28. März 2021

Sozialer Ausgleich mit neuer Schülerzuteilung auf Schulhäuser

Wo ein Kind zur Schule geht, beeinflusst sein späteres Leben. Statistiken belegen, dass Kinder aus Schulen mit hohem Anteil an fremdsprachigen und bildungsfernen Eltern deutlich weniger Schulerfolg haben. Seit Jahren schon befasst sich Oliver Dlabac vom Zentrum für Demokratie Aarau mit diesen Effekten. Nun legt er eine neue und umfassende Studie vor. «Unsere Analysen ­bestätigen, dass in der Schweiz dasselbe Kind je nach Zusammensetzung der besuchten Schule unterschiedliche Chancen auf Schulerfolg und in der weiteren persönlichen und beruflichen Entwicklung hat», ist sein Fazit.

Schulen besser durchmischen, NZZaS, 28.3. von René Donzé

Der Unterschied im Lernstand beträgt am Ende der obligatorischen Schulzeit bis zu ein Jahr. Und da die Schulen heute die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in der unmittelbaren Umgebung abbilden, haben Kinder in bestimmten Quartieren per se schlechtere Chancen. Was in Zürich etwa in Schwamendingen oder in der Grünau der Fall ist, zeigt sich in Bern in den Quartieren Bethlehem und Bümpliz. Das ist die schlechte Nachricht.

Erfahrungen sammeln

Die gute ist: Mit einer intelligenteren Zuteilung der Kinder zu den Schulhäusern lassen sich solche Unterschiede verkleinern. Dafür haben Dlabac und sein Team einen Algorithmus entwickelt. Während heute in der Regel die Kinder dem nächsten Schulhaus zugeteilt werden, verwendet das Programm soziale Kriterien, um eine gute Durchmischung zu ­erreichen: Bildungsstand der Eltern, Einkommen und Fremdsprachigkeit. Die Studie zeigt: Die soziale Belastung liesse sich in vielen Schulhäusern problemlos senken, ohne dass sie an anderen Orten übermässig zunimmt. «Es ist ohne weiteres eine Reduktion des Anteils benachteiligter Schüler um fünf bis zehn Prozent zu erreichen», sagt Dlabac.

Nun wollen die Städte Bern und Uster (ZH) sowie zwei Schulkreise in der Stadt Zürich (Waidberg, Uto) das System testen. «Der Ansatz ist interessant, die Umsetzung in der Praxis aber komplex», sagt Zürichs Stadtrat und Schulvorsteher Filippo Leutenegger (fdp.). Er begrüsst einen Versuch, um Erfahrungen zu sammeln. Seine grüne Berner Kollegin Franziska Teuscher sieht Handlungsbedarf bei der Durchmischung: «Es geht uns um mehr Chancengerechtigkeit. Wir sind am Programm interessiert, weil es einen Beitrag dazu leisten kann.»

Noch sind die Beschlüsse nicht definitiv. In Zürich muss die Zentralschulpflege die Finanzierung bewilligen. In Bern befasst sich eine Arbeitsgruppe mit dem Thema. In Uster hingegen haben die Primarschulpflege und der Stadtrat bereits entschieden. «Wir wollen einen Vergleich zur bisherigen Praxis herstellen», sagt Stadträtin Patricia Bernet (sp.). Die Tests mit dem Computerprogramm haben in den Städten bereits begonnen, eine Einführung wäre ab 2022 möglich.

Eine Verteilung von Schülern nach sozialem Status ist nicht ohne Brisanz. Das stellen auch die angefragten Schulpräsidentinnen und -präsidenten fest. Im Stadtzürcher Schulkreis Waidberg etwa leben viele Akademiker und Expats. Der Druck, die Kinder ans Gymnasium zu bringen, ist dort gross. Die Platzierung zusätzlicher Kinder aus bildungsfernen Familien in einzelnen Klassen könnte auf Skepsis stossen. Schulpräsidentin Gabriela Rothenfluh aber ist überzeugt, dass eine bessere Durchmischung nur Vorteile bringt, etwa für die Sozialkompetenz der Kinder. «Ich erwarte jedoch keine allzu grossen Verschiebungen, da die Bevölkerung in unserem Schulkreis in den ­einzelnen Quartieren ziemlich homogen ist», sagt sie.

Gymiquoten angleichen

Grösser sind die Unterschiede im Schulkreis Uto. Schulpräsident Roberto Rodriguez sagt, dass man schon heute bei der Schulzuteilung soziale Aspekte berücksichtige. «Allerdings machen wir das diskret im Hintergrund.» Ein Programm könnte das Verfahren objektivieren und effizienter machen. «Es wäre schön, wenn sich so die Gymiquoten zwischen den Schulen etwas angleichen liessen», sagt Rodriguez. Vera Lang Temperli, Schulpräsidentin des Kreises Glatttal, hat sich gegen den Versuch entschieden. Sie zweifelt daran, dass die Resultate von allen Eltern akzeptiert würden, und fragt: «Lassen sich die Zuteilungen im Rekursfall auch rechtsgenügend begründen?»

Studienleiter Oliver Dlabac betont, dass das Programm dafür sorgt, dass keine Kinder quer durch den Schulkreis verlegt würden. Die Länge der Schulwege entspreche den gültigen Vorgaben. Es soll auch nicht zur Entwurzelung einzelner Kinder kommen. «In der Regel werden ganze Strassenzüge miteinander einem anderen Schulhaus zugeordnet», erklärt er. Und er betont, dass ein Anstieg der Zahl fremdsprachiger Kinder oder von Kindern aus bildungsfernen Familien keinen negativen Einfluss auf die Schulleistungen der anderen Schüler habe. Erst ab einem Anteil von über einem Drittel komme es zum sogenannten Kippeffekt. «Genau das können wir mit dem Programm ja verhindern», sagt er.

 

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