Spass und Spiel im Fremdsprachenunterricht, Bild: Der Bund
Schüler sollen in Französisch baden, Basler Zeitung, 27.2. von Franziska Laur
Sandra darf in der Französischstunde singen, Geschichten
lauschen und viel am Computer sitzen. Doch ein Coca-Cola in den Ferien kann sie
auch nach einem Jahr Unterricht nicht bestellen. Ähnlich bei Simon. Er
scheitert kläglich, wenn er in Südfrankreich nach dem Weg fragen muss.
Nun gehen Basler Eltern auf die Barrikaden. An
verschiedenen Primarschulen, so etwa im Sevogel-Schulhaus sowie in Bettingen
und Riehen, stand das neue Lehrmaterial in der Kritik. «Ich halte ‹Mille
Feuilles› für ein problematisches Lehrmittel. Es ist zeitintensiv und komplex
und die Kinder wissen nicht, wie sie üben sollen», sagt Andrea Pfleiderer,
Mutter von drei Kindern und Gerichtsschreiberin am Appellationsgericht Basel.
Sie befürchtet, dass die mit «Mille feuilles» unterrichteten Kinder beim
Übertritt an eine Mittelschule leistungsmässig hinterherhinken werden.
Über die Sprache nachdenken
Bildungsbürokraten preisen «Mille feuilles» jedoch als
Unterrichtsmaterial, das modernste pädagogische und didaktische Ansprüche
erfülle. Es ermögliche einen spielerischen Einstieg in die Fremdsprache und
fördere die Kompetenz. «Es sind Französisch-Texte mit einem neuen Verständnis
der Sprachengewichtung», sagt Matthias Henke, Schulleiter des
Sevogel-Schulhauses. Die Schüler müssten nicht mehr auswendig gelernte Wörter
zusammensetzen, sondern würden ermuntert, über die Sprache nachzudenken. «So
lernt man, wie man an einen Text herangehen muss, auch wenn man nicht alles
versteht», sagt der Schulleiter. Angestrebt werde ein tieferes Verständnis für die
Sprache.
Doch Henke räumt ein, dass die Sprachfortschritte der
Kinder in den Anfangszeiten nicht so schnell ersichtlich sind wie mit der
herkömmlichen Fremdsprachendidaktik. Dafür sei das Ergebnis nach ein paar
Jahren umso effektiver. Dass diese neue Fremdsprachendidaktik aber bereits
erste Früchte trägt, zeige sich im Französischunterricht auf der Primarstufe.
«Auch dort arbeitet man neu auf diese Weise und dort wird das Schulmaterial
nicht infrage gestellt», sagt er.
Dies könnte allerdings auch damit zusammenhängen, dass
Kinder schon von frühster Jugend an Tag für Tag mit Englisch berieselt werden
und diese Sprache freudig und leicht lernen. Ganz so süffig läuft dies beim
Französischen nicht, dort flossen bis anhin meist Schweiss und Tränen, bis die
Sprache einigermassen sass. Die Verunsicherung der Eltern nimmt Schulleiter
Henke denn auch ernst: Man organisiere nächstens einen weiteren
Informationsabend, an dem eine Unterrichtsstunde exemplarisch durchgeführt
wird.
Auch die Primarschule Riehen/Bettingen ergreift Massnahmen,
um der Verunsicherung der Eltern konstruktiv zu begegnen. Wie die Leiterin der
Gemeindeschulen, Regina Christen, sagt, habe man einen Massnahmenkatalog
erstellt: So würde man den Umgang mit Hausaufgaben, Wortschatzarbeit und
Beurteilung erfassen, Empfehlungen formulieren und diese in einer Fachgruppe
aller Fremdsprachenlehrpersonen bearbeiten. Die Eltern würden künftig auch
regelmässiger und umfassender informiert. Am Lehrmittel «Mille feuilles» selbst
werde man jedoch nichts ändern. «Milles feuilles sei vom Projekt «Passepartout»
in Auftrag gegeben worden und werde von allen sechs beteiligten Kantonen (Bern,
Baselland, Basel-Stadt, Solothurn, Wallis und Freiburg) im Unterricht
eingesetzt. Das Lehrmittel sei vom Erziehungsrat genehmigt und setze den
Lehrplan von «Passepartout» um. Dieser orientiere sich am Kompetenzraster des
europäischen Sprachenportfolios, auf den auch die Sprachzertifikate
ausgerichtet seien.
Keine Wörter mehr lernen
«Ich habe noch nicht mit ‹Mille feuilles› gearbeitet, aber
mich intensiv mit dessen Sprachdidaktik auseinandergesetzt», sagt Alain
Pichard, Französischlehrer in Orpund bei Biel. «Und ich habe grösste Bedenken»,
sagt er. So sollten sich die Schüler die Grammatik selber beibringen und es
dürften keine Wörtchen mehr gelernt werden. «Es soll nur noch in der
französischen Sprache gebadet werden», sagt Pichard. Für ihn stellt sich auch
die Frage, wie man die Übertrittskriterien festlegen und überprüfen will, wenn
am Ende der sechsten Klasse keine schriftlichen Kenntnisse vorhanden sind.
Pichard spricht auch die Kosten an. So könne man das
Unterrichtsmaterial nur en bloc kaufen und die Schulen müssten
computertechnisch aufrüsten, da sehr viel mit CD-Rom gearbeitet wird. Ausserdem
würde allein die Weiterbildung die Lehrer 72 Stunden vom Klassenzimmer
fernhalten. «Das sind genau gleich viele Stunden wie bei den
Unterstufenlehrkräften, die noch gar nie Französisch unterrichtet haben.» Und
die Rückmeldungen aus den Kursen seien teilweise verheerend.
Lehrer wie auch Eltern sind zunehmend verunsichert über die
ständig neuen Schulprojekte. So stellt auch Walter Herzog, Professor für
Pädagogische Psychologie an der Universität Bern, fest: «Die Idee eines
öffentlichen Schulwesens, das von den Bürgerinnen und Bürgern gewollt ist und
demokratisch kontrolliert wird, scheint uns genauso abhandenzukommen wie das
Bild eines Lehrerberufs, der nur professionell ausgeübt werden kann, wenn er
nicht nach politischem Belieben an die Kandare genommen wird.»
An die Leine genommen werden die Lehrpersonen bei der
Arbeit mit «Mille feuilles» tatsächlich. Minutiös wird ihnen vorgeschrieben,
was sie tun und was sie lassen sollen. Keinesfalls erwünscht sind Wörter- oder
Grammatiktests, Diktate oder eine Beurteilung mit Bezug auf das Klassenniveau.
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