Schulkinder lernen heute
mehr als Schreiben, Rechnen oder Ringturnen. Sie lernen, wie man die
«ökologischste» Pizza bäckt oder wie ein «gerechter» Bleistift produziert wird.
Sie basteln Häuschen aus rezykliertem Abfall, die zu «sozialen Treffpunkten»
werden. Sie spielen Theaterstücke, in denen es um das «Fremd sein» in der
Schweiz geht oder darum, der weltweiten Armut und dem Klimawandel
«entgegenzutreten». «Globales Lernen» respektive «Bildung für nachhaltige
Entwicklung» (BNE) nennt man das in der Fachsprache. Diese Beispiele aus dem
Schulalltag sind der Website von «éducation 21» entnommen, einer
halbstaatlichen Bildungsstelle (dazu später mehr).
Wie viel «nachhaltige»
Unterweisung Kinder erhalten, hängt heute von kantonalen Lehrplänen,
inoffiziell aber auch von der Weltanschauung der Lehrer ab. Nach dem Willen der
Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) soll sich
das bald ändern. Das Politikergremium hat sich das Ziel gesetzt, die Lehrpläne
in den 21 Deutschschweizer Kantonen ab 2014/15 zu vereinheitlichen – mit
dem sogenannten «Lehrplan 21», der im Juni der Öffentlichkeit vorgestellt
werden soll.
Der genaue Inhalt ist noch
unbekannt, doch schon jetzt ist klar, dass «globales Lernen» eine wichtige
Rolle spielen wird. So sollen die Kinder in fächerübergreifendem Unterricht
«Kompetenzen erwerben» über Themen wie «soziale Gerechtigkeit», «Nord-Süd»,
«Diskriminierung», «Gender» oder «Umwelt» (Weltwoche Nr. 50/12).
Ist es ein Zufall, dass sich das anhört, als hätte die Grüne Partei oder eine
Drittweltgruppe ihre Bildungsziele verwirklicht? Die EDK versichert, dass
nachhaltige Bildung nichts mit «Instrumentalisierung» oder ideologischer
Beeinflussung zu tun habe. So erklärte EDK-Generalsekretär Hans Ambühl in einem
Interview: «Lange haftete der BNE der Geruch von Ideologie an. Ich lege aber
Wert darauf, dass nach-haltige Entwicklung keine Forderung von Ideologen ist,
sondern aus allgemein anerkannten menschlichen Wertvorstellungen hervorgeht.»
Tatsächlich lohnt es sich,
die Hintergründe dieses angeblich geschmacks-neutralen Anliegens etwas genauer
zu betrachten. Denn BNE ist ein Lehrbei-spiel dafür, wie Lobbyisten,
Bildungsfunktionäre und Verwaltungsbeamte für fragwürdige Zwecke den Staat
aufblähen.
Doch der Reihe nach. Die
nachhaltige Bildungsoffensive beginnt 1992, an der Uno-Konferenz über Umwelt
und Entwicklung in Rio. Neben anderen Geboten verkünden die Gipfelteilnehmer,
dass Umwelt- und Entwicklungsfragen stärker in der Bildung verankert werden
müssten. Gestützt auf diesen «Auftrag», beginnen Hilfswerke wie Alliance Sud,
Amnesty International, WWF und andere Interessengruppen, die Schulen mit
Material zu Themen wie «Interkulturalität», «Rassismus», «Globalisierung»,
«Umwelt», «fairer Handel» und dergleichen einzudecken. Gleichzeitig versucht
diese Lobby, ihre Anliegen in Lehrplänen und in der Lehrerausbildung zu
verankern.
Mit Erfolg, denn die EDK
und die Bundesverwaltung halten nachhaltige Bildung für derart wichtig, dass
sie diese zur Staatsaufgabe erklären. Ende der neunziger Jahre werden die
meisten «Schulstellen» der Hilfswerke ersetzt durch die zwei neuen Stiftungen
Bildung und Entwicklung (SBE) sowie Umweltbildung Schweiz (SUB). Diese erhalten
vom Bund den Auftrag, Informationsmaterial zu «filtern», Schulen und Lehrkräfte
zu «beraten» und mit Unterrichtsmaterial zu versorgen. Im Gegenzug
subventioniert die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) die
Stiftungen mit Millionenbeträgen (allein der SBE spendiert sie 1998 1,6
Millionen Franken). Damit entsteht ein quasistaatliches Beschäftigungsprogramm
für Hilfswerk-Aktivisten, denn auf deren Know-how will man nicht verzichten.
Bis 2008 verdoppelt die SBE
die Zahl ihrer Mitarbeiter auf sechzehn. Gemäss Jahresbericht 2011 haben diese
«Fachleute» seit 1997 über eine halbe Million Bücher, Filme und andere
Unterrichtsmaterialien an Schulen verkauft und 500 Projekte «im Bereich der
Rassismusprävention oder der Menschenrechte» begleitet. Die pädagogischen
Hochschulen (PH), immer offen für «moderne» Themen, tragen die Offensive eifrig
mit. Sie entwickeln BNE-Lehrgänge, oder sie bringen Lehrern in Kursen bei, was
sie gegen den Klimawandel «tun» können. So ist es nur folgerichtig, dass Bund
und EDK 2007 einen 1,5 Millionen Franken teuren Massnahmenplan verabschieden,
mit dem Ziel, BNE im «Lehrplan 21» zu verankern. Nachhaltige Entwicklung sei
«das womöglich zentralste Anliegen unserer Zeit», verkündet EDK-Funktionär
Ambühl.
