27. Januar 2012

Informatikunterricht auf dem Holzweg


Im folgenden Artikel kritisiert der ETH-Professor Juraj Hromkovic den Informatikunterricht an unseren Schulen. Er fordert eine Neuausrichtung der Informatik im Lehrplan 21.
Endlich hat es auch ein Politiker offen gesagt. Der britische Bildungsminister Gove nennt den ICT-Unterricht, der auf dem Erlernen des Umganges mit Softwaresystemen wie Word und Excel beruht, einen Mist und verbannt ihn aus der Schule. Stattdessen sollen Programmieren und wissenschaftliche Grundkonzepte der Informatik unterrichtet werden. Die Schweizer Kantone und auch der künftige Lehrplan 21 legen das Schwergewicht noch immer auf den unbefriedigenden Computerführerschein, der keinen nachhaltigen Wissenstransfer, keine Tiefe und keine nennenswerten Beiträge zur allgemeinen Bildung leistet. Und das, obwohl in Ländern mit diesem dürftigen Pseudoinformatikunterricht alle statistischen Untersuchungen zeigen, dass der Unterricht in der blossen Computerhandhabung sowohl von den Schülerinnen und Schülern wie auch von den Lehrpersonen als langweilig und unerwünscht eingestuft wird. 
In Österreich haben bloss zwei Prozent der befragten Jugendlichen einen solchen ICT-Unterricht als nützlich bezeichnet. In Staaten mit fortgeschrittenem Informatikunterricht ist Informatik genauso spannend und herausfordernd wie die Mathematik oder die Naturwissenschaften. Gove betont, dass der bisherige minderwertige ICT-Unterricht einen grossen wirtschaftlichen Schaden zu verantworten hat. Die geringe Begeisterung für ein universitäres Studium der Informatik und der technischen Fächer ist auch dem Fehlkonzept der Schulinformatik zuzuschreiben. Die Türe zum nachhaltigen Informatikunterricht wurde geöffnet. Jetzt muss erklärt werden, welches die wichtigsten Bildungsbeiträge des Informatikunterrichts sein können, und wie sie in der Schule künftig am besten umgesetzt werden.
Es empfiehlt sich, mit dem Programmierunterricht schon im Alter von acht bis zehn Jahren zu beginnen. Welchen Wissenstransfer und welche Kompetenzen kann man in diesem Alter erwarten? Programmieren im engeren Sinn bedeutet, dass man lernt, die Maschine zu steuern. Dabei muss man dem Rechner eine eindeutige und unmissverständliche Beschreibung der gewünschten Tätigkeit mitteilen. So wird in der Schule die Kommunikationsfähigkeit mit Schwerpunkt Exaktheit und Prägnanz stark gefördert.
Programmieren im weiteren Sinn bedeutet, Wege zu Problemlösungen zu suchen. Dabei wird die konstruktive Vorgehensweise geschult. So entdeckt man das Konzept des modularen Entwurfs, der für alle technischen Disziplinen grundlegend ist. Zunächst werden kleine Programme zur Lösung einfacher Aufgaben entworfen, die man Module nennt. Nach Überprüfung ihrer Richtigkeit nutzt man sie als Bausteine, um schwierigere Probleme zu bewältigen. Auf diese Weise gehen die Schülerinnen und Schüler den ganzen Weg von der Problembeschreibung über die Lösungssuche bis zur Herstellung des fertigen Produkts. Dabei lernen sie auch neue Konzepte wie das Testen und das Verifizieren kennen. Das alles sind unumgängliche Voraussetzungen für die Informationsverarbeitung in der Wissensgesellschaft. Sie fördern die rechtzeitige Entwicklung des konstruktiven algorithmischen Denkens.
Auf der Stufe der Maturitätsschulen ist zu klären, was der Informatikunterricht zum Verständnis der Welt beiträgt und wie er der Hochschulreife dient. Es geht hierbei nicht nur darum, zu lernen, die Technik zu verstehen und zu steuern. Mit dem Konzept des Algorithmus (Rechenverfahren) entsteht vielmehr die Möglichkeit, die Problemstellungen in automatisierbare und nichtautomatisierbare zu unterteilen. Eine typische Aufgabenstellung umfasst eine unendliche Vielfalt von Problemfällen. Ein Algorithmus ist eine endliche Beschreibung einer Vorgehensweise, mit der man jeden dieser Problemfälle erfolgreich lösen kann. Es gibt viele praktische Problemstellungen, für die kein Algorithmus existiert. Der wichtigste wissenschaftliche Beitrag der Informatik ist das Konzept der Berechnungskomplexität. Es gibt Grundgesetze der Informatik, die unabhängig von der technischen Entwicklung der Rechner gelten. Für jede Problemstellung gibt es eine unvermeidbare und hinreichende Menge an Rechenarbeit, die man leisten muss, um aus den gegebenen Daten die gewünschte Information oder die gesuchte Lösung zu gewinnen.
Manchmal reicht die Energie des Universums für die Berechnung nicht aus. Solche Probleme gelten als schwer. Die Wissenschaft der Informatik dreht sich hauptsächlich um die Frage, wie viel vom Gewünschten sich in vertretbarer Zeit aus vorgegebenen Daten erhalten lässt. Ohne dieses Wissen kann man heute in vielen Gebieten der technischen und wissenschaftlichen Forschung keinen Erfolg haben.
Es stellt sich nun die Frage, wie viele Bildungspolitikerinnen und -politiker in der Schweiz diese Fehlentwicklung in der Informatikausbildung weiterhin stolz als einen Beitrag zur Bildung verkaufen wollen und ob sie wie bisher im künftigen Lehrplan 21 auf diesem «Mist» aufbauen wollen. Der grösste Gegensatz ist im Kanton Zürich zu beobachten. Einerseits will die Stadt ein zweites Silicon Valley werden, andererseits verweigert die kantonale Bildungsdirektion die Verankerung elementarer Informatikgrundlagen in den Lehrplänen und schwärmt von Konzepten, die immer mehr Länder als Irrtum der Geschichte bezeichnen. Erforderlich ist jetzt eine grundlegende Änderung in der schweizerischen Bildungspolitik.
Quelle: NZZ, 27.1. von Juraj Hromkovic

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