«Warum stellen Sie so polemische Fragen», echauffiert sich die Chefin eines Gleichstellungsbüros gegenüber der Journalistin. Da kommt also eine Journalistin zum Interview, die nicht schon von vornherein an die segensbringende Wirkung von Gendersprache, Quotenregelungen und Gleichstellungsbüros glaubt. Die Journalistin glaubt vielmehr, dass der faire Wettbewerb ein gerechtes Prinzip sei.
Wer fragt, gewinnt: Auswege aus endlosen Gender-Diskussionen, NZZ, 13.8. von Claudia Wirz
Ja sie findet, wenn jemand – egal, ob Mann oder Frau – plötzlich gleicher ist als die anderen, ist dies ein Problem. Die Journalistin ist sich bewusst, dass sie im Zeitalter von «Diversity» damit etwas démodée daherkommt; aber sie glaubt an die Gültigkeit freiheitlicher Ideen auch heute.
Mann oder Zebra
Die Journalistin ist aber nicht gekommen, um mit der Chefin eine
Kontroverse zu führen. Erstens weiss sie, wie unfruchtbar Diskurse zu diesem
Thema sein können. Eine Debatte gerät oft zu einem unerquicklichen Duell der
Predigten ohne Erkenntnisgewinn. Zweitens ist die Meinung der Journalistin
irrelevant. Sie ist in diesem Gespräch weder für noch gegen irgendwas. Sie ist
lediglich eine Skeptikerin.
Und so stellt sie Fragen zu staatlicher Frauenförderung. Sie
fragt, ob die Frauen diesen «safe space» überhaupt brauchen. Ob eine
zentralistische Frauenförderung die Frauen nicht erst recht entmündigt? Sie
fragt, ob die Frauen etwas merken würden, wenn alle Gleichstellungsbüros auf
einmal geschlossen würden; ob Frauenquoten zum Geist des Rechtsstaats passen.
Ist nicht der Grundsatz, dass vor dem Gesetz alle gleich sind, eine Errungenschaft
aufgeklärter Gesellschaften?
Auch will die Journalistin wissen, was es mit der Gendersprache
auf sich hat. Kann die Chefin belegen, dass Frauen durch Wörter wie
«Fussgängerstreifen» wirklich systematisch diskriminiert werden? Und kann sie
belegen, dass «Zebrastreifen» tatsächlich die frauenfreundlichere Variante ist?
Verdrängt das Zebra die Frau nicht genauso, wie es der Fussgänger tut, oder
sogar noch mehr?
Die Chefin erklärt, dass Quotenregelungen notwendig seien und auch
keine Diskriminierung darstellten, bis die Frauen endlich «angemessen»
vertreten seien. Nur das sei wahrhafte Gleichstellung. Sie verweist auf
unzählige Studien, die angeblich unzweifelhaft beweisen, dass das generische
Maskulinum die Frauen austilge. Das sei wissenschaftlich für alle Zeiten
bewiesen und wahr. Und die Gleichstellungsbüros, sagt sie, seien unerlässlich
im Kampf gegen Diskriminierung.
Warum sich die Journalistin über dieses Engagement nicht freut,
kann sie nicht verstehen. Die Chefin argumentiert mit Leidenschaft, aber bei
Nachfragen der ungläubigen Journalistin stellt sich heraus, dass sich viele
ihrer Thesen nur ideologisch begründen lassen. Irgendwann kommen beide zum
Schluss, dass man nicht weiterkommt.
Mitten ins Herz der Demokratie
Wo Gesprächspartner aneinander vorbeireden, müssen notfalls die
Juristen eine Lösung finden. So geschehen im Fall der Zürcher SVP-Gemeinderätin
Susanne Brunner, die sich weigerte, einen Vorstoss auf Geheiss des
Gemeinderatsbüros in «gendergerechter» Sprache abzufassen. Das rot-grün dominierte
Gremium zeigte sich unerbittlich gegenüber der Unbeugsamen, hatte auch für
deren Kompromissvorschläge keinerlei Gehör und beschloss, Brunners Vorstoss
wegen mangelhaften Gendersprechs zurückzuweisen. Das ebenfalls rot-grüne
Stadtparlament bestätigte diesen Entscheid.