Die epochale Mission
verlangt nach einer Bündelung der Kräfte: 2012 fusionieren SBE, SUB und die
Schulstelle von Alliance Sud zur Stiftung «éducation 21». Diese betreibt seit
Anfang Jahr ein nationales «Kompetenzzentrum BNE» in Bern. Nach Auskunft von
EDA-Sprecherin Carole Waelti beschäftigt dieses Amt für ökosoziale Bildung 43
Mitarbeiter, die sich dreissig Vollzeitstellen teilen.
De facto handelt es sich um
Staatsangestellte: Die Deza sowie die Bundesämter für Kultur und Gesundheit
schiessen dieses Jahr 4,9 Millionen Franken in das Zentrum ein und tragen damit
die Hauptlast des Budgets. Und es gibt viel zu tun: «Das Kompetenzzentrum wird
die Schulen und pädagogischen Hochschulen bei der Erreichung der
Lehrplan-Ziele unterstützen», sagt EDK-Sprecherin Gabriela Fuchs, «durch
Erarbeitung von Unterrichtshilfen und Unterstützung der pädagogischen
Hochschulen bei der Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte.»
Obwohl «globales Lernen»
angeblich ein universelles Anliegen ist, zieht es vorwiegend Menschen mit
linkem und grünem Gedankengut an. So war der grüne Zürcher Gemeinderat und
PH-Dozent Ueli Nagel federführend in der Entwicklung von BNE-Lehrgängen, und im
Stiftungsrat von «éducation 21» sitzen neben Lehrer- und Kantonsvertretern ausschliesslich
SP-Politiker: die jurassische Regierungsrätin Elisabeth Baume-Schneider und der
Freiburger Nationalrat Jean-François Steiert. Zum «éducation
21»-Mitarbeiterstab gehört die Berner SP-Politikerin Barbara Rödlach, und auch
ihr Chef steht nicht im Ruf, ein «Rechter» zu sein: Zentralsekretär Jürg
Schertenleib, ein ehemals prominenter Funktionär der Flüchtlingshilfe, der 2007
zur SBE wechselte. Während seiner Amtszeit als Flüchtlingshelfer fiel der
Jurist als vehementer Kritiker einer verschärften Ausländer- und Asylpolitik
auf. «Die Menschlichkeit ist weggebrochen», klagte er etwa 2006 nach der
Annahme des neuen Ausländer- und Asylgesetzes. Bis heute präsidiert
Schertenleib die Gruppe Humanrights.ch, die dank Bundesgeldern akribisch Buch
führt über rassistische Vorfälle in der Schweiz. Bei seinem Wechsel zur SBE
diktierte Schertenleib dem Tages-Anzeiger, dass er sein
«Engagement für die Grundrechte der Menschen» nun in die «Bildungspolitik
einbringen» wolle.
Das ist ihm und seinen
Mitstreitern gut gelungen. Die Publikationen und Projekte von «éducation 21» –
nachzulesen im Internet – sind durchtränkt von Hilfswerk-Jargon und rotgrünen
Glaubenssätzen. Der Klimawandel ist «menschengemacht» und kann von nachhaltig
gebildeten Menschen «bekämpft» werden, Multis beuten die Dritte Welt aus, die
Gesellschaft ist latent rassistisch, Bio, Solarenergie und der öffentliche
Verkehr sind gut.
Trotz Versicherungen, dass
BNE-Unterricht «offene Diskussionen» anregen soll, geht es um Belehrung. Dabei
gilt das Motto: Was PH-Dozenten und Hilfswerk-Aktivisten interessant finden,
begeistert auch Schulkinder. So preist «éducation 21» einen Film über ein
Mädchen an, der die Kinder dazu animieren soll, über
«Geschlechtergerechtigkeit» zu diskutieren. Wobei es für die Buben angeblich
besonders «spannend» ist, ihr «Rollenverständnis zu hinterfragen».
Beim Thema «Einwanderung»
werden die Schüler ebenso sanft, aber bestimmt in die richtige Richtung
gelenkt. Bereits Kindergärtler müssen sich «spielerisch» mit «Fragen des
interkulturellen Respekts» auseinandersetzen. Auf Schulstufe gilt es dann,
«Aktivitäten zu erkunden», um «dem Rassismus entgegenzutreten». Daneben
unterstützt «éducation 21» Events wie «Step into Action», an denen Kinder für
Themen wie «Migration» oder – wie am 1. Mai – für «internationale Solidarität»
«sensibilisiert» werden. Wobei für die «Sensibilisierung» Aktivisten von
Amnesty International zuständig sind.
