Man darf die Debatte über den Fremdsprachenunterricht an Schweizer
Volksschulen nicht als Streit oder gar Sprachenstreit bezeichnen. Dafür ist es
zu früh – immerhin laufen die Anstrengungen zur Konsensfindung noch. Aber man
soll die Dinge beim Namen nennen. Dabei ist es wichtig, die diversen Ebenen,
auf denen sich die Auseinandersetzung abspielt, auseinanderzuhalten. Die
Sprache, daran sei erinnert, ist eine delikate Sache. Sie berührt innerste
Gefühle, Verletzungen können irreparabel sein. Ein analytischer Blick ist also
zu wahren.
Sonntags predigen, montags handeln, NZZ, 13.3. von Michael Schoenenberger
Eine unverzeihliche Sünde
Bundesrat Alain Berset hat, auch wenn er nur sagt, was ihm zusteht,
offenbar in ein Wespennest gestochen. Zunächst geht es um das Verständnis eines
gelebten Föderalismus in der Bildungspolitik. Hierbei zentral ist die vom Volk
2006 gutgeheissene subsidiäre Kompetenz des Bundes. Die Bundesverfassung
schreibt ihm bei einem Scheitern der Harmonisierungsbemühungen der Kantone
einen Eingriff vor. Hinter dieses Volksverdikt gehen gute Demokraten, auch wenn
sie im Herzen Föderalisten sind, nicht zurück. Wie sich jetzt in den Kantonen
zeigt, leben viele Bildungspolitiker und Parteien mehr schlecht als recht mit
dem einschlägigen Bildungsartikel. Es scheint, als ob der Widerspruch – im Kern
ist es einer – zwischen der kantonalen Schulhoheit, die prinzipiell gilt, und
der fortschreitenden Harmonisierung gelöst werden muss, ehe weitere Schritte
wie der inhaltliche mit dem Lehrplan 21 tatsächlich Aussicht auf Erfolg haben
können.
Von den föderalistischen Instinkten sind schulische, pädagogische und
arbeitstechnische Sorgen zu unterscheiden. Wenn die Lehrpersonen opponieren,
tun sie das nicht, weil sie jemandem eins auswischen wollen. Sie machen jedoch
zu Recht darauf aufmerksam, dass Kinder vom Fremdsprachenunterricht nur
nachhaltig profitieren, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Mit anderen Worten:
Es bringt wenig, ein Modell 3/5 (erste Fremdsprache in der 3., zweite
Fremdsprache in der 5. Klasse) vorzugeben und im Lehrplan 21 die Kompetenzen
nach oben zu schrauben, ohne gleichzeitig die nötigen Ressourcen zu sprechen.
Wer hehre Ziele formuliert, muss die Kassen dafür öffnen.
Weiter ist die Frage zu stellen, ob der frühe Fremdsprachenunterricht ab
der dritten Klasse tatsächlich dazu führt, dass die Jugendlichen am Ende der
obligatorischen Schulzeit das Erlernte besser beherrschen. Fundierte
wissenschaftliche Erkenntnisse dazu wären hochwillkommen.
Die Auseinandersetzung um den Fremdsprachenunterricht tangiert sodann im
Kern den Sinn und Zweck der Harmonisierung des Schulwesens. Allzu leicht geht
vergessen, dass ein wesentliches anfängliches Motiv die Erleichterung der
Mobilität von Eltern, Kindern und Lehrpersonen über Kantonsgrenzen hinweg war.
Im Kern soll es um Strukturen und Ziele gehen, nicht um pädagogische
Prestigeobjekte. Dazu gehört an vorderster Stelle der Fremdsprachenunterricht,
denn die unterschiedliche Reihenfolge der Sprachen stellt nun wirklich eine
grosse Mobilitätshürde dar. Jene, die überzeugt sind, dass Wettbewerb auch in
Bildungsangelegenheiten zu höherer Qualität führt, standen der Harmonisierung
ja schon immer kritisch gegenüber. Sie werden es darum nicht verstehen, wenn
nun harmonisiert wird, aber ausgerechnet die Sprachenfrage ausgenommen bleibt.
Föderalisten, die sonst einige Harmonisierungskröten zu schlucken haben,
sollten dies betonen. Wenn mit dem Lehrplan 21 und den Bildungsstandards auch
zur umfassenden inhaltlichen Harmonisierung geschritten wird, aber ausgerechnet
die Sprachenfrage draussen bleibt, ist das nicht nur eine bittere Ironie der
Geschichte, sondern geradezu eine unverzeihliche Sünde.
Welche Sprache zuerst?
Welche Sprache soll nun zuerst an die Reihe kommen: Französisch oder
Englisch in der Deutschschweiz, Deutsch oder Englisch in der Romandie? Fraglos
ist das die staatspolitische Frage, die sozusagen über dem Gesagten steht. In
einem Land, in dem in Sonntagspredigten und am 1. August gern und stolz auf die
Vielfalt der Kulturen und ihr tolerantes und problemloses Zusammenleben
hingewiesen wird, kann es nur eine Antwort geben. Ein Land, das sich – gerade
wieder nach der Abstimmung vom 9. Februar – der ganzen Welt als Modell
empfiehlt, ungeachtet all der verschiedenen Voraussetzungen und Umstände, die
andernorts herrschen, sollte nicht nur sonntags predigen, sondern montags auch
danach handeln. Vielfalt und Diversität sind innerhalb von Landesgrenzen – auch
oder gerade in einer globalisierten Welt – nicht selbstverständlich. Sie müssen
immer neu erstritten werden. Die Landessprache hat deshalb Vorrang.
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