Ab dem Schuljahr 2020/21 werden im Kanton Aargau neben den unentschuldigten Absenzen neu auch die entschuldigten Absenzen im Zwischenbericht und im Jahreszeugnis ausgewiesen. Die neue Regelung stösst auf Unverständnis.
Neu kommen im Aargau alle Absenzen ins Oberstufen-Zeugnis - Kanton wehrt sich gegen Kritik der Eltern, Aargauer Zeitung, 28.8. von Fabian Hägler
Thomas Meier (Name geändert) ärgert sich: «Die
Schule hat uns Eltern diese Tage informiert, dass gemäss Vorgabe des
Departements Bildung, Kultur und Sport (BKS) an der Oberstufe ab dem Schuljahr
2020/21 neben den unentschuldigten Absenzen neu auch die entschuldigten
Absenzen im Zwischenbericht und Jahreszeugnis ausgewiesen werden», schreibt der
Familienvater aus Villmergen der AZ.
Aus seiner Sicht ist die neue Regelung fragwürdig
und unverständlich: «Für mich ist das, wie wenn der Personalverantwortliche in
den Abschlusszeugnissen der Mitarbeitenden ihre Krankheitstage aufführen würde,
was datenschutzrechtlich zumindest heikel wäre.»
Eltern könnten Kinder trotz Krankheit zur Schule
schicken
Zudem befürchtet Thomas Meier, dass die neue
Regelung in der Coronapandemie unerwünschte Folgen haben könnte: «Bekanntlich
werden Eltern angewiesen, ihre Kinder bei Anzeichen von Krankheit zu Hause zu
behalten. Die neue Vorgabe, dass auch entschuldigte Absenzen im Zeugnis
eingetragen werden müssen, könnte dazu führen, dass Eltern ihre Kinder auch mit
Krankheitssymptomen in die Schule schicken.» Dazu komme, dass bei Kindern, die
sich einer Operation unterziehen müssen oder länger krank sind, neu übermässig
viele Absenzen eingetragen würden. Meier findet: «Diese sind aber weder für
eine spätere Lehrstelle noch für sonst etwas relevant.»
Meier hat nach dem Infoschreiben bei der
Schulleitung nachgefragt, wer die Weisung erlassen habe. «Es ist definitiv
keine Erfindung der Schule Villmergen, der Oberstufenleiter hat mich auf das
Aargauer Schulportal verwiesen», sagt der Vater. Der Schulleiter habe ausserdem
seine Sorge gegenüber diesem Vorgehen geteilt.
Simone Strub, Sprecherin des kantonalen
Bildungsdepartements, verteidigt die neue Regelung. Diese beruht auf der
Promotionsverordnung und ist damit rechtlich abgesichert. Im Paragraf 4 heisst
es: «Das Departement Bildung, Kultur und Sport macht verbindliche Vorgaben zur
Form der Beurteilungsdokumente, insbesondere des Zeugnisses, der Lern- und
Zwischenberichte (...)». Beschlossen wurde die Regelung Mitte 2019, gleich
anschliessend seien die Schulen informiert worden, teilt Strub auf Anfrage mit.
Bildungsdepartement teilt die Coronabedenken nicht
Sie argumentiert, wenn alle Absenzen im Zeugnis
eingetragen seien, erhalte dieses eine grössere Aussagekraft. So bekämen
Berufsbildner «ein vollständiges Bild der Unterrichtspräsenz eines Schülers
oder einer Schülerin im letzten Schuljahr». Dies könne eine wichtige
zusätzliche Information darstellen, die im Bewerbungsprozess thematisiert
werden könne, ergänzt Strub.
Dass die Einführung der Absenzenregelung auf das
Schuljahr 2020/21 mit der Coronapandemie zusammenfallen würde, sei nicht
voraussehbar gewesen, hält Strub weiter fest. Das Bildungsdepartement gehe
nicht davon aus, dass Eltern ihre Kinder mit Krankheitssymptomen zur Schule
schicken. Die aktuell besondere Situation sei auch Lehrbetrieben allgemein
bekannt.
Strub hält fest, dass die neue Regelung auch im
Erziehungsrat besprochen worden sei. Ein Argument für die Einführung sei die
Chancengerechtigkeit gewesen. «Es kam vor, dass Eltern bei selbst verschuldeten
oder unbegründeten Absenzen ihrer Kinder im Nachhinein einen Grund
konstruierten und die Absenz schriftlich entschuldigten.» So hätten sie aus der
unentschuldigten eine entschuldigte Absenz gemacht, die nicht im Zeugnis
erschien. Damit seien Schüler benachteiligt worden, «deren Eltern nicht bereit
oder in der Lage waren, eine Entschuldigung oder Begründung zu schreiben».
Strub weist darauf hin, dass der Aargau mit der
neuen Regelung keine Sonderstellung einnehme. Schon heute würden in der grossen
Mehrheit der Deutschschweizer Kantone unentschuldigte und entschuldigte
Absenzen im Zeugnis ausgewiesen. Kritik an der Vorgabe des Bildungsdepartements
gibt es im Aargau indes nicht nur von Eltern wie Thomas Meier. Auch der
Aargauische Lehrerinnen- und Lehrerverband sowie der Verband der
Schulleiterinnen und Schulleiter Aargau äusserten sich im Vorfeld der
Einführung kritisch, wie Strub einräumt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen