Wissen Sie noch, welche Bücher Sie in der Schule gelesen haben?
Wahrscheinlich schon. Auch ehemalige Gymi-Schüler können Jahre später noch
aufsagen, welches Literaturwissen von ihnen an der Maturprüfung verlangt wurde.
Bei mir war es «Das Buch Franza» von Ingeborg Bachmann im Deutschunterricht,
und «Death of a Salesman» von Arthur Miller in der Englischstunde. Filme
hingegen fristen im Klassenzimmer ein Schattendasein. Ich erinnere mich
höchstens noch an «Die zehn Gebote» (1956) im Religionsunterricht mit Waffen-Fanatiker
Charlton Heston als Moses. Und im Französisch-Unterricht gab es zur Belohnung
nach dem Buch die Filmversion von «Au revoir les enfants» (1987). Viel mehr war
da nicht. Wo bleibt die Diskussion um das Unterrichtsmittel «Film» im Lehrplan
21?
Auch im Schulzimmer sollte es heissen: Film ab, Schweiz am Wochenende, 22.4., von Benjamin Weinmann
Für viele Lehrer sind Filme im Vergleich zu Büchern intellektuell
zweitklassig. Dabei könnten Filme das Interesse der Schüler für ein Thema erst
recht wecken. Als ich mir zum ersten Mal den CrimeKlassiker «Bonnie &
Clyde» (1967) mit Warren Beatty und Faye Dunaway ansah, verbrachte ich danach
mehrere Stunden im Internet, um mich über die Hintergründe des notorischen
Verbrecherpaars zu informieren. Auf das eine folgte das andere. Von den
Banküberfällen kam ich zur damaligen Rezession in den USA, der «Great Depression»
der 30er-Jahre. Von da zur amerikanischen Prohibition, und von da wiederum zu
Al Capone und Alcatraz. Weshalb nicht als Erstes «The Imitation Game» (2014)
oder «Saving Private Ryan» (1998) zeigen, bevor man die nächsten zehn Wochen
den Zweiten Weltkrieg didaktisch behandelt. Und zum Schluss eine Reflexion der
Filme von den inzwischen klügeren Schülern einfordern. Inwiefern hat Hollywood
die Geschichte glorifiziert? Welche Aspekte gingen vergessen? So werden sich
die Schüler gleichzeitig bewusst, wie stark die Historie oftmals durch die
Hollywood-Brille betrachtet wird. Oder anstatt dass die Schüler Vorträge über
einzelne Episoden des Holocausts aus Geschichtsbüchern halten, könnten sie
angesehene Filme wie «La vita è bella» (1997) oder «Schindlers Liste» (1993)
präsentieren und historisch einordnen. Auch in Fächern wie Mathematik wäre
manchmal eine Filmlektion angebracht, zum Beispiel mit «A Beautiful Mind»
(2001) über das Zahlen-Genie John Nash. Wobei bei der Filmauswahl, genau so wie
bei den Büchern, Vorsicht geboten ist. Man nehme den Vietnam-Krieg. Sollte den
Schülern nur Chuck-Norris-Filme serviert werden, anstatt kritischer Stoff wie
«Geboren am 4. Juli» (1989) oder «Platoon» (1986), sähen sie die USA wohl als
Gewinner des traurigen Kriegsschauspiels. Auf die Mischung kommt es an. So
erzählte mir ein Kollege, dass seine Klasse im Musikunterricht in erster Linie
die schreckliche Disney-Pop-Trilogie «High School Musical» (2006–2008) schaute.
Da hätte wohl zwischendurch ein bisschen «Amadeus» (1984) gutgetan.
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