17. Oktober 2020

Nur ja keine Schulschliessungen

Die Fallzahlen steigen, die Nervosität auch. Prompt ist wieder von Schulschliessungen die Rede. Der Epidemiologe Marcel Tanner, der auch Mitglied der Covid-Task-Force ist, empfahl am Donnerstagmorgen in einem Interview mit dem Schweizer Radio SRF, von der Mittelschule an aufwärts wieder verstärkt auf Online-Unterricht zu setzen.

Lasst die Schulen offen, NZZ, 16.10. von Ruth Fulterer

Selbst wenn dies aus epidemiologischer Sicht sinnvoll sein mag, eine Rückkehr zum Homeschooling hätte für die Betroffenen schwere Konsequenzen. Kinder und ihre Eltern haben in den vergangenen Monaten schon über die Massen an der Krise gelitten, während sich Schulen nicht als Corona-Hotspots erwiesen haben.

Kinder lernen zu Hause weniger

Im Lockdown hat sich nämlich gezeigt: In der Schule lernen Kinder besser. Zu Hause Lernvideos anschauen und Arbeitsblätter ausfüllen ersetzt den Präsenzunterricht nicht. Das gilt ganz besonders für Kinder, die sich schwer damit tun, sich zu konzentrieren. Wenn den Eltern die Zeit oder das Wissen fehlt, um ihre Kinder zu unterstützen, fallen diese zurück.

Bei guten Schülern mag es kein Drama sein, wenn sie einige Monate lang weniger lernen. Doch für manche Kinder geht es darum, bei Grundkompetenzen nicht den Anschluss zu verlieren und dadurch dauerhaft benachteiligt zu werden. Schulschliessungen treffen jene am härtesten, die es sowieso schon schwer haben.

Schulen sind keine offensichtlichen Ansteckungsherde

Dazu kommt: Aus epidemiologischer Sicht ist noch nicht geklärt, wie relevant Schulen in der Verbreitung des Virus sind. Anders als anfangs vermutet, stecken sich zwar auch Kinder oft an. Doch eine Untersuchung an Zürcher Schulen zeigt, dass diese zumindest bisher nicht zu Infektionsherden geworden sind.

Ganz anders sieht die Evidenz bei Partys aus, privat oder in Klubs, die immer wieder zu Superspreader-Events wurden. In solchen Fällen ist zudem das Tracing aufwendiger. Klassen oder Kohorten unter Quarantäne zu stellen, geht einfacher, als tagelang Partygästen nachzutelefonieren.

Überforderung unter berufstätigen Eltern

In Deutschland beobachteten Forscher mit Erstaunen, dass Schulöffnungen sogar mit verringerten Fallzahlen im jeweiligen Bundesland einhergingen. Die Forscher sehen eine mögliche Erklärung darin, dass sich Eltern besonders vorsichtig verhielten, weil ihnen vor neuen Schulschliessungen graut.

Wer Eltern kennt oder selber Kinder hat, den dürfte das nicht überraschen. Es ist keine einfache Aufgabe, im Home-Office nebenbei die Kinder bei Laune halten zu müssen oder jemanden zu finden, der die Betreuung für sie übernimmt. Weiterarbeiten wie sonst war für viele schlicht unmöglich.

Besonders Mütter litten unter der zusätzlichen Belastung. Weibliche Forscherinnen veröffentlichten während der Schulschliessungen im Schnitt bedeutend weniger Fachartikel als in vergangenen Jahren. Die volkswirtschaftlichen Kosten elterlicher Überforderung sind zwar noch nicht errechnet, aber sie sind real. 

Schulen sollten als Letzte drankommen

Wenn so vieles gegen Schulschliessungen spricht, warum ist so schnell wieder die Rede davon? Vielleicht weil ihre Kosten langfristig und dadurch schwer zu beziffern sind. Vielleicht, weil man Schulschliessungen leichter von oben verordnen kann. Und vielleicht auch, weil Medien mehr über Quarantänen in Schulen berichten als über Infektionen im Büro.

Es ist gut möglich, dass wir uns bald wieder mehr einschränken müssen, als uns allen lieb ist. Das aber sollten wir mit Massnahmen tun, die bei vertretbaren Kosten möglichst viel nützen: Abstand halten, Masken tragen, Corona-App installieren, Partys absagen, im Home-Office bleiben. Die Kinder hingegen sollten als Allerletzte für die Nachlässigkeiten der vergangenen Monate bezahlen.

 

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