7. Februar 2014

Beurteilung im Kindergarten

Die Normierungsbemühungen in den Basler Schulen nehmen derart zu, dass nun schon auf Kindergarten-Stufe fünfseitige Lernberichte erstellt werden müssen. Wo führt das alles noch hin?





Standardisierte Beurteilungsbogen als Vorbereitung für Elterngespräche, Bild: Keystone

Nun gibt es schon Noten im Kindergarten, Basler Zeitung, 7.2. von Franziska Laur


«Das Kind kann gehen, rennen, hüpfen, galoppieren, den Hampelmann machen. Das Kind kann die Sichtweise einer Person/Gruppe übernehmen.»
Dies steht unter anderem im Lernbericht, den Kindergärtnerinnen neu für jedes Kind beantworten müssen. Dieser wird kopiert und den Eltern zugesandt, bevor diese zum Gespräch und zur gemeinsamen Zielformulierung geladen werden. «Das ist ein immenser Aufwand», sagt eine Kindergärtnerin. Und eine Mutter: «Schon jetzt müssen die Kinder in eine Norm passen.»
Bis anhin seien diese Berichte in der Kindergartenstufe mündlich erfolgt, jetzt würden sie neu schriftlich abgegeben, sagt Pierre Felder, Leiter Volksschulen Basel-Stadt. Für die Eltern sei es eine gute Gesprächsvorbereitung, wenn sie in einer Tabelle nachlesen können, wie die Schule ihr Kind wahrnimmt. Es sei jedoch lediglich ein Mittel der Kommunikation, kein Zeugnis – und die Form sei auch nicht in Stein gemeisselt. «Wenn sich zeigt, dass sich das eine oder andere nicht bewährt, so können wir das wieder korrigieren.»
Strukturierung erstickt Kreativität
Solche Aussagen nerven Kerstin Wenk, SP-Grossrätin und beim VPOD verantwortlich für Bildung: «Das ist ein grosser Aufwand für die Kindergärtnerinnen», sagt sie. Die Lehrpersonen müssten schon so immer mehr Zeit in administrative Belange investieren. «Und es wird immer mehr und immer aufwendiger.» «Wir suchen immer wieder mit dem Erziehungsdepartement das Gespräch», sagt sie. Doch dieses sei nicht bereit, auf die Kritik einzugehen.
«Das Kind kann eigene Stärken und den persönlichen Entwicklungsbedarf benennen. Das Kind kann einen Entscheid treffen. Das Kind lässt sich durch Misserfolge nicht übermässig verunsichern.»
Nicoletta Stalder, Mutter von drei Buben, hat Erfahrungen mit Lernberichten, auch wenn sie an ihrem Wohnort, in Binningen, im Kindergarten nicht in dieser Form eingesetzt werden. «Was die Bildung unserer Kinder angeht, herrscht zunehmend ein Kontrollwahn», stellt sie nüchtern fest. Ständig werde in irgendeiner Form in die Entwicklung der Kinder eingegriffen. «Diese Strukturierung erstickt jede Kreati­vität und Spontanität.» Der Drang zur Beurteilung und Normierung des ­Unterrichts demotiviere Kinder und Lehrer.
Eine Fünferskala zur Bewertung
Stalder – ausgestattet mit dem Primarlehrerinnendiplom – hat zunehmend den Eindruck, dass die Beschränkung auf enge Leistungsfelder schadet. «Natürlich wird auch bei uns diskutiert, ob das sinnvoll ist oder nicht», sagt Gaby Hintermann, Geschäftsleitungsmitglied der Freiwilligen Schulsynode Basel-Stadt. Sie begrüsst, wenn sich die Kindergärtnerin vor dem Standortgespräch in dieser Form Gedanken macht, als Mutter würde sie dies auch schätzen. «Doch für die Lehrpersonen wird der Arbeitsaufwand immer grösser, das stimmt.»
«Das Kind hat eine ausgeprägte oder wechselnde Händigkeit, kann den Stift locker halten. Das Kind kann den eigenen Körper differenziert wahrnehmen. Das Kind übernimmt Verantwortung für die Gruppe.»
Der Lernbericht beruht auf einem standardisierten Beurteilungsbogen. Leistungen und Verhalten des Kindes werden auf einer Fünferskala bewertet. Insgesamt müssen die Kindergärtnerinnen 17 Bereiche bewerten, bevor sie mit den Eltern Ziele formulieren und Wege dorthin aufzeichnen.
Elterngruppe gegründet
«Das kommt mir vor, wie wenn ich eine Wiese bepflanze, und ständig schreiten Experten darüber und zupfen an den Blümchen, um zu kontrollieren, ob sie richtig wachsen. Dabei zertrampeln sie alles», sagt Nicoletta Stalder. So würden die Nischen für die Entwicklung von Eigeninitiative, Originalität und Selbstständigkeit für die Kinder immer kleiner.
Sie ist überzeugt, dass Eltern und Lehrkräfte, welche die Freude am Lernen und nicht die Vermessung und Verplanung des Kindes als Weg in die Zukunft sehen, innerhalb der Staatsschule eine Alternative brauchen. Sie hat daher als ersten Schritt eine Elterngruppe gegründet.

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