21. Februar 2021

"Ich bin diesem Lehrer herzlich dankbar"

Liebe Samantha

100000 Franken Steuergeld für deine obligatorische Schulzeit, das findest du viel? Lohnt sich doch, oder nicht? Die Schule steigt ja zum nationalen Standortvorteil Nummer 1 auf. Bildung, unsere einzige Ressource! Der Schöpfergott hat uns ein hübsches Panorama gebastelt – doch nichts darunter versteckt, oje oder Gott sei Dank, jetzt können wir uns nur selber helfen. Mit Schulung, wie sonst? So gerät jede Pisa-Studie zum Generalcheck helvetischer Zukunfts(un)fähigkeit: Mist, die Südkoreaner sind wieder besser im Rechnen, die Norweger im Lesen! Wer ist schuld – die Lehrer, die Politik, die Wellness-Pädagogik? Da muss etwas passieren. Sonst werden wir abgehängt. Am Ende liegen wir erneut hinter den Österreichern zurück. 

Meine Schule damals? Schluss mit lustig, fertig Kindheit! Südostschweiz, 20.2. von Ludwig Hasler

Meine Schule damals? War jedenfalls kein Treibhaus für Zukunft. Eher eine Art Kinderrekrutenschule, ein Exerzierplatz für angepasste Gegenwartsfähigkeit. Auf Fotos sehe ich, wie 37 Kinder artig in den Bänken sitzen, die Blicke ernst, keine Extravaganz, kein individuelles Gefuchtel, der Rohrstock des Lehrers an der Wandtafel. Schule hiess: Schluss mit lustig. Fertig Kindheit. Es begann das geordnete Erwachsenwerden: Stillsitzen, Mundhalten, Strafaufgaben. Lesen, schreiben, rechnen. Half alles nichts, falls das Betragen zu tadeln gab. 

In der 5. Klasse hatte ich einen Lehrer, der war richtig militärisch drauf. Beim Turnen ging es zu wie später in der RS: links – rechts, links – rechts! Rechtsumm kehrrrt! Keine Zukunftsmusik. Wir waren Nachwuchs, keine Zukunftsversprechen. Der Nachwuchs hatte nur einen Zweck: nachwachsen, hineinwachsen in die Rolle der Erwachsenen. Später in die Fussstapfen der Älteren treten. Tja, die Welt wirkte halt noch recht statisch, nicht so unruhig dynamisch wie heute. 

Im Schulzimmer war Üben angesagt. Derselbe Lehrer rief mehrmals am Tag in die Klasse: «Ein Blatt Papier! Grösse einer Jasskarte!» Dann Kopfrechnen.8 mal 13, minus 32, geteilt durch 8. Und so weiter. Das Resultat aufs Blatt. Vor dem Mittag: Wortschatz üben, nach dem Lehrbuch «Klipp und klar. Träf und wahr». Der Lehrer rief: «schön!» Die Klasse schrie: «schmuck!» Sogenannte Synonyme. Sinn- und sachverwandte Wörter. Wortschatz mehren. 

Nun wird es Zeit zu sagen: Ich bin diesem Lehrer herzlich dankbar. Ich habe gar viel bei ihm gelernt. Vor allem: Leben heisst üben. Nicht: wissen. Sondern Wissen aneignen, zu eigen machen. Rückblickend lässt sich manches vermissen: Fantasie wecken? Kreativkräfte stärken? Fehlanzeige. Üben jedoch, das kann ich noch heute. Non scholae, sed vitae… 

Zu deinem Leben, Samantha. Was ist von der 100000-Franken-Volksschule geblieben?

Ludwig

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