1. März 2013

Nachgefragt: Mariano Tschuor

1. MarianoTschuor, Sie sind Direktor des romanischen Fernsehens und Radios (RTR) und kritisieren die passive Haltung der Regierung in der Frage desRumantsch Grischun. Warum hätten Sie sich eine klarere Führungsrolle gewünscht?
Die sehr starke Gemeindeautonomie im Kanton Graubünden ist historisch gewachsen und macht es der kantonalen Regierung nicht immer einfach, eine jeweils kohärente Politik zu führen. Im Fall der Sprachpolitik manifestiert sich dieses Dilemma ganz besonders. Die Gemeinden entscheiden autonom über ihre jeweilige Amts-, respektive Alphabetisierungssprache. Die Ausgabe von Lehrmitteln wird jedoch vom Kanton verantwortet.
2003 hat der Bündner Grosse Rat beschlossen, ab dem Jahr 2005 romanische Lehrmittel nur noch in Rumantsch Grischun und nicht mehr in den Idiomen zu produzieren. 2010 formierte sich schliesslich die Bewegung Pro Idioms. Diese fordert eine komplette Rückkehr zu den Idiomen als Alphabetisierungssprache in den romanischen Primarschulen. Entgegen der kantonalen Sprachpolitik wurde über dieses Politikum daraufhin in diversen romanischen Gemeinden abgestimmt. Konsequenz: diese Gemeinden kehrten mehrheitlich zu den Idiomen zurück.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Regierung hier federführend die Diskussion geleitet und moderiert und die Entscheide von 2003 weiterhin umgesetzt hätte. Die romanische Sprachwelt besteht in erster Linie aus den Idiomen. Dies ist eine Tatsache. Aber es geht einfach nicht mehr ohne Rumantsch Grischun, das unabdingbar geworden ist, wenn man sich auch an ein romanisches Publikum ausserhalb des eigenen Tales richten möchte.
2. Ist es sinnvoll, dass Romanen gleich viele Fremdsprachen wie die Deutsch- und die Italienischbündner lernen sollen? Können die drei Sprachregionen gleich behandelt werden?
Die drei Sprachregionen Graubündens werden de jure bereits gleich behandelt. Im öffentlichen Leben dieses Kantons ist es jedoch so, dass der deutschen Sprache de facto eine überragende Rolle zukommt. Dies ist schon seit mehreren Jahrhunderten der Fall, auch als Romanisch noch von einer Mehrheit der Bündnerinnen und Bündnern gesprochen wurde.
Heute lernen alle Bündner Primarschüler Englisch als zweite Fremdsprache ab der 5. Primarschulklasse. Die erste Fremdsprache bei den Italienischbündnern ist Deutsch, bei den Deutschbündnern eine andere Kantonssprache, was häufig Italienisch ist. Bei den Rätoromanen ist die erste Fremdsprache natürlich Deutsch, wobei Italienisch von vielen als Freifach auf der Sekundarstufe I belegt wird. Grösste Verliererin in diesem Sprachenangebot ist eigentlich die französische Sprache. In einem dreisprachigen Kanton ist das Fuder halt nolens volens überladen.
3. Wie könnte Ihrer Meinung nach das Romanische in der Schule am besten gefördert werden?
Ich bin nicht Rektor einer Pädagogischen Hochschule, sondern leite ein  Medienhaus. Aus meiner Sicht ist jedoch entscheidend, dass der Romanischunterricht als positives Erlebnis erfahren werden kann. Romanische Grammatik soll gebüffelt werden. Romanische Literatur soll gelesen werden. Vor allem aber soll der Unterricht Spass machen und den Schülern vermitteln können, dass Romanisch kein Hemmschuh ist, sondern ein linguistischer Türöffner und Horizonterweiterer. Man kann mit Romanisch eigentlich nur gewinnen.
4. Sie fordern, dass man „ernsthaft“ über die Schulpolitik nachdenken müsse. Was steht dabei bei Ihnen im Vordergrund? Was muss der nächste Schritt in der Schulpolitik sein?
Die Parallelität von den Idiomen und Rumantsch Grischun soll mit dem Koexistenz-Modell Wirklichkeit werden. Die Bündner Erziehungsdirektion muss sich nun Gedanken darüber machen, wie dieser Kompromiss konkret umgesetzt werden kann. Rumantsch Grischun darf nicht zu einer lästigen Beilage oder Garnitur des Romanischunterrichts werden. Die Lehrer sollen dazu ermutigt und bisweilen gar verpflichtet werden, Rumantsch Grischun nach Augenmass in den Unterricht einzubauen.

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