12. März 2014

Bersets Machtwort kommt schlecht an

In mehreren Deutschschweizer Kantonen machen Politiker und Lehrer Stimmung gegen eine zweite Fremdsprache. Den unter Druck geratenen Regierungen kommt die Drohkulisse aus Bern daher nicht ungelegen. Doch in der föderalistischen Innerschweiz kommt Bersets Machtwort im Sprachenstreit schlecht an.
Widerstand gegen Zentralisierungsschub, NZZ, 12.3. von Erich Aschwanden und Yannick Wiget

 Das Machtwort von Bundesrat Alain Berset kommt nicht von ungefähr. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem oder mehreren Deutschschweizer Kantonen das Frühfranzösisch abgeschafft wird, wächst. Die Initiativen, die in Graubünden eingereicht und für die in Luzern und Nidwalden Unterschriften gesammelt werden, verlangen explizit nur, dass auf der Primarstufe eine Fremdsprache unterrichtet wird. Implizit ist damit jedoch Englisch gemeint. So machte ein Firmenvertreter der Ruag bei der Lancierung im Kanton Luzern klar, dass die Wirtschaft Schulabgänger will, die über möglichst gute Englischkenntnisse verfügen.
Zu den Regierungsvertretern, die sich so herausgefordert sehen, gehört der Luzerner Bildungsdirektor Reto Wyss (cvp.). Für ihn kommen Bersets klare Worte denn auch keineswegs überraschend: «Dies deckt sich mit meiner Einschätzung. Auch ich bin immer davon ausgegangen, dass Französisch in einem mehrsprachigen Land wie der Schweiz Priorität hat.» Die Sprachenfrage müsse national gelöst werden, kantonale Initiativen seien nicht der richtige Weg, so Wyss. Er ist erstaunt, wie leichtfertig mit dem Auftrag umgegangen werde, den das Volk 2006 mit fast 86 Prozent Ja zum Bildungsartikel erteilt habe.
Machtdünkel des Magistraten
Kopfschütteln haben die Aussagen hingegen bei Christoph Keller ausgelöst. «Berset hat seine Worte nicht mit Bedacht gewählt. Das ist Machtdünkel eines Magistraten, der gewohnt ist, seinen Willen durchzusetzen», sagt der Präsident der Nidwaldner SVP, die seit kurzem Unterschriften gegen eine zweite Fremdsprache sammelt. Er macht klar, dass die Landesregierung mit dieser Haltung in der föderalistisch geprägten Zentralschweiz auf Widerstand stossen wird. Der Zentralisierungsschub, der nicht nur bei der Bildung, sondern auch bei der Raumplanung und anderen Bereichen im Gang sei, werde hier sehr kritisch beobachtet.
Wie Christoph Keller ist auch sein Bruder, der Nidwaldner Nationalrat Peter Keller, ehemaliger Lehrer. Der SVP-Parlamentarier stört sich daran, dass mit der Sprachenthematik «eine eigentlich pädagogische Frage zu einer nationalen Überlebensfrage umgebogen» werde. Es sei Ironie des Schicksals, dass Berset mit seinem Votum der Angelegenheit nun überhaupt diese Sprengkraft verleihe. Aus seiner Sicht habe man sich bei den Fremdsprachen verrannt, was auch der schweizerische Lehrerverband verklausuliert zugebe. Tatsächlich sind die Lehrer in vielen Kantonen unzufrieden mit dem heutigen Modell, bei dem ab der 3. und der 5. Primarklasse die erste beziehungsweise zweite Fremdsprache unterrichtet wird. In den verschiedenen Initiativkomitees sind sie an vorderster Front mit dabei.
Dass die Skepsis gegenüber zwei Fremdsprachen auch in weiten Teilen der Politik weit verbreitet ist, musste der Schaffhauser Bildungsdirektor Christian Amsler (fdp.) vor kurzem schmerzhaft erfahren. Der Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz, der offensiv für zwei Fremdsprachen weibelt, wurde im Februar vom Kantonsparlament gezwungen, sich dafür einzusetzen, dass Primarschüler nur noch eine Fremdsprache lernen müssen.
Sprachenfrieden gefährdet
Kein Wunder, will Amsler momentan nichts überstürzen. Der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) werde ein Brief mit dem Inhalt und dem Protokoll der Debatte im Parlament weitergeleitet. Die Regierung nehme aber vorerst keine konkreten Handlungen vor. Mit dem Harmos-Konkordat hat die EDK gemäss Amsler ja bereits eine Lösung gefunden. Dieser Prozess sei noch nicht abgeschlossen, und man solle nicht jetzt schon wieder etwas ändern. «Falls die EDK aufgrund des Drucks der Kantone eine neue Lösung erarbeiten müsste, bin ich nicht zuversichtlich, dass es zu einem Sprachfrieden kommen würde. Dann würde das Vorgehen voraussichtlich von Bern aus diktiert, so wie es Bundesrat Alain Berset gesagt hat», zeigt sich Amsler skeptisch.

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