8. Juli 2013

Sprachfeminismus

Die Schule leidet stark unter der Feminisierung der Sprache. Der Begriff "Lehrer" soll nicht mehr als Oberbegriff für alle Leute dienen, die unterrichten. Auch ich verwende deshalb gelegentlich den Begriff "Lehrkräfte", damit sich die Frauen miteinbezogen fühlen. "Lehrende" wäre eine weitere Möglichkeit, die mir aber wegen des damit implizierten Gegenwartsbezuges - gerade jetzt einer bestimmten Tätigkeit nachgehen - unheimlich ist. Claudia Wirz reiht sich mit ihrem Text ein in den Reigen von intelligenten Betrachtungen zu diesem Phänomen.
Lange haben wir sie hinter uns gelassen, die Zeiten, als die weibliche Bevölkerungshälfte durch das generische Maskulinum systematisch unterschlagen wurde, als etwa in Schulverordnungen nur von Schülern und nicht von Schülerinnen und Schülern die Rede war. Dank unzähligen amtlichen Leitfäden sind die Frauen heute fast allgegenwärtig. Aber eben nur fast. Ausnahmen werden gerne gewährt, wenn es um unerwünschtes soziales Verhalten geht. Auf Wendungen wie Abzockerinnen und Abzocker, Chaotinnen und Chaoten oder Alkoholikerinnen und Alkoholiker pocht niemand mit Eifer. Aber sonst sind die Frauen sichtbar – und die Texte umso länger und holpriger. Lesbarkeit und Eleganz des Ausdrucks haben zurückzutreten für das höhere Gut der Geschlechtergerechtigkeit.
So lässt sich zum Beispiel in einer Mitteilung der Patientenstelle Aargau-Solothurn Folgendes über die medizinische Schweigepflicht nachlesen: «Grundsätzlich untersteht jeder Arzt / jede Ärztin der Schweigepflicht. Es gibt jedoch Ausnahmen. Wenn der Patient / die Patientin die Ärztin / den Arzt von der Schweigepflicht entbindet, darf diese/r Auskunft erteilen. (. . .) Der/die behandelnde Arzt/Ärztin ist verpflichtet, den Kantonsarzt / die Kantonsärztin über Infektionskrankheiten wie zum Beispiel Aids zu informieren.»
Wer diesen sprachlichen Hürdenlauf aus Schrägstrichen und penetranten Wiederholungen bis zum Ende durchzuhalten vermag, darf jetzt ganz sicher sein: Die gesetzlichen Regelungen zur medizinischen Schweigepflicht gelten – sollte noch irgendjemand daran gezweifelt haben – tatsächlich für Männer und für Frauen.
Ob diese Information eine solche Entstellung der deutschen Sprache rechtfertigt, darf zumindest aus sprachpflegerischer Sicht infrage gestellt werden. Denn die Doktrin der geschlechtergerechten Sprache macht das Lesen solchermassen «gerechter» Texte nicht nur fast unerträglich. Sie basiert auch auf einem linguistischen Grundirrtum, weil es das biologische Geschlecht mit dem grammatischen Genus gleichsetzt.
Aus: Neusprech für Fortgeschrittene, NZZ, 8.7. von Claudia Wirz. Der Text ist online verfügbar und kann hier weitergelesen werden.






Lautsprecher als Beispiel männlicher Hegemonie? Bild: Gudrun Bramsiepe

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