teuerungsausgleich, verkürzte die Gymnasialzeit um ein Jahr, kürzte die fünfjährlichen Treueprämien und strich die Überbrückungsrente für vorzeitige Pensionierungen. Er erhöhre die Arbeitszeit der Lehrkräfte um eine Lektion, beteiligte die Lehrerschft an der Sanierung ihrer Pensionskasse mit happigen Beitragserhöhungen, strich den alljährlich gesicherten Erfahrungsanstieg und senkte die Lektionenzahl der Primarstufe um zwei Einheiten. Die Summe der durch diese Massnahmen erzielten Einsparungen betrug mehrere Milliarden Franken. Nun, nach all diesen zum Teil einschneidenden Sparmassnahmen drohen in unserem Kanton weitere strukturelle Defizite von 400 Millionen Franken im Jahr.

Neue Sparmassnahmen im Bildungsbereich waren die Folge. Wieder kam es zu Klassenschliessungen, Gymnasien wurden zusammengelegt, Bildungsinstitutionen geschlossen. Der Schreiber dieses Artikels, ein Reallehrer mit einem Nachdiplomstudium, verdient nach 34 Dienstjahren rund 9000 Franken netto pro Monat. Diesen Lohn werden seine 25 Jahre jüngeren Kolleginnen Nicole M. und Carlo S. - im gleichen Schulhaus tätig - nie erreichen. Nicole M. verdient nach zehn Dienstjahren 6200 Franken netto, und das mit einer gymnasialen Ausbildung gefolgt von einem vierjährigen Studium an der pädagogischen Hochschule.

Noch schlimmer trifft es die Lehrkräfte zwischen 40 und 50 Jahren. Sie traf die gesamte Wucht der Sparmassnahmen - und sie gingen bei allen Kompensations- und Wiedergutmachungsentscheiden der letzten Jahre leer aus. Sie werden am Ende ihres Lehrerdaseins rund eine Million Franken weniger verdienen als der bald 60-jährige Klassenlehrer auf der Sekundarstufe I.

So weit, so gut. Und jetzt zu unserem Rätsel: Am 2. Dezember des vergangenen Jahres veröffentichte der Bildungsökonom Ralph Wolter eine brisante Studie. Er belegte, dass von Sparmassnahmen gar nicht die Rede sein könne. Im Gegenteil, die Bildungsausgaben wachsen, ja sie explodieren förmlich. Der Bildung steht in allen Kantonen Jahr für Jahr immer mehr Geld zur Verfügung. Wolter schreibt: "Gesamtschweizerisch belief sich die Zunahme 1990 und 2010 auf 92,5 Prozent (!!!), im Kanton Zürich auf 95,1 und im Kanton Bern auf 55,1 Prozent. Rund die Hälfte der Zunahme dürfte auf die Teuerung zurückzuführen sein. Klar ist aber: Auch teuerungsbereinigt liegt die Ausgabensteigerung deutlich über der Zunahme der Schüler. In der Volksschule stieg die Schülerzahl zwischen 1990 und 2010 um gut 6 Prozent auf 905000, während die Kosten um knapp 20 Prozent zunahmen.

Carlo S, Nicole M. und mit ihnen viele Lehrkräfte, Eltern und Steuerzahler reiben sich die Augen. Wohin sind denn all die eingesparten Gelder geflossen? Was ist mit den Milliarden Franken passiert, die aus der Praxis, sprich aus den Lehrkräften und deren Schülern herausgepresst wurden? Einen kleinen Tipp gebe ich Ihnen mit. In Bund, Kanton und Gemeinden werden vornehmlich in der Vewaltung zurzeit pro Monat 590 neue Stellen geschaffen. Haupttatort: das Bildungswesen und der Fürsorgebereich.

Die Lösung schicken Sie bitte an die bernischen Lehrergewerkschaften Lebe und VPOD.

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