25. Mai 2013

Weltrettungsprosa im Lehrplan 21

Im neuen Lehrplan 21 soll auch der Bereich "Nachhaltige Entwicklung" berücksichtigt werden. Gegen dieses Kuckucksei kann man mit berechtigten Gründen Einwände haben, in der Praxis öffnen wir damit Ideologien Tür und Tor. Ein Artikel von Lucien Scherrer warnt vor den Folgen.

Schulkinder lernen heute mehr als Schreiben, Rechnen oder Ringturnen. Sie lernen, wie man die «ökologischste» Pizza bäckt oder wie ein «gerechter» Bleistift produziert wird. Sie basteln Häuschen aus rezykliertem Abfall, die zu «sozialen Treffpunkten» werden. Sie spielen Theaterstücke, in denen es um das «Fremd sein» in der Schweiz geht oder darum, der weltweiten Armut und dem Klimawandel «entgegenzutreten». «Globales Lernen» respektive «Bildung für nachhaltige Entwicklung» (BNE) nennt man das in der Fachsprache. Diese Beispiele aus dem Schulalltag sind der Website von «éducation 21» entnommen, einer halbstaatlichen Bildungsstelle (dazu später mehr).
Wie viel «nachhaltige» Unterweisung Kinder erhalten, hängt heute von kantonalen Lehr­plänen, inoffiziell aber auch von der Weltanschauung der Lehrer ab. Nach dem Willen der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) soll sich das bald ändern. Das Politikergremium hat sich das Ziel gesetzt, die Lehrpläne in den 21 Deutschschweizer Kantonen ab 2014/15 zu vereinheitlichen – mit dem sogenannten «Lehrplan 21», der im Juni der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll.
Der genaue Inhalt ist noch unbekannt, doch schon jetzt ist klar, dass «globales Lernen» ­eine wichtige Rolle spielen wird. So sollen die Kinder in fächerübergreifendem Unterricht «Kompetenzen erwerben» über Themen wie «soziale Gerechtigkeit», «Nord-Süd», «Diskriminierung», «Gender» oder «Umwelt» (Weltwoche Nr. 50/12). Ist es ein Zufall, dass sich das anhört, als hätte die Grüne Partei oder eine Drittweltgruppe ihre Bildungsziele verwirk­licht? Die EDK versichert, dass nachhaltige Bildung nichts mit «Instrumentalisierung» oder ideologischer Beeinflussung zu tun habe. So erklärte EDK-Generalsekretär Hans Ambühl in einem Interview: «Lange haftete der BNE der Geruch von Ideologie an. Ich lege aber Wert darauf, dass nach-haltige Entwicklung keine Forderung von Ideologen ist, sondern aus allgemein anerkannten menschlichen Wertvorstellungen hervorgeht.»
Tatsächlich lohnt es sich, die Hintergründe dieses angeblich geschmacks-neutralen Anliegens etwas genauer zu betrachten. Denn BNE ist ein Lehrbei-spiel dafür, wie Lobbyisten, Bildungsfunktionäre und Verwaltungsbeamte für fragwürdige Zwecke den Staat aufblähen.
Doch der Reihe nach. Die nachhaltige Bildungsoffensive beginnt 1992, an der Uno-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio. Neben anderen Geboten verkünden die Gipfelteilnehmer, dass Umwelt- und Entwicklungsfragen stärker in der Bildung verankert werden müssten. Gestützt auf diesen «Auftrag», beginnen Hilfswerke wie Alliance Sud, Amnesty International, WWF und andere Interessengruppen, die Schulen mit Material zu Themen wie «Interkulturalität», «Rassismus», «Globalisierung», «Umwelt», «fairer Handel» und dergleichen einzudecken. Gleichzeitig versucht diese Lobby, ihre Anliegen in Lehrplänen und in der Lehrerausbildung zu verankern.
Mit Erfolg, denn die EDK und die Bundesverwaltung halten nachhaltige Bildung für derart wichtig, dass sie diese zur Staatsaufgabe erklären. Ende der neunziger Jahre werden die meisten «Schulstellen» der Hilfswerke ersetzt durch die zwei neuen Stiftungen Bildung und Entwicklung (SBE) sowie Umweltbildung Schweiz (SUB). Diese erhalten vom Bund den Auftrag, Informationsmaterial zu «filtern», Schulen und Lehrkräfte zu «beraten» und mit Unterrichtsmaterial zu versorgen. Im Gegenzug subventioniert die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) die Stiftungen mit Millionenbeträgen (allein der SBE spendiert sie 1998 1,6 Millionen Franken). Damit entsteht ein quasistaatliches Beschäftigungsprogramm für Hilfswerk-Aktivisten, denn auf deren Know-how will man nicht verzichten.