Das liess die Gemeinderätin nicht auf sich sitzen und rekurrierte
beim Bezirksrat. Sie und ihr Anwalt Lukas Rich hatten eine ganze Palette von
Argumenten auf ihrer Seite: Der Gemeinderatsbeschluss habe keine rechtliche
Grundlage, sei willkürlich. Er verstosse gegen das Verbot des überspitzten
Formalismus als besondere Form der Rechtsverweigerung, verletze die politischen
Rechte der Gemeinderätin und missachte den Grundsatz der Verhältnismässigkeit
sowie den Anspruch auf Meinungsfreiheit. Ein Zwang zum Gendern zielt also –
zumindest aus der Sicht der Rekurrentin – mitten ins Herz der Demokratie.
Der Bezirksrat hiess den Rekurs gut. Er kam zu dem Schluss, dass
es für eine autoritäre Durchsetzung der Gendersprache keine gesetzliche
Grundlage gibt. Doch damit nicht genug. Er warf die Frage auf, ob es
grundsätzlich zulässig sei, das Eintreten auf politische Vorstösse vom
Einhalten politisch motivierter Sprachregelungen abhängig zu machen. Dabei kam
er zum Schluss, dass nicht ersichtlich sei, inwiefern solche Vorgaben für das
Funktionieren des Parlaments von Bedeutung sein sollen.
Mundtot oder hörig
Dieser bemerkenswerte, aber medial eher stiefmütterlich behandelte
Entscheid zeigt, dass es bei der Gendersprache um mehr geht als um einen
lästigen Sprachformalismus. Es geht um die Demokratie. Parlamentsmitglieder
sind in freien Wahlen gewählt und sollen an keine Instruktionen der politischen
Mehrheit gebunden sein.
Was würde es bedeuten, wenn es anders wäre? Wenn die politische
Mehrheit der Minderheit ihre Sprachregelung aufzwingen und nicht genehm
formulierte Vorstösse systematisch von der materiellen Behandlung ausschliessen
könnte? Für die Minderheit gäbe es unter solchen Umständen nur zwei
Möglichkeiten: sich dem Sprachdiktat der Mehrheit zu unterwerfen oder zu
schweigen. Mundtote oder hörige Parlamentarier aber sind der Ruin der
Demokratie.
So betrachtet lässt die Unerbittlichkeit der Gemeinderatsmehrheit
tiefe Einblicke in deren Demokratieverständnis zu. Ausgerechnet jene Kreise,
die sonst nicht genug von Toleranz, Diversität und Inklusion sprechen können,
versuchen auf diese indirekte Weise den politischen Gegner auszubremsen.
Toleranz mit den Gleichgesinnten – Intoleranz gegenüber allen anderen.
Auch in Deutschland ist Anfang Juli, kaum bemerkt, ein Streit über
das Gendern gerichtlich entschieden worden. Stein des Anstosses auf dem langen
Rechtsweg war ein Bankformular. Nach Ansicht der über 80-jährigen Klägerin war
es nicht gendergerecht formuliert, was sie nicht akzeptieren wollte.
Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Klage und damit einen
Zwang zum Gendern ab – allerdings nur aus formalen Gründen und nicht, ohne
gewisse Sympathien für die Klägerin durchblicken zu lassen. Doch die
Vorinstanz, der Bundesgerichtshof, hatte die Klage inhaltlich abgewiesen. Er
urteilte, dass das generische Maskulinum – also das sich auf alle natürlichen
Geschlechter beziehende Maskulinum – im Sprachgebrauch üblich sei,
gesellschaftlich akzeptiert werde und keine Geringschätzung gegenüber den
Frauen darstelle. Nicht zuletzt das Grundgesetz selber verwende das generische
Maskulinum.
