25. April 2015

Da staunt Hollande

Als der französische Präsident François Hollande die Schweiz besuchte, wollte er von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga wissen, in welcher Sprache sich der Bundesrat unterhalte. Sommarugas Schilderungin der Radiosendung «Focus» nach war Hollande offenbar ganz schön erstaunt, dass an den Sitzungen jedes Regierungsmitglied seine Muttersprache spricht – und ihn die anderen verstehen müssen. Letzteres sei Voraussetzung, um Bundesrätin zu werden, erklärte ihm Sommaruga.







Die polyglotten Helvetier beeindrucken ausländische Gäste, Bild: Keystone

Französisch für Fortgeschrittene, Politblog Tages Anzeiger, 24.4. von Martin Wilhelm





Es ist das ideale Bild von der mehrsprachigen Schweiz, das der Bundesrat da abgibt. In der Debatte um den Fremdsprachenunterricht herrscht derweil aber ähnlich grosse Verwirrung wie in der durchschnittlichen Französischstunde. Schuld daran trägt die Politik, die drei ganz verschiedene Fragen unglücklich miteinander verknüpft hat:

1. Ab wann lernen Schüler eine erste Fremdsprache? Lange begann der Französischunterricht in den Deutschschweizer Kantonen in der fünften oder sechsten Klasse, später kam der Englischunterricht dazu. Heute wird die erste Fremdsprache ab dem 3. Schuljahr, die zweite spätestens ab dem 5. Schuljahr unterrichtet. Wer Studien zum Thema liest und mit Lehrern spricht, kommt zum Schluss, dass der frühe Fremdsprachenunterricht keine Vorteile bietet. Wenn Christoph Eymann, Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz, Bestrebungen zur Abschaffung des Frühfranzösisch mit der Begründung ablehnt, es gehe «um den Zusammenhalt unseres viersprachigen Landes», dann geht es ihm offensichtlich nicht um das für das Erlernen einer Fremdsprache ideale Alter, sondern um die folgende Frage.

2. Welche Fremdsprache lernen die Schüler zuerst? Dies ist die Mutter aller Sprachenstreitfragen. Als einige Deutschschweizer Kantone Ende der 90er-Jahre Frühenglisch einführen wollten, um den Nachwuchs besser auf die globalisierte Welt vorzubereiten, war der Aufschrei in der nationalen Politik gross. Damals wie heute bleibt die angeführte staatspolitische Bedeutung aber vage. Geht man davon aus, dass der Beitrag des Fremdsprachenunterrichts an den Zusammenhalt unseres Landes darin liegt, dass sich die Menschen über die Sprachgrenzen hinweg verständigen können, ist die tatsächliche Sprachbeherrschung am Ende der Schule das Entscheidende. Lässt sich der gewünschte Stand mit einem späteren Beginn erreichen, ist die Rolle der ersten Fremdsprache nur ein symbolische.
3. Wer entscheidet darüber? Zu einem kaum entwirrbaren Knäuel wurde die Sprachenfrage durch die Reform der Bildungsverfassung von 2006. Weil man die Schulsysteme harmonisieren, vordergründig aber nicht an der Bildungshoheit der Kantone rütteln wollte, verpflichteten Parlament und Volk die Kantone zur Harmonisierung und ermächtigten den Bund, diese wenn nötig zu erzwingen. Die ganze Bestimmung ist allerdings so offen gehalten, dass es heute eine Frage für Rechtsprofessoren ist, ob die Kantone befugt sind, sich aus dem Fremdsprachenkompromiss wieder zu verabschieden, oder ob ihnen der Bund umgekehrt Frühfranzösisch vorschreiben dürfte, so wie das Bundesrat Alain Berset androhte. Während der St. Galler Staatsrechtsprofessor Bernhard Ehrenzeller eine Harmonisierungspflicht sieht, kann sein Freiburger Kollege Bernhard Waldmann eine solche nicht erkennen. Die Frage dürfte früher oder später vor dem Bundesgericht landen – auch wenn Parlament und Volk die Frage besser selber geklärt hätten.

Was ist zu tun? Gesucht sind Vorschläge zur Entwirrung der Debatte. Zu klären wäre zunächst, ob die Kantone gleichzeitig mit dem Fremdsprachenunterricht in den gleichen Sprachen beginnen sollen. Wenn ja, müsste man sich wohl darauf einigen, eine der Fremdsprachen auf die Oberstufe zu verschieben – oder alternativ mit beiden Fremdsprachen in der fünften oder in der sechsten Klasse gleichzeitig zu beginnen. Wenn man mit einer der beiden Sprachen früher beginnen will, müsste man sorgfältig klären, ob es sinnvoller ist, mit Englisch oder mit Französisch zu beginnen. Interessant wäre schliesslich zu wissen: Begeistern sich die Schüler für Französisch eher, wenn sie noch jünger sind?


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