23. April 2017

Schwierige Kinder: Lehrerweiterbildung statt Ritalin

Aufmerksamkeitsdefizit-HyperaktivitätsStörungen (ADHS) erhalten aktuell in Gesellschaft und Politik viel Aufmerksamkeit. Diese Störungen sind verbreitet und beeinträchtigen nicht nur das Lernen, die Leistungen und die Schulkarriere der Kinder. Als Jugendliche und junge Erwachsene kommt es bei vielen Betroffenen zu einer erhöhten Neigung zu Suchtmittelkonsum und Gewalt. Entsprechend können diese Verhaltensstörungen den Eintritt in die Berufstätigkeit erschweren. Nicht zuletzt belasten sie Lehrpersonen im Unterricht. Manchmal werden klinische Diagnosen vorschnell gestellt und die störenden Symptome medikamentös behandelt. Das kann für die Betroffenen und ihren späteren Lebenslauf unabsehbare Konsequenzen haben. Längst nicht in allen Fällen braucht es eine medikamentöse Ritalin-Behandlung. Es gibt pädagogische Massnahmen, um Kinder mit einer Neigung zu ADHS in der Schule zu fördern. 
Pädagogische Lösungen für Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit, Schweiz am Wochenende, 22.4. von Markus Neuenschwander


Wir gehen davon aus, dass sich diese Massnahmen auch bei Kindern mit diagnostizierten ADHS positiv auswirken. Je nachdem, wie die Schule mit solchen Störungen umgeht, lässt sich verhindern, dass Kinder als Störenfriede gelten und in diesem Sinn stigmatisiert werden. 

Weiterbildung auf drei Ebenen 
In der Interventionsstudie «Förderung von Kindern mit Unaufmerksamkeit und Verhaltensauffälligkeiten in der Schule (FOKUS)» bildeten wir, finanziert vom Bundesamt für Gesundheit, Lehrpersonen im ersten und zweiten Schuljahr im Umgang mit «schwierigen» Kindern weiter. In dieser Weiterbildung ging es darum, Lehrpersonen auf drei Ebenen mit Instrumenten im Umgang mit Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit vertraut zu machen. Auf Ebene der Klasse ging es um Vermittlung von Konzepten der Klassenführung: Aspekte wie Klassenregeln, Rituale, die Raumgestaltung, Verbildlichung des Arbeitsplanes standen hier im Zentrum. Auf individueller Ebene ging es um die Vermittlung von kinderzentrierten Massnahmen. Diese umfassten etwa Konzentrationstraining, Bewegungspausen, Einzelarbeit, positive Erwartungshaltung. Auf der dritten Ebene wurde auf die Zusammenarbeit mit den Eltern fokussiert – Formen des Austausches, der Wertschätzung und der Koordination galt es zu entwickeln. Die Weiterbildung wurde in einem Team mit Erziehungswissenschaftern der PH und Primarlehrpersonen mit langjähriger erfolgreicher Praxis erarbeitet und von den Primarlehrpersonen durchgeführt. An der drei Jahre dauernden Studie nahmen 137 Lehrpersonen teil. 

Kinder sind besser integriert 
Die Evaluation der Weiterbildung zeigte, dass die Lehrpersonen danach über höhere Kompetenzen im Umgang mit Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten verfügen und dass sie mit der Situation der Kinder zufriedener waren. Die Kinder waren nach der Weiterbildung der Lehrpersonen in der Klasse sozial besser integriert. Dass der Stand der Integration und die Klassenkomposition bei der Entwicklung der Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität der Kinder ein gewichtiger Faktor ist, zeigen weitere Ergebnisse. Die FOKUS-Studie belegt, dass es möglich ist, durch Lehrpersonen-Weiterbildung und mit pädagogischen Massnahmen die Situation von unaufmerksamen, hyperaktiven und impulsiven Kindern im Regelunterricht der Grundschule zu verbessern und deren schulisches Leistungsvermögen zu fördern. Folgern kann man daraus, dass dadurch indirekt auch eine Prävention gegen Störungen im Jugend- und Erwachsenenalter geleistet werden kann. Die Weiterbildung wird an der Pädagogischen Hochschule FHNW derzeit als regulärer Kurs angeboten. Er ist zudem in das Schulentwicklungsprogramm «Soziales Lernen an Schulen» (SOLE) integriert. Der FOKUSAnsatz wird zukünftig dank einer Kursleiterweiterbildung auch in anderen Pädagogischen Hochschulen der Deutschschweiz vermittelt. Zudem werden in den Studiengängen der Pädagogischen Hochschule FHNW angehende Lehrpersonen mit dem FOKUS-Ansatz vertraut gemacht.

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