Bis 2008 verdoppelt die SBE die Zahl ihrer Mitarbeiter auf sechzehn. Gemäss Jahresbericht 2011 haben diese «Fachleute» seit 1997 über eine halbe Million Bücher, Filme und andere Unterrichtsmaterialien an Schulen verkauft und 500 Projekte «im Bereich der Rassismusprävention oder der Menschenrechte» begleitet. Die pädagogischen Hochschulen (PH), immer offen für «moderne» Themen, tragen die Offensive eifrig mit. Sie entwickeln BNE-Lehrgänge, oder sie bringen Lehrern in Kursen bei, was sie gegen den Klimawandel «tun» können. So ist es nur folgerichtig, dass Bund und EDK 2007 einen 1,5 Millionen Franken teuren Massnahmenplan verabschieden, mit dem Ziel, BNE im «Lehrplan 21» zu verankern. Nachhaltige Entwicklung sei «das womöglich zentralste Anliegen unserer Zeit», verkündet EDK-Funktionär Ambühl.
Die epochale Mission verlangt nach einer Bündelung der Kräfte: 2012 fusionieren SBE, SUB und die Schulstelle von Alliance Sud zur Stiftung «éducation 21». Diese betreibt seit Anfang Jahr ein nationales «Kompetenzzen­trum BNE» in Bern. Nach Auskunft von EDA-Sprecherin Carole Waelti beschäftigt dieses Amt für ökosoziale Bildung 43 Mitarbeiter, die sich dreissig Vollzeitstellen teilen.
De facto handelt es sich um Staatsangestellte: Die Deza sowie die Bundesämter für Kultur und Gesundheit schiessen dieses Jahr 4,9 Millionen Franken in das Zentrum ein und tragen damit die Hauptlast des Budgets. Und es gibt viel zu tun: «Das Kompetenzzentrum wird die Schulen und päda­gogischen Hochschulen bei der Erreichung der Lehrplan-Ziele unterstützen», sagt EDK-Sprecherin ­Gabriela Fuchs, «durch Erarbeitung von Unterrichtshilfen und Unterstützung der päda­gogischen Hochschulen bei der Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte.»
Obwohl «globales Lernen» angeblich ein universelles Anliegen ist, zieht es vorwiegend Menschen mit linkem und grünem Gedankengut an. So war der grüne Zürcher Gemeinderat und PH-Dozent Ueli Nagel federführend in der Entwicklung von BNE-Lehrgängen, und im Stiftungsrat von «éducation 21» sitzen neben Lehrer- und Kantonsvertretern ausschliesslich SP-Politiker: die jurassische Regierungsrätin Elisabeth Baume-Schneider und der Freiburger Nationalrat Jean-François Steiert. Zum «éducation 21»-Mitarbeiterstab gehört die Berner SP-Politikerin Barbara Rödlach, und auch ihr Chef steht nicht im Ruf, ein «Rechter» zu sein: Zentralsekretär Jürg Schertenleib, ein ehemals prominenter Funktionär der Flüchtlingshilfe, der 2007 zur SBE wechselte. Während seiner Amtszeit als Flüchtlingshelfer fiel der Jurist als vehementer Kritiker einer verschärften Ausländer- und Asylpolitik auf. «Die Menschlichkeit ist weggebrochen», klagte er etwa 2006 nach der Annahme des neuen Ausländer- und Asylgesetzes. Bis heute präsidiert Schertenleib die Gruppe Humanrights.ch, die dank Bundesgeldern akribisch Buch führt über rassistische Vorfälle in der Schweiz. Bei seinem Wechsel zur SBE diktierte Schertenleib dem Tages-Anzeiger, dass er sein «Engagement für die Grundrechte der Menschen» nun in die «Bildungspolitik einbringen» wolle.
Das ist ihm und seinen Mitstreitern gut gelungen. Die Publikationen und Projekte von «éducation 21» – nachzulesen im Internet – sind durchtränkt von Hilfswerk-Jargon und rotgrünen Glaubenssätzen. Der Klimawandel ist «menschengemacht» und kann von nachhaltig gebildeten Menschen «bekämpft» werden, Multis beuten die Dritte Welt aus, die Gesellschaft ist latent rassistisch, Bio, Solarenergie und der öffentliche Verkehr sind gut.
Trotz Versicherungen, dass BNE-Unterricht «offene Diskussionen» anregen soll, geht es um Belehrung. Dabei gilt das Motto: Was PH-Dozenten und Hilfswerk-Aktivisten interessant finden, begeistert auch Schulkinder. So preist «éducation 21» einen Film über ein Mädchen an, der die Kinder dazu animieren soll, über «Geschlechtergerechtigkeit» zu diskutieren. Wobei es für die Buben angeblich besonders «spannend» ist, ihr «Rollenverständnis zu hinterfragen».
Beim Thema «Einwanderung» werden die Schüler ebenso sanft, aber bestimmt in die richtige Richtung gelenkt. Bereits Kindergärtler müssen sich «spielerisch» mit «Fragen des interkulturellen Respekts» auseinandersetzen. Auf Schulstufe gilt es dann, «Aktivitäten zu erkunden», um «dem Rassismus entgegenzutreten». Daneben unterstützt «éducation 21» Events wie «Step into Action», an denen Kinder für Themen wie «Migration» oder – wie am 1. Mai – für «internationale Solidarität» «sensibilisiert» werden. Wobei für die «Sensibilisierung» Aktivisten von Amnesty International zuständig sind.
