Wo ein Kind zur Schule geht, beeinflusst sein späteres Leben. Statistiken belegen, dass Kinder aus Schulen mit hohem Anteil an fremdsprachigen und bildungsfernen Eltern deutlich weniger Schulerfolg haben. Seit Jahren schon befasst sich Oliver Dlabac vom Zentrum für Demokratie Aarau mit diesen Effekten. Nun legt er eine neue und umfassende Studie vor. «Unsere Analysen bestätigen, dass in der Schweiz dasselbe Kind je nach Zusammensetzung der besuchten Schule unterschiedliche Chancen auf Schulerfolg und in der weiteren persönlichen und beruflichen Entwicklung hat», ist sein Fazit.
Schulen besser durchmischen, NZZaS, 28.3. von René Donzé
Der Unterschied im
Lernstand beträgt am Ende der obligatorischen Schulzeit bis zu ein Jahr. Und da
die Schulen heute die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in der unmittelbaren
Umgebung abbilden, haben Kinder in bestimmten Quartieren per se schlechtere
Chancen. Was in Zürich etwa in Schwamendingen oder in der Grünau der Fall ist,
zeigt sich in Bern in den Quartieren Bethlehem und Bümpliz. Das ist die
schlechte Nachricht.
Erfahrungen sammeln
Die gute ist: Mit
einer intelligenteren Zuteilung der Kinder zu den Schulhäusern lassen sich
solche Unterschiede verkleinern. Dafür haben Dlabac und sein Team einen
Algorithmus entwickelt. Während heute in der Regel die Kinder dem nächsten
Schulhaus zugeteilt werden, verwendet das Programm soziale Kriterien, um eine
gute Durchmischung zu erreichen: Bildungsstand der Eltern, Einkommen und
Fremdsprachigkeit. Die Studie zeigt: Die soziale Belastung liesse sich in
vielen Schulhäusern problemlos senken, ohne dass sie an anderen Orten
übermässig zunimmt. «Es ist ohne weiteres eine Reduktion des Anteils
benachteiligter Schüler um fünf bis zehn Prozent zu erreichen», sagt Dlabac.
Nun wollen die Städte
Bern und Uster (ZH) sowie zwei Schulkreise in der Stadt Zürich (Waidberg, Uto)
das System testen. «Der Ansatz ist interessant, die Umsetzung in der Praxis
aber komplex», sagt Zürichs Stadtrat und Schulvorsteher Filippo Leutenegger
(fdp.). Er begrüsst einen Versuch, um Erfahrungen zu sammeln. Seine grüne
Berner Kollegin Franziska Teuscher sieht Handlungsbedarf bei der Durchmischung:
«Es geht uns um mehr Chancengerechtigkeit. Wir sind am Programm interessiert,
weil es einen Beitrag dazu leisten kann.»
Noch sind die
Beschlüsse nicht definitiv. In Zürich muss die Zentralschulpflege die
Finanzierung bewilligen. In Bern befasst sich eine Arbeitsgruppe mit dem Thema.
In Uster hingegen haben die Primarschulpflege und der Stadtrat bereits
entschieden. «Wir wollen einen Vergleich zur bisherigen Praxis herstellen»,
sagt Stadträtin Patricia Bernet (sp.). Die Tests mit dem Computerprogramm haben
in den Städten bereits begonnen, eine Einführung wäre ab 2022 möglich.
Eine Verteilung von
Schülern nach sozialem Status ist nicht ohne Brisanz. Das stellen auch die
angefragten Schulpräsidentinnen und -präsidenten fest. Im Stadtzürcher
Schulkreis Waidberg etwa leben viele Akademiker und Expats. Der Druck, die
Kinder ans Gymnasium zu bringen, ist dort gross. Die Platzierung zusätzlicher
Kinder aus bildungsfernen Familien in einzelnen Klassen könnte auf Skepsis
stossen. Schulpräsidentin Gabriela Rothenfluh aber ist überzeugt, dass eine
bessere Durchmischung nur Vorteile bringt, etwa für die Sozialkompetenz der
Kinder. «Ich erwarte jedoch keine allzu grossen Verschiebungen, da die
Bevölkerung in unserem Schulkreis in den einzelnen Quartieren ziemlich homogen
ist», sagt sie.
Gymiquoten angleichen
Grösser sind die
Unterschiede im Schulkreis Uto. Schulpräsident Roberto Rodriguez sagt, dass man
schon heute bei der Schulzuteilung soziale Aspekte berücksichtige. «Allerdings
machen wir das diskret im Hintergrund.» Ein Programm könnte das Verfahren
objektivieren und effizienter machen. «Es wäre schön, wenn sich so die
Gymiquoten zwischen den Schulen etwas angleichen liessen», sagt Rodriguez. Vera
Lang Temperli, Schulpräsidentin des Kreises Glatttal, hat sich gegen den
Versuch entschieden. Sie zweifelt daran, dass die Resultate von allen Eltern
akzeptiert würden, und fragt: «Lassen sich die Zuteilungen im Rekursfall auch
rechtsgenügend begründen?»
Studienleiter Oliver
Dlabac betont, dass das Programm dafür sorgt, dass keine Kinder quer durch den
Schulkreis verlegt würden. Die Länge der Schulwege entspreche den gültigen
Vorgaben. Es soll auch nicht zur Entwurzelung einzelner Kinder kommen. «In der
Regel werden ganze Strassenzüge miteinander einem anderen Schulhaus
zugeordnet», erklärt er. Und er betont, dass ein Anstieg der Zahl
fremdsprachiger Kinder oder von Kindern aus bildungsfernen Familien keinen
negativen Einfluss auf die Schulleistungen der anderen Schüler habe. Erst ab
einem Anteil von über einem Drittel komme es zum sogenannten Kippeffekt. «Genau
das können wir mit dem Programm ja verhindern», sagt er.
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