4. Juli 2016

Erfolgreiches Unterstützungsprojekt

Mentoren helfen Kindern, denen die Eltern für die Schule zu wenig Unterstützung bieten können. Dies ist der Ansatz des Projekts «Future Kids». Es hat sich bewährt. Trotzdem stellen sich den Beteiligten auch Fragen.
Der damalige Zweitklässler Samir konnte vom Projekt profitieren, Bild: Christoph Ruckstuhl
Lernhilfe von der grossen Schwester, NZZ, 4.7. von Walter Bernet

Samir ist eines von 217 Kindern, die in den letzten gut fünf Jahren vom Projekt «Future Kids» profitiert haben. Die NZZ hat ihm und seiner Mentorin Anna Zeller vor drei Jahren ein Porträt gewidmet. Samir galt als blitzgescheites Kind, das aber von seiner alleinerziehenden Mutter nicht genügend unterstützt werden konnte. Zu Hause sprach man nur Albanisch. So war er ein verschlossener Schüler, der es nie schaffte, seine Aufgaben zu erledigen und seine Siebensachen bereitzuhaben. Schulinterne Unterstützung wie Aufgabenhilfe oder Deutschunterricht brachten ihn nicht voran. Geholfen haben ihm schliesslich die wöchentlichen Hausbesuche der Studentin Anna Zeller, die ihn als «grosse Schwester» in schulischen und organisatorischen Belangen unterstützte. Plötzlich beteiligte er sich am Unterricht – und lachte.
Eine einfache Idee
«Future Kids» ist ein ausserschulisches Angebot der Lern- und Integrationsförderung für Primarschüler. Es wird getragen von der im Migrations- und Integrationsbereich tätigen Zürcher Fachorganisation AOZ, die mit der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) zusammenarbeitet. An seiner Finanzierung beteiligen sich neben verschiedenen privaten Einrichtungen auch das Volksschulamt und die Stadt Zürich. Nach Anfängen an drei Quims-Schulen in der Stadt Zürich und in Oberglatt hat das Projekt einem Thurgauer Ableger Geburtshilfe geleistet und dieses Jahr auch nach Schlieren expandiert. Auf der Warteliste stünden 15 weitere Schulen. Eine weitere Ausweitung hängt aber vor allem von den finanziellen Mitteln ab.
Die Idee des Projekts ist einfach, aber wirksam, wie sich in einer Evaluation durch das Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich vom Herbst 2013 zeigte. Studierende helfen ausgewählten Primarschulkindern, die mangels Unterstützung von zu Hause in der Schule nicht so gut reüssieren, wie man es von ihnen erwarten könnte. Sie besuchen ihre Schützlinge wöchentlich über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr und helfen ihnen beim Entwickeln eigener Lernstrategien. Jeder Besuch wird auf einer für ihren pädagogischen Coach und die Lehrerin einsehbaren Plattform dokumentiert. So sollen vor allem die Lernmotivation und das Selbstbewusstsein der Kinder gestärkt werden. Die bisher 308 speziell geschulten Studierenden der Uni, der ETH und der PH ihrerseits erhalten einen Einblick in völlig andere Lebensrealitäten und können wertvolle pädagogische Erfahrungen sammeln. An der PHZH gibt es dafür auch ECTS-Kreditpunkte.
In der Folge der Evaluation sind verschiedene Verbesserungen des Projekts eingeleitet worden. So wurde der Akzent stärker auf Förderung der Motivation und auf überfachliche Ziele gelegt und der Austausch zwischen Mentorinnen und Klassenlehrerinnen sowie zwischen Schule und AOZ verbessert. Zu Diskussionen hat auch die Stellung des Projekts als ausserschulisches Angebot geführt. Ist der Ausgleich von Benachteiligung in der Bildung nicht eine schulische Aufgabe? Ist ein Projekt wie «Future Kids» eine Hilfe bei der Bewältigung eines aktuellen Problems, oder können solche Kooperationen von Schule und anderen Einrichtungen ein generelles Modell für die Zukunft sein und Beispiel machen?
Solchen Fragen haben sich kürzlich rund 40 Beteiligte aus dem weiteren Umfeld des Projekts im Rahmen eines Fachaustauschs an der PHZH gestellt. Aus der Fülle der Beobachtungen und Anregungen können hier nur einige wenige herausgepickt werden. So haben die Autorinnen eines Berichts über die Befragung von 15 beteiligten Kindern festgestellt, dass Erfolg einen langen Atem – in der Regel dauert die Begleitung zwei Jahre – voraussetzt. Zentral ist die Beziehung zwischen Mentor und Kind. Wenn Mentoren ihre Schützlinge als ganze Menschen und nicht als Schüler mit Defiziten wahrnehmen, können sie mehr bewirken. Wichtig ist eine lockere, abwechslungsreiche und trotzdem zielgerichtete Gestaltung der Besuche. Anschaulichkeit und Spass fördern die Motivation, und wenn hin und wieder ein Wissensvorsprung vermittelt wird, fühlen sich die Kinder in der Schule sicherer und selbstbewusster.
Spannungsfelder
Bereits diese Hinweise zeigen, dass solche Mentorate anspruchsvoll sind. Zu den Spannungsfeldern, in die sie geraten können, gehören etwa unterschiedliche Einschätzungen eines Kindes durch Lehrpersonen und Mentor. «Sie hat mich nie aufgegeben», lobte ein Kind seine Mentorin, die sich gegen Widerstand für die Fortsetzung der Besuche eingesetzt hatte. Der Umgang mit Geheimnissen oder mit Erkenntnissen aus der Stellung als Vertrauensperson des Kindes – etwa Alkoholismus in der Familie – kann zur Belastung werden.
Manchmal problematisch ist auch die Auswahl der Kinder. Ist ein Kind nicht besser bei der Heilpädagogin aufgehoben? Oder reicht die Aufgabenhilfe in der Schule aus? Da kommen sich schulische und ausserschulische Förderangebote mitunter in die Quere. Während Eltern in der Regel sehr dankbar für die Entlastung sind (aber nicht immer bereit zur angemessenen Mitwirkung), ist es für die Lehrkräfte anspruchsvoll und manchmal belastend, den Überblick zu wahren. In Oberglatt wird deshalb die Zahl der «Future Kids» pro Klasse auf zwei oder drei beschränkt.

Und schliesslich stellt sich auch hier die Frage, was noch Aufgabe der Schule sein kann und was auf verschiedene Schultern verteilt werden muss. Gerade das Projekt «Future Kids» biete Gelegenheit, in einem Bildungsraum, in dem ganz unterschiedliche Kinder an ganz verschiedenen Arten von formaler und informeller Bildung teilhaben, eine pragmatische Zusammenarbeit im gemeinsamen Interesse zu erproben, lautet ein Fazit.

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