31. März 2014

Übertrittsgespräch als Machtdemonstration

Immer mehr Lehrer setzen Primarlehrer unter Druck. Niedrige Einstufungen für die Sekundarschule werden kaum akzeptiert. Für die Eltern geht es um Prestige.






An der Primarschule Liestal akzeptiert fast ein Viertel der Eltern den Lehrerentscheid nicht, Bild: Keystone

Streitfall Übertrittsgespräch, Basler Zeitung, 31.3. von Boris Gygax


In allen Primarschulen im Baselbiet gingen in diesen Wochen die Übertrittgespräche zwischen den Eltern der Fünftklässler und Lehrern über die Bühne. Dabei wurde entschieden, ob die Schüler ab dem Sommer im Sekundarschule-Niveau A, E oder P eingestuft werden. Bei ihren Empfehlungen spüren die Lehrpersonen vermehrt Gegenwind. Der Druck auf die Lehrer habe klar zugenommen, so der Tenor vieler Schulleitungen. Viele Eltern seien «sehr bemüht», mit ihren Kindern ein höheres Niveau anzustreben, als die Lehrer empfehlen, meint auch Marianna Hersche, Schulleiterin der Primarschule Muttenz.
Der Druck der Eltern schlägt sich in manchen Schulen in der Anzahl Schüler nieder, die mit einer Prüfung das nächsthöhere Niveau erreichen wollen. An den Primarschulen Liestal akzeptierten insgesamt fast ein Viertel der Schüler beziehungsweise deren Eltern den Entscheid der Lehrperson nicht: Von 140 Schülern meldeten sich 32 für die Prüfung an. «Das ist ein sehr hoher Anteil», sagt Schulleiter Jean-Bernard Etienne. Auch schon letztes Jahr wies Liestal die gleiche Quote auf. «Unsere Lehrpersonen sind konsequent und geben dem Druck nicht einfach nach, auch wenn sich die Eltern gegen ihre Empfehlung unserer Lehrperson aussprechen», erklärt Etienne die hohe Anzahl. Zudem verweist er auf den kleinen und stabilen Anteil von zwei bis vier Kindern, die nach einem Jahr das empfohlene Niveau nicht halten können. Das sei am Ende entscheidend.
Akademiker-Fimmel
In manchen Primarschulen gibt es Härtefälle in solchen Dimensionen, dass der eingeschüchterte Schulleiter nur anonym Auskunft geben will, um «eventuelle Rückschlüsse und die damit verbundenen Konsequenzen» zu vermeiden. In einem aktuellen Fall würden sich die Eltern partout gegen die Empfehlungen der Lehrpersonen stellen. «Für sie ist klar: Die Lehrer sind schuld am schlechten Abschneiden des Kindes», so der Schulleiter. Auch in diesem Fall wird eine Aufnahmeprüfung über die Einstufung entscheiden.
In Allschwil gehen dieses Jahr von 158 Schülern deren 17 an die Prüfung. Dies sei nur unbedeutend mehr als der Durchschnitt in den vergangenen Jahren, sagt Schulleiter Christian Engels. Die etwas höhere Zahl der Prüflinge habe sich dadurch ergeben, dass in einer Klasse die Anzahl überdurchschnittlich hoch gewesen sei. «Möglicherweise haben sich hier Eltern verstärkt untereinander ausgetauscht und ihr Kind danach einfach einmal für die Prüfung angemeldet.» Es sei sicher ein Vorteil gewesen, dass dieses Jahr in sämtlichen 5. Klassen erfahrene Lehrpersonen für den Übertritt verantwortlich seien.
Leistungsdruck der Gesellschaft
In anderen Gemeinden wie Sissach, Reinach oder Gelterkinden gehen bedeutend weniger Schüler an die Prüfung, was nicht bedeutet, dass es keine Härtefälle gibt. Vor allem die niedrigste Sekundarschulstufe, Niveau A, «hat bei den Eltern einen ganz schweren Stand», sagt ein Schulleiter. Viele hätten das Gefühl, dass das Kind sich etwas verbaut, wenn es nicht ans Gymnasium gehen kann. «Einigen Eltern ist nicht bewusst, dass der duale Bildungsweg mittlerweile sehr durchlässig ist und viele Aufstiegsmöglichkeiten bestehen.» Aber es habe bei einigen Eltern auch mit Prestige zu tun, ihr Kind in das höchste Niveau zu bringen, erklärt der Schulleiter. Oft stehen sie selber unter dem Leistungsdruck der Gesellschaft.
Ähnlich sieht das Marianna Hersche, Schulleiterin der Primarschule Muttenz. Das Niveau A sorge für massive Diskussionen. «Es sei denn, die Kinder kommen aus einer Kleinklasse.» Die Hauptproblematik sehe sie darin, dass sich die Eltern nur auf die Noten fokussieren. «Es fliessen aber auch noch andere Aspekte in eine Übertrittsempfehlung hinein: Arbeitsverhalten, Sozialkompetenz und das Verhalten im Unterricht spielen ebenso eine Rolle.» Doch diese Kriterien erleben die Eltern kaum mit. Darum sei die Einstufung in ein niedrigeres Niveau von den Eltern schwer zu akzeptieren, gerade wenn die Noten eigentlich gut sind.
Dieses Jahr herrscht zudem noch eine erschwerte Situation. Da nächstes Jahr das Schulsystem auf drei Jahre Ober- und sechs Jahre Primarstufe umgestellt wird, fehlt die Möglichkeit, eine Klasse zu repetieren. Konkret: Ein guter Schüler des mittleren Niveaus E kann nach einem Jahr nicht in das Niveau P aufsteigen, weil die nachkommende Klasse fehlt, in der er das eine Jahr repetieren müsste. Denn die fünfte Primarklasse wechselt dann in die sechste, verbleibt also in der Primarstufe. Dies verursache einige Unsicherheiten und Ängste bei den Eltern. «Vielleicht versuchen Eltern darum, ihr Kind tendenziell höher einzustufen», vermutet Hersche.


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