"Im Grundsatz stimmen wir zu", Bild: Keystone
Lehrplan 21 gibt Anlass zur Diskussion, Grenchner Tagblatt, 13.1. von Elisabeth Seifert
Seit einigen Monaten liegt er jetzt auf dem Tisch,
der erste gemeinsame Deutschschweizer Lehrplan für die Volksschule. 170
Lehrpersonen und weitere Bildungsexperten haben während mehrerer Jahre daran
gearbeitet.
Auf 557 Seiten werden 4753 einzelne Kompetenzen
beschrieben, die sich die Schülerinnen und Schüler sukzessive vom Kindergarten
bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit - im Idealfall - aneignen sollten.
Ein bildungspolitisches Mammutprojekt, zweifellos. «Modern»
nennen es die einen, «aufgeblasen, kontrollastig und praxisfern» die anderen.
Und wie lautet das Verdikt der Solothurner Bildungsstrategen?
Solothurn verlangt Nachbesserung
«Im Grundsatz stimmen wir zu, verlangen aber eine
Reihe von Anpassungen», sagte Bildungsdirektor Remo Ankli am Samstagvormittag
an einer Podiumsdiskussion in Subingen vor rund 80 Behördenmitgliedern und
Schulleitern.
Morgen Dienstag wird die Regierung die offizielle
Stellungnahme des Kantons Solothurn zuhanden der Deutschschweizer
Erziehungsdirektorenkonferenz verabschieden (siehe Text unten).
«Grundsätzlich ja, aber», lautete an der Debatte im
Oberstufenzentrum oz 13 auch der Tenor bei den Spitzen der organisierten
Lehrerschaft, vertreten durch Dagmar Rösler, Präsidentin des Verbandes der
Lehrerinnen und Lehrer Solothurn (LSO) sowie Adrian van der Floe, Präsident des
Solothurner Schulleiterverbands (VSL SO).
Für gehörig Pfeffer in der Diskussion sorgte mit seiner
pointiert formulierten Kritik Mathias Binswanger, Wirtschaftsprofessor an der
Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten. Organisiert hat das Gespräch die
Schulleiterkonferenz der Region Oberstufe Wasseramt Ost. Moderiert wurde dieses
von Albert Arnold, Schulleiter der Regionalen Schule äusseres Wasseramt.
«Der vereinheitlichte Lehrplan ist ein geeignetes
Instrument, um Kindern im Zeitalter der Mobilität gleiche Chancen zu
ermöglichen», würdigte Schulleiter-Präsident Adrian van der Floe das
Harmonisierungsprojekt. «Kinder, die nach einem Umzug mit einem anderen
Schulstoff und völlig neuen Lehrmitteln konfrontiert sind, fühlen sich nicht
wohl.»
In der Berufsbildung seien schweizweit einheitliche
Lehrpläne im Übrigen schon von jeher gang und gäbe. Auch Bildungsdirektor Remo
Ankli und Lehrervertreterin Dagmar Rösler begrüssen die Harmonisierung der
Lehrpläne.
Auf Anklang stossen weiter - jedenfalls im
Grundsatz - die Formulierung der Bildungsziele als Kompetenzen: Statt eher
abstrakt formulierter Lernziele wird im neuen Lehrplan exakt beschrieben, was
die Schülerinnen und Schüler in den einzelnen Fachbereichen genau können
müssen.
Hier setzt aber gleichzeitig auch die Kritik an.
«Die Anzahl Kompetenzen ist viel zu gross», meinte etwa der Bildungsdirektor.
Damit wolle er aber nicht etwas gesagt haben, dass die Schüler weniger können
sollen.
Es sei aber nicht nötig, die Kompetenzen, über
welche die Schüler verfügen sollen, bis ins letzte Detail zu definieren. Eine
Feststellung, die Lehrerpräsidentin Dagmar Rösler voll und ganz unterschreiben
kann.
Neben dem Detaillierungsgrad beanstandet sie zudem
die «viel zu komplizierten Formulierungen». «Die Kompetenzen im Bereich Sprache
musste ich dreimal lesen, bevor ich sie verstanden habe.»
Wo bleibt das Wissen?
Remo Ankli bemängelt zudem, dass die Kompetenzen zu
wenig mit präzisen Lerninhalten verknüpft werden. Das Konzept der
Kompetenzorientierung klammere das Wissen regelrecht aus, beanstandet
Binswanger.
Es sein aber ein Fehlschluss der Bildungsexperten
auf das Internet zu verweisen, wo man das nötige Wissen ja jederzeit abrufen
könne. «Ohne Wissen gibt es keine Kompetenz», unterstreicht der Professor.
Lasse man das Wissen aussen vor, rede man
«kompetent über Dinge, von denen man nichts weiss».«Inhaltsleere
Geschwätzigkeit», sei die Folge - eine Charakteristik, die gemäss Binswanger
auch auf den Katalog der Kompetenzen selbst zutrifft.
Mit der Vielzahl an Kompetenzen, so Mathias
Binswanger, erliegen die Lehrplan-Macher einmal mehr der «Illusion, dass alles
besser wird, wenn man möglichst viel von oben her steuert». Lehrpersonen
brauchen aber für ihre Befriedigung im Beruf einen entsprechenden
Gestaltungsfreiraum.
Zudem seien zahlreiche Aspekte der Bildung nicht
steuerbar. «Wer in der Schule aber alles messen und testen will, der lässt
solche Aspekte der Bildungsqualität unberücksichtigt.»
Immer mehr Tests und Checks
Die Tendenz zu immer mehr Tests und Checks in der
Schule macht auch der LSO-Präsidentin zu schaffen. «Der Unterricht wird
unbefriedigend, wenn wir immer nur irgendwelchen Bildungsstandards
hinterherjagen müssen, auch Bauch und Herz müssen Platz haben können».
Für Adrian van der Floe machen die auf messbaren
Standards beruhenden Tests durchaus Sinn, «sie dürfen aber nicht überbewertet
werden». «Messen ist nicht per se schlecht», meinte auch Remo Ankli,
«fragwürdig ist aber sicher das Ausmass.»
Thematisiert wurden von der Gesprächsrunde in
Subingen auch die absehbaren Mehrkosten, welche die Einführung des Lehrplans
mit sich bringen wird. Dagmar Rösler brachte ihre Sorge zum Ausdruck, dass
aufgrund der Finanzknappheit des Kantons nicht die nötigen Mittel für die
Weiterbildungen und Lehrmittel zur Verfügung stehen.
Für Adrian van der Floe ist es wichtig, dass die
Kosten nicht auf die Gemeinden abgewählt werden. «Wir werden Kostentransparenz
schaffen», betonte Ankli - und versicherte: «Auch trotz finanzieller Engpässe
können wir Weiterbildungen und Lehrmittel zahlen.»
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