Neue Erkenntnisse aus der Hirnforschung zeigen, dass Kinder, welche von Hand schreiben, mehr lernen und das Gelernte besser speichern können. Gleichzeitig setzen wir in der Schule mehr und mehr auf digitalen Unterricht, welcher das Schreiben von Hand verdrängt.
Audrey van der Meer: «Handschrift braucht mehr Zeit und ist anstrengender, aber es ist wichtig, dass die Kinder da durchgehen.» Photo: NTNU / Microsoft
Warum von Hand schreiben die Kinder gescheiter macht, Urs Kalberer, 25.11.
Ergebnisse mehrerer Studien haben gezeigt, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene beim Schreiben von Hand mehr lernen und sich besser daran erinnern.
Jetzt bestätigt eine aktuelle Studie diese Befunde. Audrey
van der Meer von der norwegischen technisch-naturwissenschaftlichen Universität
in Trondheim (NTNU) veröffentlichte eine Arbeit, bei der sie die Gehirnaktivität
bei zwölf jungen Erwachsenen und zwölf Kindern untersuchte. Dies ist das erste
Mal, dass Kinder an einer solchen Studie teilnahmen.
Die Ergebnisse zeigen, dass das Gehirn sowohl bei jungen
Erwachsenen als auch bei Kindern beim Schreiben von Hand viel aktiver ist als
beim Tippen auf einer Tastatur. «Die Verwendung von Stift und Papier gibt dem
Gehirn mehr 'Haken', an denen sie ihre Erinnerungen festhalten können», sagt
van der Meer. Das Schreiben von Hand ist sehr sinnlich: Wir halten den Stift in
den Händen, bewegen diese, riechen die Tinte, sehen wie sich ein Wort auf dem
Papier bildet und hören, wie der Stift übers Papier gleitet. Dieser ganze
Prozess öffnet unser Gehirn und macht den Schreibprozess nachhaltiger, weil
verschiedenste Areale des Gehirns aktiviert werden.
Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass die
Handschrift Qualitäten besitzt, welche von der Tastatur nicht erreicht werden.
Mal abgesehen von der Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit eines
handgeschriebenen Texts, geht es beim Schreiben auch ums Lernen und Memorieren.
Studien zeigen, dass Studenten, die in der Vorlesung ein
handschriftliches Skript verfassen, den Inhalt der Veranstaltung besser
behalten als diejenigen, die mit ihrem Laptop arbeiten.
Tippen und
klicken nimmt immer mehr Zeit der Kinder und Jugendlichen in Anspruch, Bild:
NTNU/Microsoft
Van der Meer befürchtet, dass wir die Fähigkeit, von Hand zu schreiben verlieren könnten. Die heutige digitale Realität ist, dass Tippen, Wischen und Bildschirmzeit einen grossen Teil des Alltags von Kindern und Jugendlichen ausmacht.
In der Schweiz besitzen 99 Prozent der 12 –
19 Jährigen ein eigenes Handy, welches sie wochentags während 2,5 Stunden und
am Wochenende während 3 Stunden nutzen. Dazu besitzen 73 Prozent noch einen
eigenen Computer/Laptop. (Zahlen: James-Studie, 2018). Zu diesen beiden hohen
Werten kommt nun zusätzlich ein steigender Anteil von Bildschirmzeit an den
Schulen.
Der Lehrplan 21 sieht bereits im 1. Zyklus
(Kindergarten bis 2. Primar) vor, dass die Kinder «mit den grundlegenden
Elementen der Bedienungsoberfläche eines Textprogramms umgehen» können. In der
Debatte über Handschrift oder Tastaturgebrauch in der Schule glauben einige
Lehrer, dass Tastaturen weniger Frustration für Kinder verursachen. Sie weisen
darauf hin, dass Kinder längere Texte früher schreiben könnten und grundsätzlich
motivierter zum Schreiben seien. Ausserdem sei das Schreiben mit Tastatur
weniger ermüdend. Demgegenüber betont van der Meer die Wichtigkeit, dass Kinder
die anstrengende Phase des Lernens von Hand durchlaufen. Die komplizierten
Handbewegungen und die Formgebung von Buchstaben seien in mehrfacher Hinsicht
von Vorteil. Und der Philosoph Liessmann doppelt nach: Abschreckende
Kulturtechniken wie die Handschrift würden auf das vordergründig Funktionale
reduziert. Dies werde erkauft mit dem Verzicht auf die Möglichkeit, souverän
über unterschiedliche Techniken des Erzeugens und Lesens von Texten zu
verfügen. Für die Schule kann dies nur heissen: Stärkung der Handschrift in der
Primarschule und vermehrter Einsatz der Schreibtastatur erst ab der Sekundarstufe.
Quellen:
Eva Ose Askvik, F. R. (Ruud) van der Weel, Audrey L. H. van der Meer. The Importance of Cursive Handwriting Over Typewriting for Learning in the Classroom: A High-Density EEG Study of 12-Year-Old Children and Young Adults. Frontiers in Psychology, 2020; 11 DOI: 10.3389/fpsyg.2020.01810
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