Es verwundert nicht, dass die Kinder nach solchen Events Bekenntnisse abliefern, die ganz im Sinne ihrer Erzieher liegen: Sie geloben, die Diskriminierung von Homosexuellen zu «bekämpfen» oder für weniger Fleisch und mehr «fair» produzierten Kaffee in der Mensa zu werben. Eine Schulklasse, die im Tessin das Thema «Mobilität» untersuchte, stellte folgende «Forderungen» auf: Eisenbahntarife senken, öffentlichen Verkehr fördern, stren­gere Tempolimiten für Autos.
So viel zum «Geruch von Ideologie», der sich laut EDK-Generalsekretär Hans Ambühl in Luft aufgelöst hat. BNE ist in der Lehrerschaft denn auch nicht so beliebt, wie das die EDK gerne hätte. Hinter vorgehaltener Hand wird über den «modischen Plunder» geklagt, der einem wieder einmal «von oben» verordnet werde. Der Bieler Reallehrer und Stadtrat Alain Pichard (Grünliberale) sagt offen, was andere denken: «Es ist haarsträubend, was da abläuft. Man versucht, kleine Kinder mit Weltrettungsprosa in bessere Menschen zu verwandeln.» Statt eigenes Denken zu fördern, vermittelten die «Schreibtischtäter» Glaubenssätze, statt Forschergeist zu wecken, deckten sie die Kinder mit Arbeitsblättern und Filmen ein. «Das ist Pädagogik aus dem Mittelalter», sagt Pichard, «todlangweilig, aber ­sicher nicht nachhaltig.» Dass der Staat dafür eine Bildungsstelle finanziert und deren Ziele auch noch im «Lehrplan 21» verankern will, hält der Lehrer für «höchst fragwürdig».
EDK-Sekretär Hans Ambühl will sich auf Anfrage der Weltwoche nicht zu «politischen» Fragen äussern und verweist auf «éducation 21»-Präsidentin Elisabeth Baume-Schneider. Diese reagiert nicht auf eine Interview-Anfrage. Dafür äussert sich Beat Zemp, der als Präsident des Schweizer Lehrerverbandes und Vizepräsident der Stiftung «éducation 21» beide Seiten kennt. Für ihn gehört BNE heute zu einem «zeitgemässen Unterricht». «Natürlich haben Themen wie Nachhaltigkeit einen linken Touch», sagt er, «aber gerade deshalb dürfen sie keinesfalls nur von einem Standpunkt – etwa einem ökologischen – betrachtet werden.» Vielmehr gelte es, im Unterricht auch «andere Sichtweisen» zu berücksichtigen, zum Beispiel jene der Wirtschaft. Die Frage, ob BNE diesem Anspruch in der Praxis gerecht wird, lässt Zemp offen. Aber er sagt: «Es wäre zu wünschen, dass der Bund die wirtschaftliche Kompetenz der Stiftung ‹éducation 21› stärkt.»
Doch egal, wie viel Kompetenz dieses selbsternannte «Kompetenzzentrum» noch entwickelt: Hat die Schule nicht Wichtigeres zu tun, als kleine Aktivisten zu formen und Schul­buben mit Gender-Fragen zu langweilen? «Die Schule muss sich auf das konzentrieren, was sie kann, was sie können muss», sagt Alain ­Pichard. Das Klima retten gehöre da bestimmt nicht dazu, den Schülern Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen, dagegen schon. «Das ist zwar nicht alles, aber ohne diese Fähigkeiten ist alles nichts.»
Pichard erinnert daran, dass laut der Pisa-Studie fast jeder fünfte Schulabgänger nicht richtig lesen und schreiben kann: «Wenn die Schule in ihrem Kerngebiet Analphabeten produziert, erodiert ein Fundament.» Tatsächlich dürfte es ein Schulabgänger auf dem Arbeitsmarkt auch künftig schwer haben, wenn er weiss, wie man eine ökologische Pizza bäckt – aber nicht, wie man das Wort «Pizza» schreibt.
Quelle: Weltwoche 21/2013 von Lucien Scherrer

1 Kommentar:

  1. STEP into action (1. Oktober 2013 in Zürich/Spreitenbach, 17. / 18. September in Basel)

    Für interessierte Lehrpersonen der 10.-12. Schuljahr: Die Anmeldung erfolgt klassenweise auf www.euforia.ch/anmeldung-step (bis 14. Juli). Wir freuen uns auf zahlreiche Anmeldungen!

    Ziel: STEP into action sensibilisiert und begeistert Jugendliche (Gymnasium, Brückenangebote, Berufsfachschulen, 10.-12. Schuljahr) für ein gesellschaftliches Engagement. Die Jugendlichen setzen sich während eines dreistündigen interaktiven Parcours mit aktuellen Herausforderungen in den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Solidarität, Menschenrechte oder Migration auseinander, erkennen ihr eigenes Handlungspotential und entdecken konkrete, lokale Engagementmöglichkeiten

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