An der Primarschule Liestal akzeptiert fast ein Viertel der Eltern den Lehrerentscheid nicht, Bild: Keystone
Streitfall Übertrittsgespräch, Basler Zeitung, 31.3. von Boris Gygax
In allen Primarschulen im Baselbiet gingen in diesen Wochen die
Übertrittgespräche zwischen den Eltern der Fünftklässler und Lehrern über die
Bühne. Dabei wurde entschieden, ob die Schüler ab dem Sommer im
Sekundarschule-Niveau A, E oder P eingestuft werden. Bei ihren Empfehlungen
spüren die Lehrpersonen vermehrt Gegenwind. Der Druck auf die Lehrer habe klar
zugenommen, so der Tenor vieler Schulleitungen. Viele Eltern seien «sehr
bemüht», mit ihren Kindern ein höheres Niveau anzustreben, als die Lehrer empfehlen,
meint auch Marianna Hersche, Schulleiterin der Primarschule Muttenz.
Der Druck der Eltern schlägt sich in manchen Schulen in der
Anzahl Schüler nieder, die mit einer Prüfung das nächsthöhere Niveau erreichen
wollen. An den Primarschulen Liestal akzeptierten insgesamt fast ein Viertel
der Schüler beziehungsweise deren Eltern den Entscheid der Lehrperson nicht:
Von 140 Schülern meldeten sich 32 für die Prüfung an. «Das ist ein sehr hoher
Anteil», sagt Schulleiter Jean-Bernard Etienne. Auch schon letztes Jahr wies
Liestal die gleiche Quote auf. «Unsere Lehrpersonen sind konsequent und geben
dem Druck nicht einfach nach, auch wenn sich die Eltern gegen ihre Empfehlung
unserer Lehrperson aussprechen», erklärt Etienne die hohe Anzahl. Zudem
verweist er auf den kleinen und stabilen Anteil von zwei bis vier Kindern, die
nach einem Jahr das empfohlene Niveau nicht halten können. Das sei am Ende
entscheidend.
Akademiker-Fimmel
In manchen Primarschulen gibt es Härtefälle in solchen
Dimensionen, dass der eingeschüchterte Schulleiter nur anonym Auskunft geben
will, um «eventuelle Rückschlüsse und die damit verbundenen Konsequenzen» zu
vermeiden. In einem aktuellen Fall würden sich die Eltern partout gegen die
Empfehlungen der Lehrpersonen stellen. «Für sie ist klar: Die Lehrer sind
schuld am schlechten Abschneiden des Kindes», so der Schulleiter. Auch in
diesem Fall wird eine Aufnahmeprüfung über die Einstufung entscheiden.
In Allschwil gehen dieses Jahr von 158 Schülern deren 17 an die
Prüfung. Dies sei nur unbedeutend mehr als der Durchschnitt in den vergangenen
Jahren, sagt Schulleiter Christian Engels. Die etwas höhere Zahl der Prüflinge
habe sich dadurch ergeben, dass in einer Klasse die Anzahl überdurchschnittlich
hoch gewesen sei. «Möglicherweise haben sich hier Eltern verstärkt
untereinander ausgetauscht und ihr Kind danach einfach einmal für die Prüfung
angemeldet.» Es sei sicher ein Vorteil gewesen, dass dieses Jahr in sämtlichen
5. Klassen erfahrene Lehrpersonen für den Übertritt verantwortlich seien.
Leistungsdruck der Gesellschaft
In anderen Gemeinden wie Sissach, Reinach oder Gelterkinden
gehen bedeutend weniger Schüler an die Prüfung, was nicht bedeutet, dass es
keine Härtefälle gibt. Vor allem die niedrigste Sekundarschulstufe, Niveau A,
«hat bei den Eltern einen ganz schweren Stand», sagt ein Schulleiter. Viele
hätten das Gefühl, dass das Kind sich etwas verbaut, wenn es nicht ans
Gymnasium gehen kann. «Einigen Eltern ist nicht bewusst, dass der duale
Bildungsweg mittlerweile sehr durchlässig ist und viele Aufstiegsmöglichkeiten
bestehen.» Aber es habe bei einigen Eltern auch mit Prestige zu tun, ihr Kind
in das höchste Niveau zu bringen, erklärt der Schulleiter. Oft stehen sie
selber unter dem Leistungsdruck der Gesellschaft.
Ähnlich sieht das Marianna Hersche, Schulleiterin der
Primarschule Muttenz. Das Niveau A sorge für massive Diskussionen. «Es sei
denn, die Kinder kommen aus einer Kleinklasse.» Die Hauptproblematik sehe sie
darin, dass sich die Eltern nur auf die Noten fokussieren. «Es fliessen aber
auch noch andere Aspekte in eine Übertrittsempfehlung hinein: Arbeitsverhalten,
Sozialkompetenz und das Verhalten im Unterricht spielen ebenso eine Rolle.»
Doch diese Kriterien erleben die Eltern kaum mit. Darum sei die Einstufung in
ein niedrigeres Niveau von den Eltern schwer zu akzeptieren, gerade wenn die
Noten eigentlich gut sind.
Dieses Jahr herrscht zudem noch eine erschwerte Situation. Da
nächstes Jahr das Schulsystem auf drei Jahre Ober- und sechs Jahre Primarstufe
umgestellt wird, fehlt die Möglichkeit, eine Klasse zu repetieren. Konkret: Ein
guter Schüler des mittleren Niveaus E kann nach einem Jahr nicht in das Niveau
P aufsteigen, weil die nachkommende Klasse fehlt, in der er das eine Jahr
repetieren müsste. Denn die fünfte Primarklasse wechselt dann in die sechste,
verbleibt also in der Primarstufe. Dies verursache einige Unsicherheiten und
Ängste bei den Eltern. «Vielleicht versuchen Eltern darum, ihr Kind tendenziell
höher einzustufen», vermutet Hersche.
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