24. März 2014

Sonntags predigen, montags handeln

In seinem Kommentar erhebt Michael Schoenenberg das Problem, mit welcher Fremdsprache in der Primarschule begonnen wird, in den Rang einer staatspolitischen Frage. Angesichts der Tatsache, dass das Lerntempo mit zunehmendem Alter steigt, verliert der Beginn des Fremdsprachenunterrichts an Bedeutung. Sehr schön ist, wie Schoenenberger den Ertrag des frühen Beginns in Frage stellt. (uk)

Man darf die Debatte über den Fremdsprachenunterricht an Schweizer Volksschulen nicht als Streit oder gar Sprachenstreit bezeichnen. Dafür ist es zu früh – immerhin laufen die Anstrengungen zur Konsensfindung noch. Aber man soll die Dinge beim Namen nennen. Dabei ist es wichtig, die diversen Ebenen, auf denen sich die Auseinandersetzung abspielt, auseinanderzuhalten. Die Sprache, daran sei erinnert, ist eine delikate Sache. Sie berührt innerste Gefühle, Verletzungen können irreparabel sein. Ein analytischer Blick ist also zu wahren.
Sonntags predigen, montags handeln, NZZ, 13.3. von Michael Schoenenberger

Eine unverzeihliche Sünde
Bundesrat Alain Berset hat, auch wenn er nur sagt, was ihm zusteht, offenbar in ein Wespennest gestochen. Zunächst geht es um das Verständnis eines gelebten Föderalismus in der Bildungspolitik. Hierbei zentral ist die vom Volk 2006 gutgeheissene subsidiäre Kompetenz des Bundes. Die Bundesverfassung schreibt ihm bei einem Scheitern der Harmonisierungsbemühungen der Kantone einen Eingriff vor. Hinter dieses Volksverdikt gehen gute Demokraten, auch wenn sie im Herzen Föderalisten sind, nicht zurück. Wie sich jetzt in den Kantonen zeigt, leben viele Bildungspolitiker und Parteien mehr schlecht als recht mit dem einschlägigen Bildungsartikel. Es scheint, als ob der Widerspruch – im Kern ist es einer – zwischen der kantonalen Schulhoheit, die prinzipiell gilt, und der fortschreitenden Harmonisierung gelöst werden muss, ehe weitere Schritte wie der inhaltliche mit dem Lehrplan 21 tatsächlich Aussicht auf Erfolg haben können.
Von den föderalistischen Instinkten sind schulische, pädagogische und arbeitstechnische Sorgen zu unterscheiden. Wenn die Lehrpersonen opponieren, tun sie das nicht, weil sie jemandem eins auswischen wollen. Sie machen jedoch zu Recht darauf aufmerksam, dass Kinder vom Fremdsprachenunterricht nur nachhaltig profitieren, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Mit anderen Worten: Es bringt wenig, ein Modell 3/5 (erste Fremdsprache in der 3., zweite Fremdsprache in der 5. Klasse) vorzugeben und im Lehrplan 21 die Kompetenzen nach oben zu schrauben, ohne gleichzeitig die nötigen Ressourcen zu sprechen. Wer hehre Ziele formuliert, muss die Kassen dafür öffnen.
Weiter ist die Frage zu stellen, ob der frühe Fremdsprachenunterricht ab der dritten Klasse tatsächlich dazu führt, dass die Jugendlichen am Ende der obligatorischen Schulzeit das Erlernte besser beherrschen. Fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse dazu wären hochwillkommen.
Die Auseinandersetzung um den Fremdsprachenunterricht tangiert sodann im Kern den Sinn und Zweck der Harmonisierung des Schulwesens. Allzu leicht geht vergessen, dass ein wesentliches anfängliches Motiv die Erleichterung der Mobilität von Eltern, Kindern und Lehrpersonen über Kantonsgrenzen hinweg war. Im Kern soll es um Strukturen und Ziele gehen, nicht um pädagogische Prestigeobjekte. Dazu gehört an vorderster Stelle der Fremdsprachenunterricht, denn die unterschiedliche Reihenfolge der Sprachen stellt nun wirklich eine grosse Mobilitätshürde dar. Jene, die überzeugt sind, dass Wettbewerb auch in Bildungsangelegenheiten zu höherer Qualität führt, standen der Harmonisierung ja schon immer kritisch gegenüber. Sie werden es darum nicht verstehen, wenn nun harmonisiert wird, aber ausgerechnet die Sprachenfrage ausgenommen bleibt. Föderalisten, die sonst einige Harmonisierungskröten zu schlucken haben, sollten dies betonen. Wenn mit dem Lehrplan 21 und den Bildungsstandards auch zur umfassenden inhaltlichen Harmonisierung geschritten wird, aber ausgerechnet die Sprachenfrage draussen bleibt, ist das nicht nur eine bittere Ironie der Geschichte, sondern geradezu eine unverzeihliche Sünde.
Welche Sprache zuerst?
Welche Sprache soll nun zuerst an die Reihe kommen: Französisch oder Englisch in der Deutschschweiz, Deutsch oder Englisch in der Romandie? Fraglos ist das die staatspolitische Frage, die sozusagen über dem Gesagten steht. In einem Land, in dem in Sonntagspredigten und am 1. August gern und stolz auf die Vielfalt der Kulturen und ihr tolerantes und problemloses Zusammenleben hingewiesen wird, kann es nur eine Antwort geben. Ein Land, das sich – gerade wieder nach der Abstimmung vom 9. Februar – der ganzen Welt als Modell empfiehlt, ungeachtet all der verschiedenen Voraussetzungen und Umstände, die andernorts herrschen, sollte nicht nur sonntags predigen, sondern montags auch danach handeln. Vielfalt und Diversität sind innerhalb von Landesgrenzen – auch oder gerade in einer globalisierten Welt – nicht selbstverständlich. Sie müssen immer neu erstritten werden. Die Landessprache hat deshalb Vorrang.

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