13. August 2020

Wege aus der sprachlichen Genderdiskussion

«Warum stellen Sie so polemische Fragen», echauffiert sich die Chefin eines Gleichstellungsbüros gegenüber der Journalistin. Da kommt also eine Journalistin zum Interview, die nicht schon von vornherein an die segensbringende Wirkung von Gendersprache, Quotenregelungen und Gleichstellungsbüros glaubt. Die Journalistin glaubt vielmehr, dass der faire Wettbewerb ein gerechtes Prinzip sei.

Wer fragt, gewinnt: Auswege aus endlosen Gender-Diskussionen, NZZ, 13.8. von Claudia Wirz

Ja sie findet, wenn jemand – egal, ob Mann oder Frau – plötzlich gleicher ist als die anderen, ist dies ein Problem. Die Journalistin ist sich bewusst, dass sie im Zeitalter von «Diversity» damit etwas démodée daherkommt; aber sie glaubt an die Gültigkeit freiheitlicher Ideen auch heute.


Mann oder Zebra

Die Journalistin ist aber nicht gekommen, um mit der Chefin eine Kontroverse zu führen. Erstens weiss sie, wie unfruchtbar Diskurse zu diesem Thema sein können. Eine Debatte gerät oft zu einem unerquicklichen Duell der Predigten ohne Erkenntnisgewinn. Zweitens ist die Meinung der Journalistin irrelevant. Sie ist in diesem Gespräch weder für noch gegen irgendwas. Sie ist lediglich eine Skeptikerin.


Und so stellt sie Fragen zu staatlicher Frauenförderung. Sie fragt, ob die Frauen diesen «safe space» überhaupt brauchen. Ob eine zentralistische Frauenförderung die Frauen nicht erst recht entmündigt? Sie fragt, ob die Frauen etwas merken würden, wenn alle Gleichstellungsbüros auf einmal geschlossen würden; ob Frauenquoten zum Geist des Rechtsstaats passen. Ist nicht der Grundsatz, dass vor dem Gesetz alle gleich sind, eine Errungenschaft aufgeklärter Gesellschaften?


Auch will die Journalistin wissen, was es mit der Gendersprache auf sich hat. Kann die Chefin belegen, dass Frauen durch Wörter wie «Fussgängerstreifen» wirklich systematisch diskriminiert werden? Und kann sie belegen, dass «Zebrastreifen» tatsächlich die frauenfreundlichere Variante ist? Verdrängt das Zebra die Frau nicht genauso, wie es der Fussgänger tut, oder sogar noch mehr?


Die Chefin erklärt, dass Quotenregelungen notwendig seien und auch keine Diskriminierung darstellten, bis die Frauen endlich «angemessen» vertreten seien. Nur das sei wahrhafte Gleichstellung. Sie verweist auf unzählige Studien, die angeblich unzweifelhaft beweisen, dass das generische Maskulinum die Frauen austilge. Das sei wissenschaftlich für alle Zeiten bewiesen und wahr. Und die Gleichstellungsbüros, sagt sie, seien unerlässlich im Kampf gegen Diskriminierung.


Warum sich die Journalistin über dieses Engagement nicht freut, kann sie nicht verstehen. Die Chefin argumentiert mit Leidenschaft, aber bei Nachfragen der ungläubigen Journalistin stellt sich heraus, dass sich viele ihrer Thesen nur ideologisch begründen lassen. Irgendwann kommen beide zum Schluss, dass man nicht weiterkommt.


Mitten ins Herz der Demokratie

Wo Gesprächspartner aneinander vorbeireden, müssen notfalls die Juristen eine Lösung finden. So geschehen im Fall der Zürcher SVP-Gemeinderätin Susanne Brunner, die sich weigerte, einen Vorstoss auf Geheiss des Gemeinderatsbüros in «gendergerechter» Sprache abzufassen. Das rot-grün dominierte Gremium zeigte sich unerbittlich gegenüber der Unbeugsamen, hatte auch für deren Kompromissvorschläge keinerlei Gehör und beschloss, Brunners Vorstoss wegen mangelhaften Gendersprechs zurückzuweisen. Das ebenfalls rot-grüne Stadtparlament bestätigte diesen Entscheid.


Das liess die Gemeinderätin nicht auf sich sitzen und rekurrierte beim Bezirksrat. Sie und ihr Anwalt Lukas Rich hatten eine ganze Palette von Argumenten auf ihrer Seite: Der Gemeinderatsbeschluss habe keine rechtliche Grundlage, sei willkürlich. Er verstosse gegen das Verbot des überspitzten Formalismus als besondere Form der Rechtsverweigerung, verletze die politischen Rechte der Gemeinderätin und missachte den Grundsatz der Ver­hältnismässigkeit sowie den Anspruch auf Meinungsfreiheit. Ein Zwang zum Gendern zielt also – zumindest aus der Sicht der Rekurrentin – mitten ins Herz der Demokratie.


Der Bezirksrat hiess den Rekurs gut. Er kam zu dem Schluss, dass es für eine autoritäre Durchsetzung der Gendersprache keine gesetzliche Grundlage gibt. Doch damit nicht genug. Er warf die Frage auf, ob es grundsätzlich zulässig sei, das Eintreten auf politische Vorstösse vom Einhalten politisch motivierter Sprachregelungen abhängig zu machen. Dabei kam er zum Schluss, dass nicht ersichtlich sei, inwiefern solche Vorgaben für das Funktionieren des Parlaments von Bedeutung sein sollen.


Mundtot oder hörig

Dieser bemerkenswerte, aber medial eher stiefmütterlich behandelte Entscheid zeigt, dass es bei der Gendersprache um mehr geht als um einen lästigen Sprachformalismus. Es geht um die Demokratie. Parlamentsmitglieder sind in freien Wahlen gewählt und sollen an keine Instruktionen der politischen Mehrheit gebunden sein.


Was würde es bedeuten, wenn es anders wäre? Wenn die politische Mehrheit der Minderheit ihre Sprachregelung aufzwingen und nicht genehm formulierte Vorstösse systematisch von der materiellen Behandlung ausschliessen könnte? Für die Minderheit gäbe es unter solchen Umständen nur zwei Möglichkeiten: sich dem Sprachdiktat der Mehrheit zu unterwerfen oder zu schweigen. Mundtote oder hörige Parlamentarier aber sind der Ruin der Demokratie.

So betrachtet lässt die Unerbittlichkeit der Gemeinderatsmehrheit tiefe Einblicke in deren Demokratieverständnis zu. Ausgerechnet jene Kreise, die sonst nicht genug von Toleranz, Diversität und Inklusion sprechen können, versuchen auf diese indirekte Weise den politischen Gegner auszubremsen. Toleranz mit den Gleichgesinnten – Intoleranz gegenüber allen anderen.


Auch in Deutschland ist Anfang Juli, kaum bemerkt, ein Streit über das Gendern gerichtlich entschieden worden. Stein des Anstosses auf dem langen Rechtsweg war ein Bankformular. Nach Ansicht der über 80-jährigen Klägerin war es nicht gendergerecht formuliert, was sie nicht akzeptieren wollte.


Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Klage und damit einen Zwang zum Gendern ab – allerdings nur aus formalen Gründen und nicht, ohne gewisse Sympathien für die Klägerin durchblicken zu lassen. Doch die Vorinstanz, der Bundesgerichtshof, hatte die Klage inhaltlich abgewiesen. Er urteilte, dass das generische Maskulinum – also das sich auf alle natürlichen Geschlechter beziehende Maskulinum – im Sprachgebrauch üblich sei, gesellschaftlich akzeptiert werde und keine Geringschätzung gegenüber den Frauen darstelle. Nicht zuletzt das Grundgesetz selber verwende das generische Maskulinum.


Für die Klägerin aus dem Saarland, die früher als Lokalpolitikerin für die SPD und später für Die Linke tätig war, ist der Rechtsweg allerdings noch nicht zu Ende. Sie wird den Fall an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof weiterziehen, wie ihre Anwältin die «Süddeutsche Zeitung» wissen liess.


Auswege aus der Sackgasse

Trotz all den juristischen Entscheiden bleiben die Fronten also verhärtet, und die Diskussionen über Sinn und Unsinn, Recht und Unrecht von Gendersprache gehen weiter. Aber sind produktive Gespräche zu solchermassen ideologisch hochgekochten Themen überhaupt möglich? Und falls ja, wie kann man vorgehen, damit solche Gespräche nicht in dem erwähnten, fruchtlosen Duell der Predigten und Gegenpredigten enden?


Vielleicht ist die journalistische Strategie des Fragenstellens gar nicht mal die schlechteste. Wer genötigt wird, dem unermüdlich fragenden Gegenüber seine Überzeugungen bis ins Detail zu erklären, kommt eher ins Grübeln als bei einem klassischen Hin und Her der Argumente.


Diese Herangehensweise empfiehlt jedenfalls der amerikanische Philosoph Peter Boghossian in seinem neuen Buch «Die Kunst, schwierige Gespräche zu meistern». Als Spezialist für die Sokratische Methode beschreibt er zusammen mit dem Co-Autor und Mathematiker James Lindsay, wie man mit gezielten Fragen sein Gegenüber zwingt, über die eigenen Überzeugungen nachzudenken und sie bestenfalls zu revidieren. Statt eines «Duells der Predigten», das keinen der Gesprächspartner weiterbringt, sondern eher den Zorn anfeuert, empfehlen die beiden Wissenschafter, ihrem Gegenüber ein authentisches und freundliches Interesse entgegenzubringen, gut zuzuhören und durch permanentes, aber nicht zudringliches Nachbohren Zweifel zu säen. Das Gegenüber ist Partner, nicht Gegner. Und die eigene Botschaft behalten die Fragensteller für sich.


Die Autoren wissen aus eigener, leidvoller Erfahrung: Aggressive Rechthaberei wirkt kontraproduktiv. Verfolgt der Anfänger dieser Kunst noch das Ziel, Streit und einen ärgerlichen Schlagabtausch zu vermeiden, beginnt der Fortgeschrittene bereits, die Meinung des anderen sanft zu modellieren. Die hohe Kunst ist es dann, auf diese Weise souverän und entspannt Gespräche über moralisch aufgeladene Themen wie Zuwanderung, Umweltschutz, Religion oder Armut zu führen – und sie diskret für sich zu entscheiden.


Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden Wissenschafter die Gesetzmässigkeiten der politischen Korrektheit herausfordern. Zusammen mit der Mediävistin Helen Pluckrose fabrizierten sie vor ein paar Jahren mehrere Quatschstudien zu Genderthemen und reichten ihre Papers zur Publikation bei anerkannten Fachjournalen ein. Vier Aufsätze wurden veröffentlicht, obwohl sie nichts als politisch korrekten Nonsens enthielten. Das Ziel – die Demaskierung eines Wissenschaftsbetriebs, der zunehmend ideologisch korrumpiert ist – wurde damit erreicht. Sie hatten leichtes Spiel.


Die freundliche Subversivität des Fragestellens hat ein ähnliches Potenzial, liebgewonnene Gewissheiten zumindest für eine gewisse Zeit zu erschüttern und ideologische Blasen platzen zu lassen, zumal in einer Zeit des affirmativen Mainstreams. Den Vorwurf, «polemische Fragen» gestellt zu haben, nimmt die Journalistin deshalb gerne als Kompliment entgegen.

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