Es verwundert nicht, dass
die Kinder nach solchen Events Bekenntnisse abliefern, die ganz im Sinne ihrer
Erzieher liegen: Sie geloben, die Diskriminierung von Homosexuellen zu
«bekämpfen» oder für weniger Fleisch und mehr «fair» produzierten Kaffee in der
Mensa zu werben. Eine Schulklasse, die im Tessin das Thema «Mobilität»
untersuchte, stellte folgende «Forderungen» auf: Eisenbahntarife senken,
öffentlichen Verkehr fördern, strengere Tempolimiten für Autos.
So viel zum «Geruch von
Ideologie», der sich laut EDK-Generalsekretär Hans Ambühl in Luft aufgelöst
hat. BNE ist in der Lehrerschaft denn auch nicht so beliebt, wie das die EDK
gerne hätte. Hinter vorgehaltener Hand wird über den «modischen Plunder»
geklagt, der einem wieder einmal «von oben» verordnet werde. Der Bieler
Reallehrer und Stadtrat Alain Pichard (Grünliberale) sagt offen, was andere
denken: «Es ist haarsträubend, was da abläuft. Man versucht, kleine Kinder mit
Weltrettungsprosa in bessere Menschen zu verwandeln.» Statt eigenes Denken zu
fördern, vermittelten die «Schreibtischtäter» Glaubenssätze, statt
Forschergeist zu wecken, deckten sie die Kinder mit Arbeitsblättern und Filmen
ein. «Das ist Pädagogik aus dem Mittelalter», sagt Pichard, «todlangweilig,
aber sicher nicht nachhaltig.» Dass der Staat dafür eine Bildungsstelle
finanziert und deren Ziele auch noch im «Lehrplan 21» verankern will, hält der
Lehrer für «höchst fragwürdig».
EDK-Sekretär Hans Ambühl
will sich auf Anfrage der Weltwoche nicht zu «politischen»
Fragen äussern und verweist auf «éducation 21»-Präsidentin Elisabeth
Baume-Schneider. Diese reagiert nicht auf eine Interview-Anfrage. Dafür äussert
sich Beat Zemp, der als Präsident des Schweizer Lehrerverbandes und
Vizepräsident der Stiftung «éducation 21» beide Seiten kennt. Für ihn gehört
BNE heute zu einem «zeitgemässen Unterricht». «Natürlich haben Themen wie
Nachhaltigkeit einen linken Touch», sagt er, «aber gerade deshalb dürfen sie
keinesfalls nur von einem Standpunkt – etwa einem ökologischen – betrachtet
werden.» Vielmehr gelte es, im Unterricht auch «andere Sichtweisen» zu
berücksichtigen, zum Beispiel jene der Wirtschaft. Die Frage, ob BNE diesem
Anspruch in der Praxis gerecht wird, lässt Zemp offen. Aber er sagt: «Es wäre
zu wünschen, dass der Bund die wirtschaftliche Kompetenz der Stiftung
‹éducation 21› stärkt.»
Doch egal, wie viel
Kompetenz dieses selbsternannte «Kompetenzzentrum» noch entwickelt: Hat die
Schule nicht Wichtigeres zu tun, als kleine Aktivisten zu formen und Schulbuben
mit Gender-Fragen zu langweilen? «Die Schule muss sich auf das konzentrieren,
was sie kann, was sie können muss», sagt Alain Pichard. Das Klima retten
gehöre da bestimmt nicht dazu, den Schülern Lesen, Schreiben und Rechnen
beizubringen, dagegen schon. «Das ist zwar nicht alles, aber ohne diese
Fähigkeiten ist alles nichts.»
Pichard erinnert daran,
dass laut der Pisa-Studie fast jeder fünfte Schulabgänger nicht richtig lesen
und schreiben kann: «Wenn die Schule in ihrem Kerngebiet Analphabeten
produziert, erodiert ein Fundament.» Tatsächlich dürfte es ein Schulabgänger
auf dem Arbeitsmarkt auch künftig schwer haben, wenn er weiss, wie man eine
ökologische Pizza bäckt – aber nicht, wie man das Wort «Pizza» schreibt.
Quelle: Weltwoche 21/2013 von Lucien Scherrer
STEP into action (1. Oktober 2013 in Zürich/Spreitenbach, 17. / 18. September in Basel)
AntwortenLöschenFür interessierte Lehrpersonen der 10.-12. Schuljahr: Die Anmeldung erfolgt klassenweise auf www.euforia.ch/anmeldung-step (bis 14. Juli). Wir freuen uns auf zahlreiche Anmeldungen!
Ziel: STEP into action sensibilisiert und begeistert Jugendliche (Gymnasium, Brückenangebote, Berufsfachschulen, 10.-12. Schuljahr) für ein gesellschaftliches Engagement. Die Jugendlichen setzen sich während eines dreistündigen interaktiven Parcours mit aktuellen Herausforderungen in den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Solidarität, Menschenrechte oder Migration auseinander, erkennen ihr eigenes Handlungspotential und entdecken konkrete, lokale Engagementmöglichkeiten