Für die Klägerin aus dem Saarland, die früher als Lokalpolitikerin
für die SPD und später für Die Linke tätig war, ist der Rechtsweg allerdings
noch nicht zu Ende. Sie wird den Fall an den Europäischen
Menschenrechtsgerichtshof weiterziehen, wie ihre Anwältin die «Süddeutsche
Zeitung» wissen liess.
Auswege aus der Sackgasse
Trotz all den juristischen Entscheiden bleiben die Fronten also
verhärtet, und die Diskussionen über Sinn und Unsinn, Recht und Unrecht von
Gendersprache gehen weiter. Aber sind produktive Gespräche zu solchermassen
ideologisch hochgekochten Themen überhaupt möglich? Und falls ja, wie kann man
vorgehen, damit solche Gespräche nicht in dem erwähnten, fruchtlosen Duell der
Predigten und Gegenpredigten enden?
Vielleicht ist die journalistische Strategie des Fragenstellens gar nicht mal
die schlechteste. Wer genötigt wird, dem unermüdlich fragenden Gegenüber seine
Überzeugungen bis ins Detail zu erklären, kommt eher ins Grübeln als bei einem
klassischen Hin und Her der Argumente.
Diese Herangehensweise empfiehlt jedenfalls der amerikanische
Philosoph Peter Boghossian in seinem neuen Buch «Die Kunst, schwierige
Gespräche zu meistern». Als Spezialist für die Sokratische Methode beschreibt
er zusammen mit dem Co-Autor und Mathematiker James Lindsay, wie man mit
gezielten Fragen sein Gegenüber zwingt, über die eigenen Überzeugungen
nachzudenken und sie bestenfalls zu revidieren. Statt eines «Duells der
Predigten», das keinen der Gesprächspartner weiterbringt, sondern eher den Zorn
anfeuert, empfehlen die beiden Wissenschafter, ihrem Gegenüber ein
authentisches und freundliches Interesse entgegenzubringen, gut zuzuhören und
durch permanentes, aber nicht zudringliches Nachbohren Zweifel zu säen. Das
Gegenüber ist Partner, nicht Gegner. Und die eigene Botschaft behalten die
Fragensteller für sich.
Die Autoren wissen aus eigener, leidvoller Erfahrung: Aggressive
Rechthaberei wirkt kontraproduktiv. Verfolgt der Anfänger dieser Kunst noch das
Ziel, Streit und einen ärgerlichen Schlagabtausch zu vermeiden, beginnt der
Fortgeschrittene bereits, die Meinung des anderen sanft zu modellieren. Die
hohe Kunst ist es dann, auf diese Weise souverän und entspannt Gespräche über
moralisch aufgeladene Themen wie Zuwanderung, Umweltschutz, Religion oder Armut
zu führen – und sie diskret für sich zu entscheiden.
Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden Wissenschafter die
Gesetzmässigkeiten der politischen Korrektheit herausfordern. Zusammen mit der
Mediävistin Helen Pluckrose fabrizierten sie vor ein paar Jahren mehrere
Quatschstudien zu Genderthemen und reichten ihre Papers zur Publikation bei
anerkannten Fachjournalen ein. Vier Aufsätze wurden veröffentlicht, obwohl sie
nichts als politisch korrekten Nonsens enthielten. Das Ziel – die Demaskierung
eines Wissenschaftsbetriebs, der zunehmend ideologisch korrumpiert ist – wurde
damit erreicht. Sie hatten leichtes Spiel.
Die freundliche Subversivität des Fragestellens hat ein ähnliches Potenzial, liebgewonnene Gewissheiten zumindest für eine gewisse Zeit zu erschüttern und ideologische Blasen platzen zu lassen, zumal in einer Zeit des affirmativen Mainstreams. Den Vorwurf, «polemische Fragen» gestellt zu haben, nimmt die Journalistin deshalb gerne als Kompliment entgegen.
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